Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Bischoff, G.F.:9
Druck: Felicitas Marwinski, „Musik, das edelste Vergnügen ...“. Vom Collegium musicum zu Kantor Bischoffs Musikfesten. Musikkultur in Frankenhausen am Ende des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts, Weimar 2012, S. 87f. (teilweise)

Herrn Hof-Capellmeister Ritter Dr. Spohr
Hochwohlgeboren
zu
Cassel

frei1


Hildesheim, den 22 Aug. 1836.

Die Verspätung meiner Antwort wollen Sie, sehr hochverehrter Freund, gütigst entschuldigen; ich hatte einige Schul- u Kirchen-Feierlichkeiten zu des Königs Geburgstage gestern, auch wollte ich gern so genau wie möglich auf Ihre Fragen berichten, und habe deshalb meine Musikfests-Papiere durchgeblättert. Unter Letztern finden denn sich so manche u so höchst verschiedene Rechnungen daß es unsicher ist, ein Resultat daraus zu ziehen. Unter andern findet sich dabei eine Rechnung vom Capellmeister Guhr, damals in Cassel, welcher 1817 mit 8 Individuen aus seiner Capelle bei dem Hannoverschen Musikfeste Theil nahm, und dem ich für 2 Wagen, Zehrung unterwegs, inclusive eines Nachtlagers in Einbeck, 202 Rth habe bezahlen müssen! Eine solche unverschämte Prellerei hätte eine öffentlich Rüge verdient; allein ich verachtete Hrn Guhr zu sehr, um mich nochmals noch darüber zu ärgern, besonders da er auch noch meinen „Messias“, Clavierauszug und sämtl. Gesangs- u Orchesterstimmen, 20-30 mal duplirt, bei seinem Abgange aus Cassel mit verkuaft u mich darum betrogen hat. Ich habe aber auch höchst billige Rechnungen wieder gefunden, z. B. aus Clausthal u. a. O. selbst aus Hamburg. Braunschweig hingegen ist jedesmal mir sehr thuer gekommen. Bei den Festen zu Frankenhausen u Erfurt waren die Leipziger Quedlinburger2 und Sondershäuser (Hermstedt verstand es gute Rechnungen zu machen=) die kostbarsten; Gothaer, Rudolstädter die Allerbilligsten. Auch die Coburger gehörten damals zu den Letztern. Nach den Erfahrungen bei den letztern Elbmusikfesten, möchten wohl 12 Rth a Person von Hannover, Braunschweig aus nach Cassel u zurück gerechnet werden müssen. Wobei aber noch zu bemerken, daß große Wagen, welche man jetzt allerwärts sehr bequem hat, (die Berliner u Dessauer kamen auf solchen auch nach Braunschweig) gewonnen werden und 6-8-103 Personen zusammen fahren. Da aber auf solchen Wagen nur wenig Gepäck mitgenommen werden kann; so wäre aus diesen Städten ein besonderer Instrument-Wagen nörthig, welcher als bloße Fracht akkordirt, etwas früher und die Nacht durch abfährt u von dem betreffenden4 Concert-Diener begleitet wird. Ich habe diese Einrichtung jedesmal am zweckmäßigsten und am wenigsten kostspielig gefunden, da die Instrumente auf den Chaisen sehr vielen Platz wegnehmen; auch für die Instrumente selbst es gefahrenloser ist.
Für die Unterhaltung der auswärtigen Mitwirkenden, vorausgesetzt, daß solche gemeinschaftlich, wenigstens Mittag u Abend, in einem Lokale arrangirt wird, rechne ich inclusive der Logis u das Frühstück, 2 Rth a Person pro Tag u Nacht; also auf 4 Tage 8 Rth, wobei aber viel ersprat werden kann, wenn so viele als möglich frei bei Familien einquartirt werden können und nur Mittag u Abend zur allgemeinen Speisung kommen.
Bei dem letzten Feste in Braunschweig wurden höchstens 60-705 die auswärtigen Sängerinnen u Sänger, auch einige Herren vom Orchester, nur frei bei Familien einquartirt, diese erhielten aber alle Speisekarten ins Zelt. Die Mehrzahl der auswärtigen Mitwirkenden mußte – da die Gastfreundschaft der Braunschweiger sehr gering war – in Gast- u Privathäusern gegen Bezahlung untergebracht werden. Letztere hatten zwar auch ihre Speisekarten ins Zelt erhalten; allein an Frühstück, Abendbrod pp hatten H. Schade u H. Augustin aus Halberstadt, welche Alles dahin gehörige besorgten, nicht gedacht, und so entstand die fast allgemeine Unzufriedenheit, so daß die Hannoversche Capelle, die Clausthaler u unsere Hildesheimer Musiker pp den 2ten Tag schon wieder abreisen wollten, welches ich noch verhinderte und durch ein6 augenblickliches anderweitiges Arrangement im Sächsischen Hofe diesen gerechten Beschwerden abzuhelfen suchte. Natürlich wurden die Kosten dadurch vervielfacht, und was man bei vorheriger nöthiger Einrichtung mit 100 Rth vielleicht hätte machen können, kam nun 300-400 Rth.
Überhaupt bin ich der Meinung, daß die so weit ausgedehnte Zuziehung der Zuhörer (– in Braunschweig waren nun sogar die meisten besser7 Nichtzuhörer, wie ich selbst von Br. gehört habe –) zu den Speisungen nicht gut ist. Die Unternehmung wird dadurch kostspieliger und für die eigentlich Mitwirkenden nicht so erheiternd u angenehm, als wenn diese unter sich allein zusammen, vielleicht ausnahmweise mit einigen wirklich Kunstliebenden u befördernden Familien pp speisen. Wenn diese Speisungen in Masse veranstaltet werden, so müssen freilich, besonders wegen des Getränks, ökonomische8 Einrichtungen gemacht werden, die aber durchaus nicht für die Mitwirkenden passen. Z. B. nach einer 5 stündigen Probe in der größten Hitze sollten die Musiker mit einer halben kleinen Flasche Wein in Braunschweig ausreichen, bei einer Mahlzeit, die ebenfalls 5 Stunden dauerte! Wer mehr wollte, mußte bezahlen; das wollten und konnten aber Viele nicht, und dies war der erste Grund zur Unzufriedenheit. –
Daß die auswärtigen Singvereine auf eigene Kosten kommen und abreisen, ist früher noch nicht der Fall gewesen; erst bei dem letzten Br. Feste ist es eingeführt. Es wird dadurch eine bedeutende Ersparniß gemacht und ich halte es für sehr billig u zweckmäßig. Freilich tritt ein Umstand dabei ein, welcher nicht gut ist, aber doch durch Gewissenhaftigkeit der Musik-Directoren der Vereine wenigstens eingermaßen verhindert werden kann. Es ist nehmlich der, daß – so wie ich in Braunschweig bemerkt habe – nur die Wohlhabenden Damen u Herren, welche etwas auf die Reise wenden können, sich einfinden und die das nicht gut können, mögen sie auch noch so gut singen, zurückbleiben müssen. Doch das kann unter der Hand mit den betreffenden Directoren abgemacht werden. Da Sie von Mühlhausen ein Sänger Corps zu nehmen gedenken, so empfehle ich den Musikdirector Beutler daselbst als den Mann, an den Sie sich gefälligst wenden können, er wird schon eine gute Auswahl treffen. Es sind dort recht brave Sängerinnen u Sänger für den Chor. Ob Freund Heinroth in Göttingen seinen Gesang jetzt um guten Zustande hat, weiß ich nicht; seine Tochter Franziska wird sehr gelobt. Unter den Studierenden daselbst kenne ich mehrere sehr gute Treffer von meinen Schülern. Der Chor in Münden ist mir eine ganz unbekannte Gräße. Schade, daß Hildesheim zu weit von Cassel entfernt ist, sonst könnte ich ein respectables Gesang-Corps stellen, das mit Ebhren bestehen könnte. Ich habe jetzt allein am Königl. Andreano eine Gesang-Classe von 111 Stimmen; außerdem sind 2 Gesang-Vereine u eine Liedertafel hier; meine älteste Tochter ist erste Dom-Sängerin. Zu Pfingsten k. J. kommen die Liedertafeln des Weser Distrikts in Hannover zusammen, auch die hiesige. Ich bin kein großer Freund von diesen Liedertafel-Vereinen; die Musik, besonders die wahre, spielt dabei nicht die 1sten Violin, höchstens die Bratsche! – Da es aber Frei-Bier ist, so werden diese Gesangfeste stark besucht und noch stärker gelobt. – Unsere Liedertafel, besonders das Solo-Gesang-Quartett, ist übrigens sehr gut.
Was die Erbauung des Zeltes in Braunschweig gekostet hat, habe ich nicht erfahren können: so wie: ob die desfalsigen Kosten durch den Verkauf der Speisekarten u des Weines (letzterer war das einzige Gute dabei) gedeckt worden sind. H. Schade kann dieses aber selbst nicht wissen, da die Einnahmen von9 Concert u Speisekarten in eine Casse geworfen, wie ich auf dem Büreau(???) bemerkte, und überhaupt in dieser Hinsicht die größte Confusion statt fand.
Bei Gelegenheit der Übersendung einer Porcelan-Vase, mit der gewohnl.(???) sinnreichen Inschrift „zum Ankenken“ u. s. w. schrieb H. Schade, daß noch einige hundert Thaler fehlten, um die sämtl. Ausgaben zu decken. Das kann ich aber nicht begreifen! – Wahrscheinlich will man die angeknüpfte Leinwand zum Zelte für die künftigen Elbfeste beihaten, und dann ließe sich die Sache erklären, oder die, bei der ganzen Unternehmung vorherrschenden, kaufmännische Oeconomie bringt diese Lesart auf, um keine Präsente an die Dirigenten u andere Individuen, die es wohl sauer verdient hätten, zu machen. Nach der am 3ten Musikfesttage in Braunschweig gehaltenen Conferenz, wobei ich aber nicht gegenwärtig gewesen bin, soll das 10 Elbmusikfest in der 2ten Hälfte des Juni k. J. zu Mühlhausen gefeiert werden. Schneiders neues Oratorium „die Befreiung Jerusalems“ soll da aufgeführt werden. Vorläufig bin ich von dem Musikdir. Beutler dazu eingeladen.
Bei den Elbfesten ist es bisher fast immer der Fall gewesen, daß nächst der eigentlichen Musikfests-Comitee noch ein größerer Verein vorher zusammen tritt, um durch Actien von 5 und 10 Rth den etwaigen Ausfall zu decken, was denn wohl sehr gut ist; bloß in Dessau hat der Herzog das fehlende aus seiner Chatulle gedeckt. Noch erlaube ich mir – da Sie doch nun einmal einen sehr breiten Brief lesen müssen – einige andere Ausgabe Punkte bei Musikfesten zu berühren. Der Orchesterbau ist mir in Hannover 300 Rth in Quedlinburg 90 Rth.; hier 80 Rth.; in Bückeburg 25 Rth.; in Helmstedt 115 Rth. in Frankenhausen 60-70 Rth. gekommen. Könnte man das nöthige Holz aus einem städitschen oder Herschaftl. Bauamte dazu bekommen (in Dessau und Magdeburg war es so) wo jedes zerschnittene Stück wieder benutzt werden kann; so würde bloß das Arbeits u Fuhrlohn zu tragen sein, und ½ der Kosten erspart werden. Die Druckkosten der Karten, Anzeigen, Zettel, Texte pp belaufen sich auf 60-80 Rth u. darüber10. Die Zeitungs-Annocen sind ubei den Elbfesten größtentheils von den Redactionen frei aufgenommen worden. Ein Fest für die einheimischen Mitwirkenden dürfte wohl bei den Kosten-Auslagen nicht zu vergessen sein. Mit dem Vorbehalte und der Bitte, daß ich mit dem größten Vergnügen über Alles, was Sie in den Musikfests-Angelegenheiten von mir zu erfahren wünschen, zu jeder Zeit berichten werde so gut ich es vermag und dazu von Ihnen veranlaßt werde, komme ich zuletzt zur Beantwortung Ihrer ersten Frage. Jeder reitet sein Steckenpferd. Musikfeste und deren Arrangement sind, wie bekannt, das Meinige, und so können Sie versichert seyn, daß ich mit der größten Bereitwilligkeit zu dem,11 was Sie bei dem projectirten Feste d. J. zu Cassel von mir wünschen, zu Diensten stehe, und bitte, mir ein Paar Monate vorher, im Fall der Ausführung, geneigte Nachricht aus, um dn nöthigen Urlaub vom Königl. Ober-Schulcollegio zu Hannover nehmen zu können. Wegen eines desfalsigen Honorars könnte, eingedenk der vielen mir von Ihnen bewiesenen Gefälligkeiten bei den ersten deutschen12 Musikfesten, nicht die Rede seyn; doch da es nicht Ihre eigene Angelegenheit ist; so ist meine Meinung folgende: kömmt ein erklecklicher Überschuß nach Abzug der Kosten heraus, und das Comitee will mir ein billiges Honorar bewilligen, so glaube ich ein solches, in meiner Lage und den erlittenen oftmaligen Einbußen bei Musikfesten zufolge, dankbar13 annehmen zu dürfen, was ich auch bei einigen der Elbmusikfeste gethan habe. Ist aber kein Überschuß vorhanden, oder überhaupt die Einnahme von der Art, daß ein kleines Honorar nicht gut davon noch gemacht werden könnte; so bin ich auch zufrieden. Meine Reise-Auslagen und freien Aufenthals in Cassel darf ich, wie sich denn das von selbst versteht, erwarten. Daß ich alles, was mir bei der Gelegenheit übertragen würde, nach meinen besten Erfahrungen auszuführen14 und mit einer anständigen Oeconomie einzurichten suchen werde, würde für mich ein Ehrenpunkt sein.
Übrigens glaube ich zuversichtlich, daß Cassel eine sehr gute Musikstadt ist, weil erstlich in dortiger Gegend kein solche größeres Fest statt fand und die umgebenden Städte, als Göttingen, Gotha, Mühlhausen, Nordhausen, Meiningen, selbst Frankfurt, viele Zuhörer liefern, 2tens, weil Sie selbst dort an der Spitze stehn.
So eben erhalte ich das Personal-Verzeichniß des Gesangs u Orchesters v. Braunschweig. Musikfeste. Das hat lange gedauert; ich hatte es angefertigt u als Manuscript bei meiner Abreise hinterlassen.
Wollen Sie mich in der Folge mit einiger Nachricht über den Fortgang oder Stillstand der Casselschen Musikfests Angelegenheit erfreuen, so wird mir es sehr lieb seyn.
Mit der größten Hochachtung u Anhänglichkeit immer

Ihr Verehrer
G.F. Bischoff!



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Bischoff. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Bischoff an Spohr, 02.04.1837.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „HILDESHEIM / 24 AUG“, auf der Rückseite des zusammengefalteten Briefumschlags der Stempel „24AUG183[6]“.

[2] „Quedlinburger“ über der Zeile eingefügt.

[3] „-10“ über der Zeile eingefügt.

[4] „betreffenden“ über der Zeile eingefügt.

[5] „höchstens 60-70“ über der Zeile eingefügt.

[6] „ein“ über der Zeile eingefügt.

[7] „besser“ über der Zeile eingefügt.

[8] „ökonomische“ über der Zeile eingefügt.

[9] „die Einnahmen von“ über der Zeile eingefügt.

[10] „u. darüber“ über der Zeile eingefügt.

[11] Hier gestrichen: „zu Dienst“.

[12] „den ersten deutschen“ über der Zeile eingefügt.

[13] Hier gestrichen: „ang“.

[14] Hier gestrichen: „suchen werde“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.04.2022).