Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

durch Güte1 des Hr Booth

Sr. Wohlgeb.
Herrn Kapellmeister
Louis Spohr
zu
Cassel


London. Dienstag, den 22ten August 1837.

Verehrter Herr Kapellmeister!

Ich habe drei Jahre verfließen laßen, ohne Ihne vom mir ein LebensZeichen zu geben; seyen Sie versichert daß es nur zu oft meine Absicht war, Ihnen brieflich auszudrücken wie dankbar ich mich stets Ihrer und der großen Güte welche Sie für mich gehabt haben, erinnere; Allein, mein Leben war wirklich von dem Zeitpunkte an daß ich nach England zurück kam2 bewegt, daß ich erst jetzt3 nachdem Schluße der diesjährigen Saison und nachdem ich durch den Tod des verstorbenen Königs meiner Geschäfte am Hofe entledigt bin dazu komme meinen längst gefaßten Entschluß in Ausführung zu bringen. – Ich brauche Ihnen wohl nicht4 zu sagen, daß durch meine Reise nach Deutschland und besonders durch den Unterricht, den ich von Ihnen genoß, meine hiesige Stellung, nach meiner Rückkehr um ein Bedeutendes erhöht ward. Gleich in der ersten Saison darauf wurde ich in benefice Conzerten oft in Anspruch genommen, und gab selbst ein recht brillantes Concert; den Winter darauf veranstaltete ich mit drei jüngeren Musikern5 „Quartett Concerte,“ die mich zwar in schroffe Opposition zu Mori6 setzten mir aber viel Ruf7 im Musikalischen Publicum verschafft haben; und so kann ich wol sagen daß ich meine Stellung von Jahr zu Jahr höher gesteigert habe. – Doch um meine musikalische Bildung immer mehr zu fördern beabsichtige ich dieses Jahr, und zwar schon im October eine zweite8 Reise nach Deutschland zu unternehmen. Zuerst denke ich zwar nach Wien zu gehen; doch auf meiner Rückreise werde ich auf jeden Fall Caßel berühren und hoffe daß es mir dann die Zeit gestatten wird mich länger dort aufzuhalten, wo ich dann wieder sehr auf Ihre Güte rechne, doch ehe ich das Vergnügen habe Sie persönlich zu sprechen muß ich Ihnen9 auf das Herzlichste für die Zeilen danken die Sie mir durch Herrn Hill voriges Jahr zuschickten; auch muß ich Sie noch von dem traurigen Falle unterrichten, daß ich meinen lieben Vater zu Anfang des vorigen Winters verlohrenhabe, wodurch mir fast allein die Erhaltung meiner Familie anheim gefallen ist. –
Ich weiß nicht ob ich zu viel wage, indem ich Sie bitte mir diesen oder jenen Empfehlungs-Brief nach Wien zu geben; sollten Sie mit jener Stadt noch in nöherer Verbindung [stehen, so] würde Sie mich sehr verbinden, wenn Sie dan[n die] Empfehlungen gegen Mitte October an Hr Kuper nach Frankfurt für mich sendeten; auch Prag, Dresden, und Leipzig denke ich auf meiner Reise zu passiren. So denke ich ohngefähr Ende Januar in Caßel eintreffen zu können, wo ich hoffe Sie gesund und wohl wieder zu sehen. – H. G. Hausmann, welcher hier seit der letzten Saison bei mir sich aufhält, und länger hier zu bleiben gedenkt, läßt isch Ihrem Andenken bestens empfehlen. Er, wie ich selbst, sendet die herzlichsten Grüße an die Herren Wiele, Hauptmann und Alle, die sich in Caßel unserer erinnern. –
Ich sende diesen Brief durch Güte des Hr Booth, der als Engländer sich sehr freuen würde Ihre berühmte Bekanntschaft zu machen, obwohl er selbst nicht musikalisch ist. – Mit den herzlichstne Wünschen für Ihr Wohl schließe ich als

Ihr Ihnen stets dankbarer
Schüler
Henry G. Blagrove. –

No 88. Norton Street
Portland Place
London.

Autor(en): Blagrove, Henry
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Blagrove, Richard Manning
Booth
Dando, Joseph
Gattie, Henry
Hauptmann, Moritz
Hausmann, Georg
Hill, Ureli Corelli
Kuper, Henry
Lucas, Charles
Mori, Nicola
Wiele, Adolph
Wilhelm IV. Großbritannien, König
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Dresden
Frankfurt am Main
Kassel
Leipzig
London
Prag
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1837082240

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Blagrove, 10.05.1836. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Blagrove an Spohr, 15.06.1839.

[1] „Schließt man den Brief Jemanden zur Uebergabe bei, so schreibt man auf die Adresse: ,Durch Inlage‘ – ,durch Beischluß‘ – ,durch Einschluß‘ – ,durch Güte‘“ (Neuester und vollständigster deutscher Universal-Muster-Briefsteller, sowie österreichischer Privat-Geschäfts-Secretär, welcher alle im bürgerlichen Leben vorkommenden schriftlichen Aufsätze zu verfassen lehrt, Bd. 1, o.O. [1842], S. 124).

[2] „kam“ über zwei gestrichenen Wörtern eingefügt.

[3] „jetzt“ über gestrichenem „dazu“ eingefügt.

[4] „nicht“ über der Zeil eingefügt.

[5] Hier ein Buchstabe gestrichen. – Die drei Quartettpartner von Blagrove sind Henry Gattie, Joseph Dando und Charles Lucas (vgl. „Quartett Concert“, in: Musical World 5 (1836), S. 10f.).

[6] Hier gestrichen: „hin“.

[7] „aber viel Ruf“ über gestrichenem „haben“ eingefügt.

[8] „zweite“ über der Zeile eingefügt.

[9] Hier gestrichen „doch“ oder „durch“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.02.2022).