Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Thomae:5

Sr. Wohlgeboren
dem Kurfürstlich Hessischen Hof-Kapellmeister
Herrn Dr Louis Spohr
in
Cassel
kurf. Hessen

Franco

Nebst einem Paket
Musikalien, in schwar-
zem Wachspapier, gezeich-
net H.L.S.
Cassel No 17.1


Cleve den 3 April 1837.

Mein hochverehrtester Freund!

Für die mir gütigst geliehene Partitur Deines herrlichen Oratoriums: die letzten Dinge, sage ich Dir meinen herzlichsten, verbindlichsten Dank! sie erfolgt hierbei wieder zurück, so wie ich sie erhalten habe, da ich leider! bis jetzt keinen Gebrauch davon habe machen können; ich hegte wohl immer die Hoffnung dies Oratorium hier zur öffentlichen Aufführung bringen zu können; wozu alles gehörig vorbereitet und tüchtig (wenigstens was die Vokalparthie betrifft) einstudirt war, – diese Hoffnung, welches das ganze hiesige Publikum lebhaft theilte, hat sich jedoch noch immer nicht realisiren können, wegen eingetretener Verhinderungen, erhobene Anmaßungen und dadurch herbeigeführter Weiterungen, – wie solche Dinge sich dann, leider! so oft in Zirkeln von Dilettanten und s.g.2 Künstlern, wie hier und anderwärts, ereignen! und da Du um Ostern die Partitur bedurftest: so habe ich solche nicht länger zurückhalten dürfen.
Zu Deiner zweiten ehelichen Verbindung wünsche ich mit den sämtlichen Meinigen Dir aufrichtig Glück und hoffe und vertraue, daß solche ungetrübt Deine Tage erheitern und erfreuen möge! Du würdest uns eine übergroße Freude bereiten, wenn Du mit Deiner Gattin uns einen baldigen Besuch schenken wolltest und uns dadurch die erwünschte persönliche Bekanntschaft Deiner Lebensgefährtin gewährtest! Vielleicht machst Du ja einmal wieder eine Rheinreise oder eine Reise nach Holland,wo du uns dann einige Tage schenken könntest!
Deiner Einladung zu dem dort, ebenfalls zu Pfingsten, statthabenden Musikfeste würde ich mit herzlicher Freude Folge leisten, wenn nicht Hindernisse mancherlei Art sich dem wiedersetzten! Habe inzwischen herzlichen Dank dafür und vergönne mir, Dich und das schöne Cassel, das ich noch nicht sah, später einmal zu besuchen. – Das rheinische Musikfest wird in diesem Jahre in Aachen gefeiert werden; Ries wird dirigiren und hat dazu eigens ein Oratorium: die Könige Israel’s componirt; ich beabsichtige, diesem Feste beizuwohnen, wenn die Jahreszeit (Pfingsten trifft in diesem Jahr gar zu früh ein) nicht etwa zu ungünstig ist. – Die Grippe hat unsere Stadt sehr heimgesucht, kein Haus, keine Familie ist davon verschont geblieben, nur war sie nicht bösartig, und nur wo das alte Uebel eingewurzelt waren oder sonstige Leiden mitwirkten, wurde sie tödtlich; wir Alle haben daran gelitten, meine Frau gar zwei Male und am meisten und längsten, sie hat neun Wochen lang das Schlafzimmer nicht verlassen; jetzt geht es, Gottlob! wieder ziemlich wohl.
Ueber Deine schriftstellerische Thätigkeit habe ich mich sehr gefreu[t] und nehme ich den größten Antheil daran, muß aber ebenso lebhaft bedauern, daß es mir hier nicht vergönnt ist, von Werken mich der Ausführung zu erfreuen: ich kann mich in dieser Beziehung nur mit der Hoffnung auf günstigere Zeitung trösten.
Besonderes hat sich seither hier nicht ereignet, – Der Rhein hat uns glücklicherweise auch im verflossenen Winter mit Unglücksfällen und Durchbrüchen verschont, welches Glück wir seit mehren Jahren genießen, das für unsre Gegend ein sehr bedeutendes ist. – Meiner ältesten Tochter Mina geht es, Gott sei Dank! bis jetzt recht wohl, sie wohnt jetzt in Zwolle (einer Gouvernementsstadt der Provinz Overyssel von etwa 15000 Einwohnern) wo ihr Mann, Crönert, Musikdirector geworden ist und sein gutes Auskommen; unser zweiter Sohn Edmund studirt jetzt in Berlin Medicin bereits im nun beendigten 5t Jahre.
Lebe wohl, mein hochverehrtester Freund, meine Frau und Kinder sagen Dir unendlich viel Freundliches und Herzliches, und bitten Dich mit mir, uns Alle Deiner hochgeschätzten Gattin und Deinen Kindern, besonders der guten Therese, angelegentlichst zu empfehlen. Ganz und unveränderlich der Deinige
Fr. Thomae



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Thomae. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Thomae an Spohr, 15.09.1844.

[1] Rechts oben auf dem Adressfeld befindet sich der Poststempel „CLEVE / 3 / 4“.

[2] „s.g.“ = Abk. f. „so genannten“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.12.2020).