Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.2 <18371115>
Beleg: Autographen. Historische Autographen, literarische Autographen, Musiker, Schauspieler und bildende Künstler, Stammbücher. Versteigerung am 20., 21. und 22. Oktober 1926 (= Katalog Liepmannssohn 48), Berlin 1926, S. 174f.

Sr. Wohlgeboren
dem
Herrn Dr. Louis Spohr kurfürstl.
Hof-Kapellmeister
in
Cassel
Vor dem Kölnischen
Thor.
 
franco.0
 
 
Breslau den 15. November
1837.
 
Mein hochgeehrter Herr Kapellmeisterl
 
Das mir gütigst übersendete Duett1 hat mich ebenso erfreut als1a geehrt und ich sage Ihnen meinen ganz ergebensten und herzlichsten Dank dafür; Schade nur, daß ich das opus noch nicht von Ihnen und der Frau Gemahlin vortragen hörte, um ein Muster zu haben. Die Violinstimme habe ich sogleich an Schön gesendet, der sich Ihnen dankbar empfiehlt, und bereits1b tüchtig darüber her ist. Wir wollen es dann im Concert spielen, und wenn ich dann die Schönheiten des Werkes erst ganz kenne, werde ich Ihnen nochmals meinen tiefgefühlten Dank abstatten.

Was haben Sie zu Hummels Tode gesagt?2 mich hat er sehr erschüttert, denn das Dahinscheiden eines Meisters kann jedem Kunstjünger höchst schmerzlich sein. Er war als Klavierkomponist der erste, und man kann mit Recht sagen, er hat als solcher den Mozart fortgesetzt und erweitert. Sein a moll, h moll u. as-dur-Konzert, die Rondos in a und b, seine Sonaten in d dur und fis moll etc. sichern ihm ein bleibendes Denkmal. Sein Septett halte ich für das höchste,2a was er geschrieben und außer Ihrem c moll-Quintett kann man einem2b Werke in diesem genre nichts an die Seite stellen. Dahingegen scheint die neue romantische Schule,2c die sich’s bisher zur Aufgabe stellte, im Klavier das ganze Orchester zu repräsentiren, sich ihrem Ende zu nahen, denn Chopin hat so lange repräsentirt, bis er jetzt der Welt in seinen neuen Etüden einen Beweis vollkommener Verrücktheit2d überreicht hat, seine erste Sammlung Etüden sind Pleyel’sch dagegen. Wo ist in den neuen da noch irgend eine natürliche Harmoniefolge zu entdecken? (einige wenige ausgenommen). Es thut mir leid um Chopin, er ist das Opfer eines überreitzten Gefühls geworden.3
Vorgestern habe ich im Concert eine neue Sinfonie meiner Arbeit in es dur dirigirt, welche von meinen Sinfonien am besten gefallen hat. Auch schrieb ich eine3a Motette für Gesang und Orgel und ein Konzertstück in einer ganz neuen Form, übrigens so schwer, daß ich es nicht herausgeben kann, indessen wünschte ich Ihnen dies Tonstück einmal auf meiner Orgel zu hören, es hat nebst mehreren sanften Stellen euch einige neue Effeckte, die das Gewölbe erdröhnen machen. — Auf ihre neue Sinfonie sind wir alle höchst gespannt. Melden Sie mir recht bald das Resultat ihrer Probe. Hauser verläßt Ende des Jahres wiederum Breslau, was ich im Ganzen sehr bedauere, denn er ist ein sehr gebildeter Musiker, wenn auch großer Hypochonder. Neulich sollte Faust gegeben werden, Hammermeister4 wurde aber krank. In den nächsten Tagen5 führt Mosevius mit seiner Akademie den Paulus v. Mendelssohn auf, worauf ich sehr gespannt bin.
Empfehlen Sie mich allen den lieben Ihrigen und6 sonstigen: Bekannten auf’s beste und beglücken Sie mich recht bald wieder mit einigen Zeilen.
 
In wahrer Verehrung
Ihr
ergebenster
Adolph Hesse



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Hesse, 30.10.1837. Spohr beantwortete diesen sowie einen derzeit verschollenen Brief am 28.02.1838.
 
[0] [Ergänzung 18.10.2021:] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „BRESLAU 5-6 / 15 / 11“, rechts über dem Adressfeld befindet sich der Stempel „20 NOV 1837“.
 
[1] op. 96.
 
[1a] [Ergänzung 18.10.2021:] Hier gestrichen: „wie die“.
 
[1b] [Ergänzung 18.10.2021:] „bereits“ über der Zeile eingefügt.
 
[2] Hummel war am 17. Oktober gestorben.
 
[2a] [Ergänzung 18.10.2021:] Hier gestrichen: „und“.
 
[2b] [Ergänzung 18.10.2021:] „einem“ über gestrichenem „tiefen“ eingefügt.
 
[2c] [Ergänzung 18.10.2021:] Hier gestrichen: „sich“.
 
[2d] [Ergänzung 18.10.2021:] Hier gestrichen: „zu“.
 
[3] Während Schumann Chopins Etüden op. 25 begeistert rezensierte (Eusebius [Pseud. für Robert Schumann], „12 Etuden für Pianoforte von Friedrich Chopin”, in: Neue Zeitschrift für Musik 7 (1837), S. 199f.), ging Fink auch auf den Widerspruch zwischen „entzückten Bewunderern” und „entschiedenen Gegnern” Chopins ein, wobei er auch den Vorwurf erwähnte, von Chopin würde eine „immerwährende Steigerung” des Pikanten erwartet (Gottfried Wilhelm Fink, „Douze Etudes pour le Piano – par F. Chopin”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 40 (1838), Sp. 361-365, hier Sp. 362).
 
[3a] [Ergänzung 18.10.2021:] Hier gestrichen: „Mottett“.
 
[4] Möglicherweise der Bariton Heinrich Hammermeister.
 
[5] [Ergänzung 18.10.2021:] „Tagen“ über der Zeile eingefügt.
 
[6] [Ergänzung 18.10.2021:] Hier gestrichen: „sonst“.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach 15.03.2015).