Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,256
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 170 (teilweise)

Frankfurt a/m 23 April 1837

Theurer Freund!

Ich habe die Beantwortung Ihres Schreibens um einige Tage verzögert, in der Hoffnung daß Herr Mendelssohn bis dahin von seiner Reise zurück sein würde. Er ist nämlich nach seiner Verheirathung von hier abgereiset, wahrscheinlich nach Berlin und bis heute noch nicht zurück gekehrt. Sollte er in diesen Tagen zurückkehren, so werde ich Ihren Auftrag pünktlich besorgen. Nächsten Montag und den darauf folgenden Freitag wird der Paulus vom Cäcilienverein durch Hiller dirigirt aufgeführt. Es ist ein sehr bedeutendes Werk, das große Schönheiten enthält. Da es nun das erste große Werk ist, das von M. erscheint, so läßt sich wohl nach ihm ein Urteil über seine Eigenthümlichkeit feststellen. Es scheint daraus hervorzugehen, daß nicht sowohl Kraft und große rhythmische Formen als wesentlich zarte, weiche und dabei edle Elemente den Typus seiner Leistungen ausmachen. Namentlich sind die kleinen Solis von herrlicher Wirkung. – Von Meyerbeer in Paris habe ich ein sehr schönes Geschenk, Clavierauszug und Partitur der Hugenotten erhalten. Diese Oper wird zur Herbstmesse hier gegeben. – Ueber Dlle Hoffmann kann ich Ihnen folgendes sagen: Sie ist die Tochter des verstorbenen Clarinettisten Hoffmann. Sie hat eine hübsche Altstimme, eine angenehme Gestalt auf der Bühne, allein ihre Gesangsmittel sind ziemlich beschränkt u. ihr Wirkungskreiß beschränkt sich auf das Soubrettenfach. – Sie hat hier einen Gehalt von f 700. und ohne Verbesserung wird sie Ffurt nicht verlassen, da sie sonst in angenehmen Verhältnissen lebt.
Anbei der Betrag für die beiden verkauften Exemplare.
So eben höre ich noch daß Mendels. in England ist, um dort sein Oratorium aufzuführen.

Ihr treu ergebenster
WmSpy.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Speyer, 15.04.1837. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Speyer an Spohr, 04.10.1837.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.03.2016).

Frankfurt, 23. April 1837.

... Nächsten Montag und den darauf folgenden Freitag wird der ,Paulus’ vom Cäcilienverein, durch Hiller dirigiert, aufgeführt. Es ist ein sehr bedeutendes Werk, das große Schönheiten enthält. Da es nun das erste Werk Mendelssohns von dieser Bedeutung ist, welches an die Öffentlichkeit tritt, so läßt sich auch eher ein Urteil über sein Kunstschaffen im allgemeinen feststellen. Es scheint daher, daß nicht sowohl Kraft und große rhythmische Formen als wesentlich zarte, weiche und dabei edle Elemente den Typus seiner Schöpfungen darstellen. Von den Soli namentlich sind viele von herrlicher Wirkung. – Von Meyerbeer in Paris habe ich ein sehr schönes Geschenk, Klavierauszug und Partitur der ,Hugenotten’ erhalten. Diese Oper wird demnächst hier gegeben ...