Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochgeehrtester Herr Kapellmeister,
Theuerster Freund,

vor ungefähr zwei Jahren entdeckte ich in dem hiesigen Theaterchor einen Tenoristen, der eine Stimme von seltenem Umfange besaß und Begierde zeigte, etwas mehr zu lernen, als zu einem Choristen gehört. Ich gab ihm von jener Zeit an täglich eine Unterrichtsstunde und verschaffte ihm Gelegenheit, in Privatgesellschaften zu singen, dass er nun zum guten Sänger gediehen ist, der bei einiger Nachhilfe, besonders im Spiel, das Theater mit Glück wird betreten können.
Wollen Sie diesen jungen Menschen haben, so können Sie ihn für einen sehr geringen Preis erhalten, doch mit der Bedingung, dass Sie ihn nach und nach auf dem Theater einführen. Ich will ihn und seine Stimme näher beschreiben. Er ist ein recht hübscher fünfundzwanzigjähriger Mann von mittlerer Größe, gutherzig und folgsam, eifrig und fleißig in seiner Kunst. Von den gewühnlichen Marotten der Schauspieler und Theatersänger hat er keine Ahnung. Seine Stimme hat einen Umfang vom kleinen c bis zum eingestrichenen b mit reiner Brust. Nimmt er die Fistel zu Hilfe, die ich der ruststimme schon sehr gut anschließt, so singt er bis zweigestrichen d. Er ist ein eigentlicher Tenor, der nichts Baßartiges hat und ungefähr so klingt, wie die Stimme des verstorbenen Gerstäker. Zu allerlei Passagien hat er entschiedene Anlage und wird auch den Triller bald lernen. Die Partie des Sargino Figlio in Paers Oper ist ihm ganz gemäß, wie auch der Belmonte in Mozarts Entführung aus dem Serail. Nur einen Fehler hat er noch nicht ganz abgelegt, seine Aussprache der Vokale nämlich bedarf noch hin und wieder der Verbesserung.
Nähmen Sie diesen jungen Mann jetzt nach Cassel und suchten ihm den Sommer hindurch einige Routine auf dem Theater zu geben, so würden Sie schon nächsten Winter Vortheile von ihm ziehen können.
Schon vor vier Wochen gab ich einem Reisenden einen Brief desselben Inhaltes an Sie mit, den Sie aber wahrscheinlich nicht erhalten haben, denn ich bat um schleunige Antwort, weil die lage des jungen Mannes von der Art ist, dass er bald eine Anstellung haben muss, die ihm auch bei seiner Stimme und Fertigkeit, und bei seiner Bescheidenheit nicht fehlen wird. Am liebsten vertraue ich ihn aber Ihrer Leitung, und deshalb schreibe ich noch einmal. Seinen Namen habe ich zu nennen vergessen, er heißt Töpke und war früher einige Jahre Militär; seiner schönen Stimme wegen nahm mahn ihn aufs Theater.
In der Hoffnung, daß Sie mir sehr bald Ihren Enschluss mittheilen werden, bin ich mit vorzüglicher Hochachtung und Verehrung

Ihr
ergebenster
Griepenkerl

Braunschweig d 13ten Febr.
1837.

Autor(en): Griepenkerl, Friedrich Conrad
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Töpke
Erwähnte Kompositionen: Mozart, Wolfgang Amadeus : Die Entführung aus dem Serail
Paër, Ferdinando : Sargino
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Braunschweig>
Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1837021346

Spohr



Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.06.2022).