Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,165
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 158 (teilweise)

Sr. Wohlgeb
Herrn Wilhelm Speyer
in
Frankfurt a/m


Cassel den 1sten
August 36.

Geliebter Freund,

Mit Vergnügen würde ich auf Ihre Fürsprache die Stimmen zu den „letzten Dingen” herleihen, wenn ich sie noch vollständig besäße. So habe ich den größten Theil daran aber vor etwa 5 Jahren nach Hamburg verkauft1, und besitze nichts mehr als einige Abschriften des Quartetts und sämtliche Ripien-Blasinstrumente, die aber nur die Forte-Stellen, wo doppelte Harmonie anwendbar ist, enthalten. Ist mit diesen Fragmenten dem Verein gedient, so stehen sie gern zu Diensten. Meine Partitur kann ich jedoch nicht entbehren, da eben wieder eine Abschrift gemacht wird, die eilig ist. Ich sehe nun noch Ihren nähern Bestimmungen entgegen, fals man meiner Stimmen bedürfen sollte.2
Ich habe mit meiner Familie eine interessante Reise in die Sächsische Schweiz gemacht, bei welcher wir von dem herrlichsten Wetter begünstigt waren.3 Die Rückreise nahmen wir über Braunschweig und wohnten dem grandiosen Musikfeste bei. Nie ist vielleicht der Messias mit so imposanter Besetzung (nahe an 600 Mitwirkende) und so würdevoll gegeben worden. Zu bedauern war, daß die Aufführungen des 2ten und 3ten Tages nicht ebenso befriedigend ausfielen. Besonders war die Auswahl der Musik für den 2ten Tag sehr verfehlt, entweder Unwürdiges wie fade italiänische Arien oder Unpassendes für das Lokal, wie das erste Finale aus ,Don Juan’. Auch ging die Musik unter Methfessels Direktion für so ausgewählte Kräfte schlecht genug.4 – Den Schluß der Ferienzeit benutzten wir zu einem Abstecher nach Paderborn zum Liboriusfest und hörten dort eine Aufführung meines letzten Oratoriums. Die Chöre waren gut, das Orchester stark besetzt und ziemlich gut, die Sologesänge aber, mit Ausnahme der Madame Schmidt (die zum Fest [v]erschrieben war) sehr schlecht. D[ie] Chöre machten in dem, für Mu[sik] sehr günstigen Lokal (eine schöne Jesuiten-Kirche) großen Effekt. Von den übrigen Sachen aber nur die beyden Arien der M. Schmidt.5
Nun ist die schöne Ferienzeit zu Ende und ich bin wieder im Joch!
Herzliche Grüße an die lieben Ihrigen. Mit wahrer Freundschaft

stets ganz
Ihr
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Speyer, Wilhelm
Erwähnte Personen: Methfessel, Albert
Schmidt, Johanna
Erwähnte Kompositionen: Händel, Georg Friedrich : Messiah
Mozart, Wolfgang Amadeus : Don Giovanni
Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Erwähnte Orte: Braunschweig
Hamburg
Kirchheimbolanden
Paderborn
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1836080102

https://bit.ly/

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Speyer an Spohr, 27.07.1836. Speyer beantwortete diesen Brief am 15.08.1836.

[1] Quellen zu diesem Vorgang noch nicht ermittelt.

[2] Die Aufführung war für den 08.09.1836 angekündigt (Rheinbayerisches Volksblatt (1836), S. 552.

[3] Vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 170ff., Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 209ff.

[4] Vgl. Spohr an Adolph Hesse, 20.08.1836Programm zum neunten Elb-Musikfeste in Braunschweig, nebst einer Beschreibung der Stadt, zur Führung und Erinnerung für auswärtige Theilnehmer, Braunschweig 1836; ähnlich wie Spohr, in Bezug auf den Messias aber deutlich kritischer wertet: „Aus Braunschweig. Das Musikfest”, in: Neue Zeitschrift für Musik 5 (1836), S. 37f., 44f. und 49; zu Spohrs Aufenthalt beim Musikfest: „Notabilitäten auf Reisen”, in: Zeitung für die eleganten Welt 36 (1836), S. 576. Später berichtete Spohr über das Musikfest in: Spohr, Lebenserinnerungen, Bd. 2, S. 172f.; ders., Selbstbiographie, Bd. 2, S. 212

[5] Vgl. Spohr an Adolph Hesse, 20.08.1836; „Paderborn”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 38 (1836), Sp. 551f.; Spohr, Lebenserinnerungen, Bd. 2, S. 173f; ders. Selbstbiographie, Bd. 2, S. 213f. 

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.03.2016).

Cassel, 1. August 1836.

... Ich habe mit meiner Familie eine interessante Reise in die Sächsische Schweiz gemacht, bei welcher wir von dem herrlichsten Wetter begünstigt waren. Die Rückreise nahmen wir über Braunschweig und wohnten dem grandiosen Musikfeste bei. Nie ist vielleicht der ,Messias’ mit so imposanter Besetzung (nahe an 600 Mitwirkenden) und so würdevoll gegeben worden. Ich bedauerte nur daß die Aufführungen des zweiten und dritten Tages nicht ebenso befriedigend ausfielen. Besonders war die Auswahl der Musik für den zweiten Tag sehr verfehlt, entweder Unwürdiges wie fade italienische Arien, oder Unpassendes für das Lokal, wie das erste Finale aus Don Juan. Auch ging die Musik unter Methfessels Direction für so ausgewählte Kräfte schlecht genug.