Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: „Briefe von Friedrich Kühmstedt“, in: Urania 51 (1894), S. 5f., 22, 30f., 38f., 45f., 61f. und 86f., hier S. 6

Hochwohlgeborener Herr,
Hochzuvehrender Herr Kapellmeister!

Endlich einmal bin ich so glücklich, Ihnen hochverehrtester Herr Kapellmeister einen kleinen Beweis meiner unbegrenzten Verehrung und Dankbarkeit zu geben. Drei Jahre sind beinahe verflossen, seitdem mir der damalige Seminar-Inspektor Schröter in Eisenach (jetzt Pfarrer in Utenbach) die Zeugnisse mittheilte, welche Ew. Hochwohlgeboren über einige meiner Compositionen (unter andern der erste Act einer Oper) ausgestellt hatten. Was soll ich von der Wirkung sagen, welche sie auf mich machten? – Wohl hatte ich mir schon lange das Würdigste, Erhabenste in der Kunst zum Vorbilde auserkohren, und war allen Modetändeleien von ganzer Seele abhold; doch hatte bis zu der Stunde noch kein Meister meine Arbeiten in den Händen gehabt; das Glück den Rath eines Meisters genießen zu können, war mir noch nicht geworden –; in mir selbst zweifelhaft, ob mir die Natur so viel Talent verliehen, um das weitgesteckte Ziel erreichen zu können –; u. so kam es, daß ich mit Angst u. Zagen Ihrem Schreiben entgegen sah, aus dem ich erfahren sollte, ob ich werth oder unwerth sei in das Heiligthum der schönen, göttlichen Kunst einzutreten. Die Zeugnisse erschienen – und die Freude drohete meinem Leben ein Ende zu mache. Nimmer vergesse ich diesen glücklichen Augenblick, wohl der glücklichste meines Lebens. Er hat mich oft aufrecht erhalten, wenn die fürchterlichen Brandungen des Schicksals vernichtend an mein schwaches schwankendes Lebensglück schlugen. Daß Ew. Hochwohlgeboren in meinen Arbeiten das erkannt hatten, was ich mir selbst kaum zugestehen mochte, nur schüchtern zu wünschen mich erkühnte, gab mir zuerst mehr Vertrauen zu mir selbst; verwahrte mich vor dem Verzweifeln an meinen eignen Kräften. Dann wurde dadurch meine physische Existenz gesichert, indem ich in Folge der herrlichen Zeugnisse wirklich als Musikdirektor u. Lehrer an das Seminarium zu Eisenach berufen wurde, trotz der Einwirkungen vieler, die die Zeugnisse zu entkräften suchten.
Mit dem Eintritte in mein Amt wäre es nun meine erste Pflicht gewesen, Ihnen hochverehrter Herr ein Zeichen meiner innigsten Verehrung und Dankbarkeit zu geben; aber kaum mit meiner Lage vertraut, trat mir das Schicksal wieder gewaltig auf dem Nacken, daß ich Ohnmächtiger alles vergaß. – In Folge Ihrer Zeugnisse wurde ich vom Oberconsistorio gewählt,1 berufen und erhielt von Sr. Königlichen Hoheit das Prädikat als Musikdirektor. Bei der Wahl hatte jedoch das Consistorium den stimmhabenden Stadtrath übersehen, oder sich vielmehr trotz der Einreden des Stadtrathes, für mich erklärt. Was geschah? Ich ward angestellt u. bekam keine Besoldung. Endlich nach vielen Streitereien, die sich ein volles Jahr in die Länge zogen, wurde mir statt der versprochenen 300 kaum 200 Rth. zuerkannt, vorschützend, daß der Bestand der Kassen keine größere Besoldung zulasse. Mitten in dieser traurigen Periode erkrankte meine Braut, ein ausgezeichnetes Wesen, u. starb, nachdem sie über ein volles Jahr gelitten hatte, an der Schwindsucht. Unter diesen unglückseligen Verhältnissen war nicht nur mein kleines Vermögen, von dem ich immer noch leben mußte, ganz aufgezehrt, sondern auch die Gesundheit meines Geistes und Körpers total zerüttet. Ich erlag selbst dem unendlichen Kummer, Sorgen u. Strapazen, u. nur nach nach längerer Zeit gelang es mich dem Leben wiederzugeben. Doch auch hiermit war das grollende Schicksal noch nicht versöhnt; es sollte mich noch das Ärgste treffen. Durch ein unglückliches Vergreifen (wie man es zu nennen pflegt) oder was sonst die Ursache gewesen sein mag, wurde mir die rechte, besonders aber der 3te u. 4te Finger derselben gelähmt; wenigstens in soweit, daß ich als Klavierspieler, unter denen ich wahrlich nicht der Letzte war, nicht öffentlich aufzutreten vermag. –
Doch genug der Unglücksgemälde!
Ew. Hochwohlgeboren werden es wohl natürlich finden, wenn ich nach solchen Schicksalsschlägen längere Zeit zur Erholung bedurfte. Ob ich mich jemals zu der vorigen Kraft u. Begeisterung für die Kunst erholen werde, – weiß ich nicht. Beinahe muß ich befürchten, daß ich doch noch dem Schicksal, welches mich von frühester Jugend mit allem Grimme verfolgt hat, früher oder später erliegen werden u. das schöne Ziel nicht erreiche, welches andre junge Componisten meines Alters, wie Mendelssohn pp. unterstützt vom Glücke spielend erreicht haben. In Eisenach an mein Amt gekettet, welches mir aus oben angeführten Gründen, kaum das Nothdürftigste zum Leben gewährt, u. dadurch von der musikalischen Welt total abgeschnitten, gelingt es mir nicht, meine Compositionen ins Publicum zu bringen. Und leider bin ich bald 29 Jahre. – O, wäre mir nur einmal das Glück zu Theil, eine meiner Compositionen, ein Symphonie oder meine Oper pp. welche letztere ich umzuarbeiten angefangen habe, zur Aufführung zu bringen! Ich sehe aber die Möglichkeit nicht, wo u. auf welche Weise? Mir ist das Glück noch nie günstig gewesen.
Beiliegende kleine Generalbaßschule ist, außer einigen kleinen Orgelsachen, das erste Werkchen, welches ein Gegenstand der Speculation des hiesigen Buchhändlers Bärecke wurde.
Ich habe es gewagt, dasselbe zunächst Ew. Hochwohlgeboren als ein Zeichen meiner unbegrenzten Hochachtung und Dankbarkeit zu Füssen zu legen. Die Absicht, die mich dieses Werkchen zu schreiben veranlaßte, war rein; der Zweck, ein nützlicher, u. so darf ich mir schmeicheln daß Ew. Hochwohlgeboren die kleine Gabe nicht verschmähen, sondern sie als das aufnehmen werden, was sie sein soll. Ist dieses der Fall, so wird mir der höchste Lohn zu Theil.
Schließlich bitte ich noch Ew. Hochwohlgeboren um gütige Entschuldigung, wenn ich dieselben vielleicht durch meinen langen Brief der Zeit beraubte, die wohl etwas Größerem, Schöneren bestimmt war. – Dürfte ich noch hoffen, von Ihrer Hand ein paar Zeilen über mein Werkchen zu erhalten, so wäre ein glücklicher Tag mehr in meinem trüben Leben.
Nochmals um gütige Nachsicht bittend empfehle ich mich dem Wohlwollen Ew. Hochwohlgeboren und bin in tiefster Verehrung

Ew. Hochwohlgeboren
ganz ergebenster
F. Kühmstedt.

Eisenach am 21 Nobr.
1837.

Autor(en): Kühmstedt, Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Bärecke, Johann Friedrich
Mendelssohn Bartholdy, Felix
Schröter, Friedrich
Erwähnte Kompositionen: Kühmstedt, Friedrich : Generalbassschule
Kühmstedt, Friedrich : Die Schlangenkönigin
Erwähnte Orte: Eisenach
Erwähnte Institutionen: Lehrerseminar <Eisenach>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1837112140

Spohr




Das letzte erhaltene Schriftstück dieser Korrespondenz ist ein Zeugnis von Spohr für Kühmstedt, 12.07.1834. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Kühmstedt an Spohr, 05. und 09.01.1840.

[1] Hier gestrichen: „und“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (03.07.2020).