Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Wieck:1

Sr Wohlgebor.
Herrn Kapellmeister Doctor
Louis Spohr
in
Cassel

frei1


Hochzuverehrender Herr Kapellmeister,

Clara2 war sehr erfreut über Ihr gütiges Schreiben, das so aufmunternd war für neue Bestrebungen.
Da das jetzige, vielleicht erst seit 1½ Jahren sich ausbildende, sogenannte Orchesterspiel auf dem Pianoforte wofür Thalberg zu wenig thun kann seiner flachen Kompositionen wegen, die er nur fast ausschließend vorträgt: so wollen wir gegen3 Ende Septbr. nach Prag, Wien und München gehen, um zu versuchen, wie man in Gegensatz von den Thalberg’schen Portpourris die Kompositionen von Chopin, Robert Schumann, dem merkwürdigen Adolph Henselt, Liszt und von Clara selbst aufnehmen wird.
Weil wir nun schon seit vorigen Winter alle Concerte aus vielen Gründen ohne alle Begleitung (Duo’s und Trio’s natürlich ausgenommen) blos von Sängern unterstützt, geben, so hat Clara auch einige Ouverturen nach der Partitur orchestermäßig auf dem Pianoforte wieder zu geben versucht – eine merkwürdige Aufgabe – und damit zuletzt in Berlin und Hamburg viel Glück gemacht. Neben der Ouverture aus Oberon hat Sie auch die aus Jessonda bearbeitet; sie macht einen seltenen Effect und alle Kenner, die sie von Clara gehört, wünschen dieselbe so von der 18jährigen Jungfrau Ihnen vorgelegt zu wissen. Wir machen uns Hoffnung, dieß vielleicht auf der Rückreise thun zu können; vorher mag sie aber dieselbe ohne sich nicht schicken – aus Pietät gegen das herrliche Tonwerk und gegen den Schöpfer derselben.
Sie waren so gütig, der Clara einige Empfehlungen zuzusagen – dürfen wir wohl bitten, in einer oder die andere oben erwähnte Stadt an eine hochstehende einflußreiche Person uns einige Zeilen4 anzuvertrauen? An Haslinger und andere musikalische Personen hat sich Clara schon empfohlen theils durch ihren Ruf, theils weil der erste ihre beiden neuesten Kompositionen „Variations de Concert p. Pfte solo“ und „d° Scenes dramatiques“5 in Verlag genommen.
Sie wünscht sehr gern an einen hochadlige musikalische Familie namentlich in Wien, empfohlen zu seyn, die vielleicht auch persönliches Interesse nimmt. Nun, Sie wissen selbst am besten, was der Clara frommen wird und halten uns Ihrer fortgesetzten Theilnahme und Liebe für gewiß.
Der Frau Gemahlin und der Frau von Malsburg empfehlen wir uns verbindlichst und sehen einer gütigen Antwort entgegen.
Mit aufrichtiger Verehrung

Ew. Wohlgeboren
gehorsamster Diener,
Friedrich Wieck.

Leipzig,
d. 30 Aug
1837



Der letzte Brief der Korrespondenz zwischen Spohr und Friedrich Wieck ist 17.10.1831; dieser Brief ist jedoch die Antwort auf Spohr an Clara Wieck, 15.02.1837.

[1] Links neben dem Adressfeld befinden sich die Poststempel: „Leipzig / 30 Aug 37“ und „1 SEP1837“.

[2] Clara Wieck, später verh. Schumann.

[3] „gegen“ über der Zeile eingefügt.

[4] uns einige Zeilen“ über der Zeile eingefügt.

[5] Offensichtlich der „Hexentanz für Klavier“ aus den Quatre pièces caractéristique op. 5, die vollständig bereits bei Whistling erschienen waren.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.03.2020).