Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hersfeld d. 22st
Septemb. 1837
 
Wohlgeborner,
Hochverehrtester Herr Kapellmeister!
 
Überbringer dieses Briefes, Herr Weitzmann, war bisher bei dem Schauspieldirector Budemann, der seit einigen Monaten mit seinem Personale hier Vorstellungen gegeben hat, als Acteur engagirt. Da er aber mit seiner Lage unzufrieden ist, auch den Drang in sich fühlt, sich zu etwas höherem ausbilden zu können, so wünscht er nichts sehnlicher, als bei einer großen Bühne angestellt zu werden. Er würde bei einer solchen auch anfangs als Chorist, dann zu kleinern Baßparthien, wie mir es wenigstens vorkommt, nicht unbrauchbar sein, um so eher, da ihm auch eine sonstige Bildung nicht ganz abgeht. Er hat nemlich früher eine höhere Schule besucht, dann sich aber 4 Jahre ausschließlich mit Musik beschäftigt, wo er es auf mehreren Instrumenten ziemlich weit gebracht haben muß, wenn man bedenkt, daß er dieselbe schon seit 6 Jahren weniger trieb und demnach jetzt eine große Uebersicht besitzt. Eben dieses sein Talent war auch die erste Veranlassung, daß Herr Weitzmann mich einige Male besucht und bei unserm Quartett einen Zuhörer abgegeben hat. Ich habe hierbei, sowie auch sonst sein Betragen durchaus anständig und gut selbst gefunden und auch von Andern rühmen hören.Und deshalb habe ich ihm auch seine Bitte, zu der ihn meine Achtung vor Euer Wohlgeboren, sowie die besondere Vorliebe, die ich für Ihre Compositionen habe und von der er vielleicht mehrere Male Zeuge war, veranlasst haben mögen, nicht abschlagen wollen.
Er bildet sich ein, daß aus den angegebenen Gründen meine Fürbitte bei Ihnen, sich doch seiner, soweit es geht, [???] anzunehmen, nicht ohne einiges Gewicht sein werde, ob er nicht einen falschen Schluß aber macht, mag er selbst sehen. Ich aber wollte Alles thun, um einen Menschen glücklicher zu machen.
Zum Schluß kann ich es nicht unterlassen, Ihnen nochmals zu bekennen, wie ein großer Verehrer ich Ihrer Musik bin. Ehe ich hier angestellt wurde, unterhielten einige Musikfreunde, unter denen auch ich war, in meiner Vaterstadt Witzenhausen1 ein musikalisches Kränzchen. Ich führte zuerst Ihre Gesangsachen dort ein und die Frau Baronin von Bodenhausen wurde bald eine solche eifrige Verehrerin Ihrer Duetten, Arien und kleinern Liedchen, von denen einige im Arion2 sich finden, daß sie oft wünschte, Sie möchten es wissen, welches Entzücken Sie uns bereiteten. Oft auch und noch vor einigen Wochen, wo ich die Meinigen besuchte, wünschte sie nichts sehnlicher, als daß sie Compositionen zu einigen Gedichten von Ihnen grade besitzen möchte, weil ihr diese Gedichte grade Niemand nach Wunsche componiren würde. Entschuldigen Sie, daß ich meinen Brief auf diese Weise verlängere, aber wie sollte es Sie nicht erfreuen, zu hören, wie eine Dame, von allem Körperreiz geschmückt, mit allem Seelenadel begabt, von Ihrer Musik mit solch' Entzücken spricht und so selbst für Sie empfindet? Ein solches großes Herz wiegt ein ganzes leichtsinniges Parterre auf und bewahrt still und im innern Heiligthum seine Gefühle. O, wie würden Sie diese Dame, die Zierde der Stadt und Umgegend, die zwar Freude, die Reichthum geben kann, besitzt, –
entzücken, wenn Sie Ihr zu Ehren einmal ein Lied componirten. – Von meiner Vorliebe für Sie wage ich nichts weiter zu sagen, denn es möchte den Anschein haben, als klänge es nicht wahr, und das will ich doch um jeden Preis vermeiden. Das nur beklage ich, daß Niemand hier ist, mit dem ich so gleiche Gefühle in dieser Beziehung habe, als dies mit der Baroness von Bodenhausen der Fall war. Indeß thue ich auch hier, was ich kann, indem ich Ihre Quartetten immer mehr einzuführen suche, von denen ich etwa 7 Parthien besitze bis jetzt. – Doch indem ich nochmals um Entschuldigung wegen der Freiheit meines Schreibens bitte, Alles Anderes aber, wo ich Ew. Wohlgeboren um Rath fragen möchte, verschiebe, bis ich einmal nach Cassel komme, wo ich auch schon vor etwa 5 Jahren Ew. Wohlgeboren meinen Besuch machte, habe ich die Ehre, mich zu unterzeichnen als
 
Ew. Wohlgeboren
hochachtender und ganz ergebener
Dr. Wiskemann, Lehrer am Gymnasium.

Autor(en): Wiskemann, Heinrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Bodenhausen, Elisabeth
Budemann (Schauspieldirektor)
Weitzmann (Bass)
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Hersfeld
Witzenhausen
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1837092247

Spohr



Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Wiskemann an Spohr, 24.01.1841.
 
[1] Wiskemann stammte aus Röhrda bei Eschwege. Nach Witzenhausen kam er im Alter von 17 Jahren, als sein Vater 1827 dorthin versetzt wurde (vgl. Friedrich Koldewey, „Wiskemann, Heinrich“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 43 (1898), S. 539ff. [Online-Version]).
 
[2] Z.B. Louis Spohr, „Romanze aus Zemire und Azor“, in: Arion: Sammlung auserlesener Gesangstücke mit Begleitung des Piano-Forte, Bd. 1, Braunschweig 1828, S. 82-86.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (05.02.2018).