Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Kleinwächter,L.:14
Prag am 3ten December
1837.
Innigst geliebter und verehrter Herr!
Vergeben Sie mir, dz1 ich Ihre beiden lieben Briefe vom 1ten und 30ten October erst heute beantworte; denn es2 ist gewisz nicht Nachläszigkeit, welche diese Verspätung bewirkte. Früher hinderte mich ein langweiliges Augenübel – Folge einer Verkühlung – durch drei volle Wochen an allem Schreiben, und nachher wartete ich3 mit Absicht mit einer Antwort bis nach dem 30. November, weil an diesem Tage mein Quartett für Streichinstrumente – dasselbe, wovon Sie die Skizze haben – zum ersten Male öffentlich gegeben werden sollte, worüber ich Ihnen die Nachricht nicht erst in einem besondern Briefe mittheilen wollte. Nun alles diesz vorüber ist, setze ich mich auch sogleich ans Schreiben. Vor Allem meinen und der Meinigen herzlichsten und wärmsten Dank für die Uiberschickung und Dedication der lieben, schönen Sonate4, Sie haben uns damit unendliche Freude bereitet und uns zu ewigem Danke verpflichtet! Wie lieb und naiv der Menuett über die Postfanfare gebaut ist, man hätte Lust, Postillion zu werden, wenn die Reisenden im Wagen unter die Fanfaren so schöne Grundharmonien legen könnten! Auch Ihre neuen Lieder habe ich bereits erhalten und sehr oft gespielt. Das Gondellied5 hat hier am meisten angesprochen, es ist aber auch ungemein poetisch und sanft gehalten. Mad. Podhorsky sang letzthin in einem Concerte die „Sangeslust“ aus diesem Hefte und fand damit ungemein viel Anklang, sie trug es aber auch sehr seelenvoll und innig vor. Das Stammbuch-Lied für die Gfn Thun ist ganz ohne Knitter und Druck hier angelangt und bereits zu groszer Freude der Betheilten übergeben: Leo Thun legt einige Zeilen an Sie bei, worin er persönlich seinen Dank bringt.6
Wie ich bereits früher erwähnte, ward mein Quartett in der ersten der Quartett-Soireen, welche Pixis um diese Zeit zährlich zu geben pflegt, am 30t November gegeben. Mit der Production konnte ich recht sehr zufrieden sein; die Sache ward von den Herrn mit viel Liebe eingeübt – sie hielten 5 Proben -, und – obschon die Schwierigkeiten nicht gerade geringe angebracht sind – sehr lieblich gegeben. Der Beifall war ungetheilt, und sehr herzlich ausgesprochen, auch brachte heute unsre Bohemia schon eine sehr vortheilhafte Recension darüber ins Publicum.7
Es freute mich, dz die Wirkung der Composition – jetzt rede ich aber nicht mehr von der Wirkung aufs Publicum sondern von jener auf mich selbst – meinen Gedanken entsprach. Nur scheint mir, dz des Guten an manchen Stellen noch zu viel ist, und dz die Furcht, nicht leer oder fade zu werden, hie und da die Complicirung und somit auch die Schwierigkeit der Execution über Gebühr vermehrt hat. Nun! ein folgendes Quartett soll die Klippen noch vorsichtiger vermeiden; ich hoffe, Sie werden auch8 mit der Arbeit des Erstlinges in dieser Compositions-Gattung nicht unzufrieden sein, und, [obschon mein Recensent in der Bohemia das Gegentheil meint,]9 den Prototyp leicht erkennen, nach welchem hier mit endlichem Ernst und Eifer gestrebt ist. Sobald die Partitur davon rein abgeschrieben ist, werde ich mir die Freiheit nehmen, Ihnen dieselbe zu verehren, und dann Ihr Urtheil mit heißer Begierde erwarten. Wie sehr mich Ihre Mittheilungen über mein Rondo und über meine Ouverture freuten, und ehrten, können Sie sich kaum vorstellen, Sie verbinden mich immer mehr zu unbegränztem Danke! Wenn Sie, - wie Sie mir anzudeuten so gütig waren – meiner Ouverture in Cassel öffentlich geben, so bitte ich, in der Annonce nur meinen vollen Namen erscheinen zu lassen, und nicht etwa meine sonst beliebte Chiffre: L.K. es liegt mir itzt – aufrichtig der Verleger wegen – daran, in meiner wahren Gestalt zu erscheinen. Da ich gerade vom Verleger ende, so kann ich nicht vergeßen, Ihnen innigst für Ihr überschicktes Schreiben10 an Breitkopf zu danken. Uiber den Erfolg kann ich nnoch nichts berichten, da es noch immer bei mir liegt. Ich bin nemlich gesonnen, noch eine zweite Beilage, - einen Brief meines Lehrers Weber – zuzufügen, und habe von dem guten alten Herrn, auszer liebevoller Bereitwilligkeit, noch nichts erhalten. Indeßen hoffe ich im Laufe dieser Woche längstens mit den Sachen in Ordnung zu sein, und dann mag mein gehorsamster Gevatterbrief seinen Weg nach Leipzig in Gottes Namen antreten! Der Brief11 von Marx hat mich nicht sehr erfreut, noch weniger überzeugt; es gehört eine starke Dosis von preußischem Effronterie12 da zu, behaupten zu wollen, dz aus jenem famosen Artikel nur Liebe und Verehrung für Mozart hervorleuchte! Vater vergib Ihnen u.s.w. und damit Basta; die Scribenten sind im Grunde der Galleverschwendung erst nicht werth! Mit der Partitur meines Quartetts werde ich Ihnen die verunglückte Entschuldigung zurücksenden. Für die Mittheilung dieses Schreibens danke ich Ihnen sehr herzlich, die Sache war mir sehr interessant, und itzt ergözt mich wenigstens die unschuldige Freude, dz der vorlaute Herr Professor aus dem Lande der Intelligenz, von Ihnen eins über seinen naseweisen Schnabel gekrigt hat, woran Miveranlaßung zu sein; ich mir schmeichle.
In Nro 28 der neuen Leipziger Zeitung für Musik – vom 6. October 1837. - findet sich bei Gelegenheit der Recension13 der 3ten Symphonie von Hesse auf einem sehr kleinen Raume auch eine große Masze von Albernheit. Dem guten Hesse wird mit einigen Wendungen vorgerieben14, er möge lieber à la Beethoven, als à la Spohr componiren, und ihm wird von einer Manier abgerathen, „aus der für die Symphonie kaum mehr etwas zu gewinnen ist“. Das frißt doch den Unsinn und die Frechheit ein bischen gar zu weit treiben! „Für einzelne Arbeiten kann die Redaction nicht stehen“ sagt schon der weise Briefe des Prof. Marx15, aber seinen Aufsatz hat die Redaction selbst unterschrieben, und damit wieder eine schöne Blüthe der neuromantischen Schule geziegt. Hoffentlich macht sich der kräftige Hesse nichts aus dem Geschnatter, was ohnehin bald aufhören muß, und schreibt in solider Weise fort. Bei den Neuromantischen fällt mir Clara Wieck16 ein. Sie hat hier dreimal gespielt, und, wie nichts als billig, sehr angesprochen. Da sie uns durch Winterstein aus Dresden empfohlen war, so ward mir auch Gelegenheit, sie näher kennen zu lernen. Ihr Spiel ist merklich sehr bewundernswerth, besonders intereßirte mich die Ouverture zu Jessonda, welche ich von ihr in der ganz vollharmonischen Orchesterweise mit hinreißender Weihe vortragen hörte. Wäre ihr Kunsttreiben etwas weniger von der Beethovens-Manier und Neu-Romantik angesteckt, so wäre es mir für meine Person noch lieber, besonders würde sie dann manche nichts so componiren, wie es itzt geschieht, und sehr genau und vorsätzlich geschieht. Unterdeßen mag man einer dann etwas Koketterie hingehenlaszen, hat sie doch hier mit Tomaschek für Sie mein verehrter Herr Capellmeister eine Lanze gebrochen, und sich mit ihm bis zum Weinen gestritten! Darum sei sie gepriesen, wenn sie auch von17 Tomaschek in jenem Zank ein18 Giftmittel – heißt so viel als ein eigensinniges galliges Kind – genannt ward19, am Ende wird es doch einst heißen: Soli Deo gloria und dann werden auch hoffentlich keine Brochuren mehr erscheinen, wie die bewuszte mit dem Titel Spohr & Halevy20, welche ich glücklich gelesen habe. Ich bedauere sehr den Verfaszer der solche Bücher schreibt, und noch mehr dem Breslauer Musikverein, der unter derlei Vorständen zu stehen die Ehre hat. Uibrigens scheint mir der gute alte Herr Verfaszer einen guten Zweck gehabt zu haben, nur scheint es ihm zu sauer zu werden, seine Zeit – nota bene die solche Seite derselben – zu verstehen! Beßer scheint Ihr Kunstwirken Prof. Hand – wenn ich den Namen nicht irrig schreibe – verstanden zu haben, von deßen Aesthetik der Tonkunst kürzlich der erste Band erschien, und wovon ich die über Sie handelnden §§en durchgelesen habe.21 Ich sage beßer, wozu freilich nicht viel gehört, weil jene Brochure Sie gar nicht versteht, allein heut zu Tage muß man froh sein, wenn die nun aufblühende Kunstansicht mit unsern Weihaltären nicht so umgeht, wie die Spanier mit weiland Vitzliputzli, und es steht in jenem bezogenen §§en dann doch nichts, dem Sie selbst Ihren Beifall nicht versagen werden.
Ihr Berggeist wurde seit Ihrer Abreise nicht wieder gegeben, früher erwartete man Poek immer wieder zurück, und seit der Vogel ausgeflogen, hat man sich – wie mir scheint – noch nicht recht – ans Neu-Einstudiren wagen wollen. Auch von Ihren übrigen neuen Opern ist noch keine in die Szene gegangen, unsere Direction geht einen etwas schläfrigen Schritt, unterdeßen werde ich bei erster Gelegenheit Stoeger ein wenig schmücken. Die Ouverture zum Alchymisten wird das Conservatorium nächstens in einem Concerte geben, hören wir wenigstens anticipando Etwas davon. Nächsten Donnerstag spielt Pixis Ihr Esdur Quintett, worauf ich mich sehr freue.22 Gegen Weihnachten soll von der Tonkünstler-Societät Mendelssohns Paulus zur Aufführung kommen, ich bin sehr gespannt auf den Erfolg. Bei Mendelssohn fällt mir ein, zu fragen, ob Sie denken, meine Ouverture nach Leipzig zu schicken, und dort durch Mendelssohn zur Aufführung zu bringen, auszuführen noch gesonnen sind, oder nicht?23 Als musicalische Novität weiß ich noch erwähnen, dz Hr. Grünbaum – Sohn der bekannten Sängerin – hier seine theatralische Laufbahn begonnen hat. Er besitzt eine – zwar überaus schwache – aber sehr angenehme hohe Tenorstimme und ist – obschon noch sehr jung – doch schon ein sehr gebildeter und ganz solider Sänger, was er in seiner Antritrolle als Nadori24 bewies. Ich freue mich sehr über die Acquisition, und bin sehr froh, dz ich den ekligen Demmer – Sie sahen ihn hier als beschnurbarteten Nadori – der uns verläszt, nicht mehr zu sehen brauche.
Nun bin ich mit dem Berichten am Ende, mit dem herzlichsten Wunsche, Sie durch mein endloses Schreiben nicht ermüdet zu haben, und mit der Bitte, die Freiheit, mit der mich mein Wesen in den Briefen an Sie immer gehen lasze, durch das unbegräntze Vertrauen zu entschuldigen, welches ich in Ihre Güte setze. Wir sind hier alle ganz wohl und grüszen Sie und die lieben Ihrigen innig im Geiste! Meine Frau berechtigt mich zu den heißesten Erwartungen, möge der milde Genius der holden Tonkunst das werdende Wesen umschweben!
Mit aller Liebe und Innigkeit ergeben
Ihr
Louis Kleinwächter
Dieser Brief ist die Antwort auf die derzeit verschollenen Brief Spohr an Kleinwächter, 01. und 30.10.1837. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Kleinwächter an Spohr, 28.12.1837.
[1] „dz“ = Abk. f. „dasz“.
[2] „es“ über der Zeile eingefügt.
[3] „ich“ über der Zeile eingefügt.
[4] Nachklänge einer Reise nach Dresden, op. 96.
[5] „Gondelfahrt“, op. 101.6.
[6] Leo von Thun an Spohr, 26.11.1837.
[7] „Uiber das erste Quartett des Herrn Prof. Pixis“, in: Bohemia 03.12.1837, nicht paginiert.
[8] „auch“ über der Zeile eingefügt.
[9] Ausdruck in Klammern über der Zeile eingefügt.
[10] Dieser Brief ist derzeit verschollen.
[11] Adolph Bernhard Marx an Spohr, 09.09.1837.
[12] „Effronterie“ = „die Frechheit Schamlosigkeit, Unverschämtheit“ (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 164).
[13] [Robert Schumann], „Symphonien“, in: Neue Zeitschrift für Musik 7 (1837), S. 111f., hier S. 112; ders., dass., in: Gesammelte Schriften über Musik und Musiker, Bd. 1, Leipzig 1854, S. 121.
[14] „vorreiben“ = „Einem etwas vorreiben, es in seiner Gegenwart reiben, besonders damit er es nachreiben lerne“ (Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, Bd. 4, Leipzig 1801, Sp. 1287).
[15] Marx schreibt jedoch: „Für die Nachbarn in einem Lexikon kann Niemand stehen. Selbst den Redakteur kann man nach meiner Meinung nicht für den Inhalt jedes Artikels verantwortlich machen.“
[16] Später verheiratete Schumann.
[17] „von“ über der Zeile eingefügt.
[18] Am Ende des Worts „en“ gestrichen.
[19] „genannt ward“ über gestrichenem Wort eingefügt.
[20] Joh[ann] Jac[ob] Ebers, Spohr und Halévy und die neueste Kirchen- und Opern-Musik, Breslau 1837.
[21] Ferdinand Hand, Aesthetik der Tonkunst, Bd. 1, Leipzig 1837, S. 230, 318-325 und 368.
[22] Vgl. „Uieber das zweite Quartett des Herrn Prof. Pixis“, in: Bohemia 12.12.1837, nicht paginiert.
[23] Vgl. Spohr an Felix Mendelssohn Bartholdy, 06.01.1838.
[24] Rolle in Spohrs Jessonda.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.04.2019).