Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Wohlgeborner
sehr verehrter Herr Kapellmeister!

Wie sehr es mich kränken muß, jetzt – nachdem ich in 3. nacheinander neueinstudirten Opern unbeschäftigt blieb, eine Chorparthie in der Ballnacht1 zu erhalten, während die Rolle des Reiterholm an allen Orten vom hohen Baßisten gegeben wird (H. Hauser, Wächter, Pök, selbst Krieg hat solche in Braunschweig als Bariton engagiert, gesungen) können Sie sich denken, um so mehr da, wie noch ganz deutlich auf der Stimme mit Bleist. geschrieben Ellenberger zu lesen ist, u. mir von Gott u Rechtsfragen die Parthie des Reiterholm als hohe2 Bass u Spielparthie zukommen.
Auch die Parthie in Norma ist hoher Bass; die Gründe warum ich seit 6 Wochen ganz unbeschäftigt blieb, warum mir alle Rollen entzogen werden, u. warum ich noch zu einem Choristen herunter gewürdigt werden soll, will ich nicht untersuchen, aber das glaube ich mir schuldig zu seyn, Euer Wohlgeboren aufmerksam daß Sie mir selbst sagten; H. Krieg habe um diese Rolle schon suplizirt. Wenn er selbst nicht fühlte, daß nach seiner hiesigen Stellung die Rolle ihm nicht zu kam, würde es wohl nöthige gewesen seyn, 6 Wochen vorher schon darum zu supliciren? Sagten Sie mir nicht, wir könnten in der Parthie alterniren? Oder sollte ich auch hier mich im Irrthum befinden?
Genug davon – bei meinem Engagement sicher, hatte ich das Offert in Ffrth mit einer Gage von 1700 fl. im Contract zu treten, ich zog vor hier 1200 fl. zu erkiesen(???), weil unter Guhr, der als ein amoralischer Mensch mir geschildert war, nicht seyn wollte, hätte ich es angenommen, so wäre mir nun wenigstens die Aussicht nach 13. Jahren auf eine Pension, was aber ist hier zu hoffen?
Als ich vor 3. Jahren den neuen Contract schloß, sprach ich Euer Wohlgeboren in Ihrem Zimmer, u. bemerkte daß erst ausdrücklich im Contract steht, für alle erste hohe Bass u Baritonparthien. Hierauf erwiederten Sie, daß es nicht nöthig seyn, da ich ohnedieß wie ich selbst wiße alle tiefe Rollen von Ihnen zugetheilt erhielte. Früher habe ich 5 Jahre lang, weder den Don Juan, Telasco3, Barbier, Senneschall4, Wallburg in Straniera, Wasserträger5 pp. erhalten, habe kein Wort darüber geäusert, jetzt aber nachdem ich für die Erhaltung einer zahlreichen Familie zu sorgen habe, halte ich es für meine Pflicht, mir die Mittel nicht nehmen zu lassen, in meiner Kunst vorwärts zu kommen, um mir die Gunst des Publikums zu erhalten; Ich bitte Sie daher mir die Rolle des Reiterholm zu übermachen, damit ich bei den Proben sie gehörig einstudiren, u wie es mir zukommt, zuerst sie singen kann,wenn sie H. Krieg denn behalte.
Auch bitte ich alle meine im Tenorschlüßel geschriebenen Seccoparthien mir abzunehmen, da ich mit einem Einjährigen Contract meine Stimme nicht aufs Spiel sezen kann.
Auf Ihr Rechtlichkeitsgefühl vertrauend habe ich die Ehre zu seyn
Euer Wohlgeboren

ergebenster
HFöppel.

d. 12t Juny
1837.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Föppel an Spohr, 20.12.1824.

[1] Gustave III. ou Le bal masqué von Daniel-François-Esprit Auber.

[2] Am Wortende gestrichen: „r“.

[3] Rolle in Fernand Cortez von Gaspare Spontini.

[4] Rolle in Jean de Paris von François-Adrien Boïeldieu.

[5] Les deux journées von Luigi Cherubini.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (14.07.2022).