Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Thomae:4

Sr. Wohlgeboren
dem Churfürstlich Hessischen Hof-Kapellmeister
Herrn Louis Spohr
zu
Cassel
(Churf. Hessen)

frei.1


Cleve den 13 Januar 1837.

Mein höchst verehrter Freund!

Die von dem, unter meiner Leitung hier bestehenden, fünfzig Mitglieder (worunter recht brave) starken Singverein beabsichtigte Aufführung Deines trefflichen Oratoriums: Die letzten Dinge, veranlaßt mich zu der Bitte, die ich mir hierdurch Dir zu thun erlaube, daß Du die Güte haben mögest, nur die Partitur davon, behufs der Proben mit dem Orchester u. der Aufführung, zu leihen und mir solche, wenn irgend möglich, umgehend zur Post zu schicken: ich werde sie nicht aus meinen Händen geben, rein und unversehrt erhalten u. sie die nach der Aufführung, sofort wieder zurückzuschicken. Ich hoffe Du nimmst mir diese Bitte nicht übel und gewährst mir sie, ich rechne darauf, denn ohne die Partitur2 könnte die Aufführung nicht unternommen werden, und dann wäre unser sorgfältiges Einstudiren ohne die beabsichtigte Wirkung u. wir u. das Publikum um die angemessene(???) Erwartung dieser öffentlichen Aufführung gebracht. – u. das wirst Du doch nicht wollen?!
Daß Du, hochverehrtester Freund, Dich einer zweiten Gattin wieder vermählt hast, ist mir von so vielen Seiten versichert worden, daß ich, auch ohne von Dir selbst die angemessene Kunde erhalten zu haben, nicht zweifeln darf; ich und die Meinigen wünschen Dir herzlich Glück dazu und bitten Dich,3 Deiner verehrten Gattin angelegentlich, freundlich und herzlich – obwohl unbekannt – zu empfehlen. Der Himmel segne und beglücke dies geknüpfte Band!
Wie geht es Dir sonst und den lieben Deinigen? Hoffentlich wohl, die Bestätigung unserer Hoffnung würde uns herzlich freuen; so wie es mir sehr erwünscht seyn würde etwas über Deine musikalische Thätigkeit mitgetheilt zu erhalten; wird die musikalische Welt sich bald wieder eines bedeutenden Werkes Deiner trefflichen, seelen- und gemüthvollen Composition zu erfreuen haben? ich hoffe ja!
Die Empfehlung des H. Eckhardt, den dieselbe von Deiner Seite bei mir gebracht u. über den Du mir noch besonders geschrieben hast, beruhte wohl mehr auf Deinem Wunsch, denselben als Familienvater zu seinem Fortkommen und Bestehen behilflich zu seyn, als auf Deiner eigen Überzeugung von seinem Werthe und seiner Tüchtigkeit! Seine Leistungen als Musiker sind zwar vielseit. aber weder gründlich noch den Anforderungen der Kunst genügend, dabei ist er (unter uns gesagt) leichtsinnig, auffahrend trotzig – u. windbeutelig! er sitzt voll von Schulden. – was mit dem werden soll, weiß ich nicht, – er hat es hier schon mit Viel[en] verdorben, auch mit dem alten würdigen Kriegs Rath v Amm[on] u. daran hat er recht dumm gethan!
Ich war im vorigen Sommer zum Universitäts-Jubiläumsfest in Ütrecht bei meinem lieben Freunde Kufferath’s. Die Cantate (ein großes Werk in 3 Theilen) die Kufferath besonders dafür componirt hat u. in einer Kirche aufgeführt wurde, erwarb den allgemeinsten u. lautesten Beifall, den sie, meiner Meinung nach, auch verdiente. Ich wünschte daß der Holländ. Text in’s Deutsche übersetzt würde, damit sie auch in Deutschland bekannt werden könnte, denn mit Holländ. Text wär’s doch ein Gräuel!4
Hier geht’s beim Alten, – meine gute Therese kränkelt von Zeit zu Zeit so wie mein Söhnchen Heinrich; meiner ältesten Tochter Mina5 geht es in Holland wohl. Sie wohnt jetzt in Zwoll, wo ihr Mann, Crönert, Musikdirector ist. Mein zweiter Sohn Edmund ist in Berlin, wo er sein Studium als Arzt in diesem Jahr beendigen wird: Meinen ältesten Sohn Fritz6, (den Notar) geht es mit der Frau7 sehr wohl, – aber wohl immer noch keine Hoffnung zur Nachkommenschaft. – – Lebe recht recht wohl geliebter Frd. Die Meinigen empfehlen sich mit Dir? alle den lieben Deinigen angelegentlichst, besonders aber noch der guten Therese. Gedenke zuweilen Deines Dir treu ergebensten Freund Fr. Thomae Senior



Der letzte erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Thomae, bis 30.09.1835. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] Rechts oben auf dem Adressfeld befindet sich der Poststempel „CLEVE / 13 / 1“, links unter dem Adressfeld der Stempel „[???] JAN 1837“.

[2] „Partitur“ über der Zeile eingefügt.

[3] Hier ein Wort gestrichen („auch“ oder „und“?).

[4] Die Kantate erschien wirklich mit deutschem Text: Jubel-Cantate ter Gelegenheit van het tweede Eeuwfeest der Utrechtsche Hoogeschool door Mr. M.C. van Hall verzykt met eenen hoogduitschen text door den Baron von Eichsdorff, in Musik gebragt […] van Johannes Hermann Kufferath, Utrecht [1837]. – Zur Aufführung vgl. „Utrecht, im März“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 35 (1833), Sp. 324.

[5] Wilhelmine Crönert.

[6] Friedrich Heinrich Ludwig Thomae.

[7] Auguste Thomae.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.12.2020).