Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Wohlgeboren
dem Herrn Kapellmeister L. Spohr
zu
Cassel.


Wohlgeborner,
Hochzuverehrender Herr Kapellmeister!

Meine Voraussetzungen scheinen leider in Erfüllung zu gehen, denn bis jetzt hat sich noch nicht die mindeste Gelegenheit dargeboten, irgend ein Engagement für die bei uns erledigten Fächer anknüpfen zu können; da bei allen Theatern die wir bisher gesehen kein Individuum aufzufinden war, welches uns nützlich gewesen, oder eine Anstellung anzunehmen gewilligt war.
In Coburg trafen wir zwei Bassisten, Illner und Gerl; Letzterer ein junger, schöner Mann, würde vermöge seiner Stimmelage für unser Bedürfniß sich ganz geeignet haben, und selbst mit Verletzung seiner dortigen Verpflichtungen gern einen Contract eingegagen sein, wenn seine kurz bevorstehende Verheirathung mit einem Mädchen aus einer dort ansässigen Familie, nicht ein Hinderniß gewesen wäre. Illner hat erst kürzlich einen zweijährigen Contract dort abgeschlossen, und sein Gastspiel bei uns hatte für ihn keinen anderen Zweck, als das Honorar zu erlangen.
In Leipzig waren erst kürzlich alle Contracte erneuert und auch, außer dem zweiten Tenoristen etwa, kein Mitglied von Bedeutung vorhanden. Die Notizen, welche ich von Herrn von Alvensleben erhielt, habe ich an Herrn Rüdinger mitgetheilt, und wahrscheinlich werden die nöthigen Schritte, in Leipzig hierauf, geschehen sein.
In Dresden ist das Opernpersonale in mancher Hinsicht sehr beschränkt und übermäßig bezahlt, so daß an ein Engagement von dort gar nicht zu denken war. Auch in Prag war dies der Fall, und der Bericht, den uns Ihr Freund, Hr. Kleinwächter, abstatte, benehmen mir gleich von vorn herein jede Hoffnung, dort Verhandlungen anknüpfen zu können. Wir benutzten übrigens den dortigen Aufenthalt, um uns nach den vorhandenen Schülern des Conservatoriums umzusehen, und Madame Sandrini, Lehrerin an diesem Institute, hattedie Gefälligkeit uns zwei ihrer besten Schülerinnen vorzustellen und Beide singen zu lassen. Der Erfolg entsprach jedoch unseren Erwartungen in keiner Hinsicht; den Beide standen in ihrer Ausbildung noch bedeutend gegen Dlle Reithmeyer zurück und waren dabei sehr unschön. An männlichen Individuuen ist dort solcher Mangel, daß nicht einmal die Chöre hinlänglich besetzt werden können.
Hier in Wien ist seit der letzten Zeit, von Cerf in Berlin, Alles ausgebeutet was irgend vorhanden war, und der Rest von den hiesigen Theatern in Beschlag genommen, so daß gegenwärtig sich auch nicht eine Person vorfindet, auf die man hätte reflektiren können.
Hr. Hauptmann wird Ihnen über den Zustand der Wiener Oper das Nähere, und wahrscheinlich nicht das Liebenswertheste, mittheilen.1
Morgen 13ten2 reisen wir von hier ab, und gedenken über Linz, München, Augsburg, Nürnberg und Würzburg den Rückweg anzutreten. Die Reise ist bei dem so plötzlich eingetretenen Winter sehr beschwerlich, und wurde des Nachts, besonders in den böhmischen Gebirgen, wo viel Schnee gefallen war, höchst unangenehm und gefahrvoll. Sobald wir uns Cassel wieder mehr genähert haben, um mit einiger Wahrscheinlichkeit über unser Eintreffen etwas Bestimmtes mittheilen zu können, werde ich Nachricht an Sie gelangen lassen und die verehrliche Hoftheater-Direction über den ferneren Erfolg meiner Sendung in Kenttniß setzen.
Hochachtungsvoll verbleibe ich

Ihr
ergebenster Freund u. Dr
Feige

Wien, am 11ten Novbr
1836



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Feige, 12.07.1833.

[1] Moritz Hauptmann reiste in dieser Zeit ebenfalls nach Wien (vgl. Spohr an Hauptmann, 03.11.1836; Spohr an Tobias Haslinger, 03.11.1836).

[2] „13ten“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (09.09.2021).