Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.1 <18360917>
Beleg: Autographen. Historische Autographen, literarische Autographen, Musiker, Schauspieler und bildende Künstler, Stammbücher. Versteigerung am 20., 21. und 22. Oktober 1926 (= Katalog Liepmannssohn 48), Berlin 1926, S. 174f.

Cassel den 17ten
September 36.
 
Geehrter Freund,
 
Beikommend erhalten Sie das gewünschte Textbuch zum Oratorium.1 Daß Sie dieß in Breslau, wo die nöthigen Mittel zu einer würdigen Aufführung vorhanden sind, geben wollen, freut mich sehr und ich habe bey Ihnen wohl nicht nöthig, um ein sorgfältiges Einüben zu bitten! Nur an eine sorgfältige Besetzung der Solostimmen mögte ich erinnern, weil ich erst kürzlich in Paderborn erlebt habe, daß die Ensemble-Stücke alle Wirkung verlieren, wenn sie schlecht gesungen werden.2 Besonders muß zu der Parthie von Jesus eine wohlklingende Stimme gewählt werden und diese darf dann ja nichts wie das Solo singen. Auch zu dem Terzett der 3 Freundinnen Jesu im 2ten Theil müssen die Stimmen mit Sorgfalt ausgewählt werden, damit keine die anderen übertöne. Vollkommen reine Intonation ist ohne dieß bey diesem Terzett unerlässlich und doch bey Diletantinnen so selten zu finden! – Auch bitte ich, sich streng an die Metronombezeichnung zu binden. In Paderborn wurden mehrere Tempi falsch genommen und dadurch alle Wirkung dieser Nummern zerstört. – Von den Orchestersachen ist das schwierigste, die accompagnirten Rezitative des 2ten Theils recht zart vortragen zu lassen, so wie bey den letzten Worten Jesus das Ersterben und ritardando des Orchesters recht gleichmäßig zu gestalten. Dieß habe ich hier sehr oft wiederholen müssen, bis es mir genügte. In Paderborn war es ganz verfehlt. – Das Adagio „wir sinken in den Staub“ kann nicht langsam genug genommen werden, um den folgenden Chor um so mehr zu heben! Doch genug der Erinnerungen. Ihre Fürsorge für das Werk wird Sie ohnehin unnöthig machen! So eben habe ich meinen Psalm für Chor und Solostimmen mit Clavierbegleitung beendigt, den ich aber nachträglich wohl auch noch für Orchester instrumentiren werde. Nun noch eine Bitte. Breitkopf u Härtel hatten mich gedrängt, ihnen Manuscripte zu geben; nun es aber zum Schluß kommt, bieten sie mir weniger als ich gefordert hatte. Ich breche daher mit ihnen ab und da Haslinger und Simrock bereits Manuscripte von mir haben, so mag ich diesen nichts weiter anbieten; ich suche daher für das Concertino und die beiden Duetts für Pianoforte u Violine2b einen anderen Verleger.3 Wenn ich mich recht erinnere, so fragten Sie einmal für einen breslauer Verleger4 bey mir um Manuscripte an. Ist dem so, so bitte ich Sie, diesem die 3 genannten Sachen in meinem Namen, jedes für ein Honorar von 150 th Preuß. Courant, anzutragen und wenn er sie verlegen will, es mich gefälligst wissen zu lassen. Es steht ihm übrigens frei, auch nur eines dieser Manuscripte zu nehmen, nur soll er nicht versuchen am Honorar abdingen zu wollen. Darüber bin ich mit dem Schlesinger auseinander gekommen und mag nun auch mit Breitkopf und Härtel nichts zu tun haben.
Wir bereiten hier ein Musikfest für nächstes Jahr vor und ich hoffe, alsdann auch Sie hier zu sehen. Vielleicht kommt L. Kleinwächter auch hierher.
Meine Frau und Therese grüßen herzlich.
Mit echter Freundschaft
 
stets
Ihr
Louis Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Hesse an Spohr, 11.09.1836. Hesse beantwortete diesen Brief am 23.10.1836.
 
[1] Des Heilands letzte Stunden.
 
[2] Vgl. Spohr an Hesse, 20.08.1836.
 
[2b] [Ergänzung 04.10.2021:] „u Violine“ über der Zeile eingefügt.
 
[3] Das Duo op. 95 und das Konzert op. 92 druckten schließlich doch Breitkopf und Härtel (vgl. Spohr an Hesse, 07.01.1837), das Duo op. 96 (Reisesonate) Simrock.
 
[4] Carl Gustav Förster (vgl. Hesse an Spohr, 23.10.1836).
 
[5] Louis Spohr plante für Pfingsten 1837 ein Musikfest in Kassel, das der Prinzregent zu diesem Zeitpunkt jedoch aus religiösen Gründen nicht genehmigte (vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 175, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 216).
 
Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.12.2014).