Autograf: Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz – Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. Mus.ep. Spohr-Correspondenz 1,72
Beleg 1: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen aller Art (Fürsten, Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 59
Beleg 2: Sammlung Fritz Donebauer, Prag. Briefe, Musik-Manuscripte, Portraits zur Geschichte der Musik und des Theaters. Versteigerung vom 6. bis 8. April 1908 (= Katalog Stargardt), Berlin 1908, S. 97
Beleg 3: Georg Kinsky, Versteigerung von Musiker-Autographen aus dem Nachlaß des Herrn Kommerzienrates Wilhelm Heyer in Köln im Geschäftslokal der Firma Karl Ernst Henrici. Montag, den 6 und Dienstag, den 7. Dezember, Bd. 1, Berlin 1926, S. 100

Wien.
 
Sr. Wohlgeborn
Herrn Louis Spohr
Doktor der Tonkunst u. Hofkapell-
meister pp
Cassel.
 
 
Wien, den 31 Jul. 1836.
 
Herrn Louis Spohr in Cassel.
Hochgeehrtester Herr und Freund!
 
Mit Bezug auf mein letztes an Sie gerichtetes Schreiben v. 22 Juni d.J.1 finde ich mich veranlaßt, Ihnen hinsichtlich Ihrer Oper: Jessonda, noch weiteren Bericht zu geben. Es würde dises schon früher geschehen seyn, wenn ich Sie zu Hause gewußt hätte.
Die Ihnen damals mitgetheilte Entscheidung der k.k. obersten Polizey und Censur-Hofstelle, wurde durch die Polizey Bezirks-Direktion in der Josephstadt dem Hrn Direktor Scheiner zugestellt. Hinrauf hat er ein langes und breites Gesuch überreicht, - und ich wurde zur Ober-Polizey-Direktion vorgeladen, um nähere Aufschlüsse zu geben. Ich verhelle Ihnen nicht, daß ich mich mit dem dazu beauftragten Comissär etwas schwer gesprochen, da derselbe kein Gesetz über geistiges Eigenthum wissen wollte. Als ich ihm aber die Sache nach ernstlichem Ansichten begreiflich zu machen suchte, forderte er mich auf diese meine Beweggründe schriftlich zu überreichen. Dieses geschah den folgenden Tag, - und ich theile Ihnen in der Anlage A. meinen dießfällig überreichte Vorstellung mit2, aus der Sie zugleich eine nähere Kenntniß von dem Fortgang in dieser Sache erhalten. Daß ich hie und da ausgewichen, und an mancher Stelle etwas stärker aufgetragen habe, mußte geschehen, da der Commisär für Ihre Sache eben nicht eingenommen zu seyn schien. - Auf diese Vorstellung ist nichts mehr erfolgt. In ungefähr 12-14 Tagen darnach, kam aber der Direktor Scheiner, der Sänger Pöck aus Prag, in Begleitung des Sekretärs3 zu mir, um sich wegen der Aufführung der Oper: Jessonda auf dem Theater in der Josephstadt mit mir zu besprechen, wobey sie sich recht freundlich benommen hatten. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich wegen unsrer Behörden die Saiten nicht zu hoch spannen konnte, und erklärte, daß wenn mir die Direktion 10 Friedr. d‘Or für Sie erlegen würde, ich den Gegenstand mit Ihnen verhandeln, und als geordnet anzusehen wäre. Ich glaube sonach ganau in Ihrem Interesse verfahren zu seyn, zumal Sie keine Copie der Partitur und das Buch zu bestreiten(?) haben, und auch eine Willfähigkeit gegen die Behörden an dem Tag4 legen mußte5 was meiner Seits auch nothwendig war. - Nachdem mit allem diesen auch Freund Kreutzer einverstanden war, wurde mir obiger Betrag für Sie erlegt, worüber ich eine briefliche Bestätigung die ich Ihnen in der Anlage B.6 mittheile ausgestellt habe. - Die Oper: Jessonda wurde sonach am 29. D. zum ersten Mal auf dem Josephstädter und zwar recht gut aufgeführt.7 Herr Pöck war ausgezeichnet gut bei Stimme und gefiel außerordentlich. Die Ausstattung an Dekoration u. Garderobe war ebenfalls vortrefflich.
Ob Sie nun mein verehrter Freund mit Allem diesem zufrieden muß ich wohl sehr wünschen. Uibrigens dürfen Sie es mir aufs Wort glauben8, wenn diese Angelegenheit jemand anderen als Sie betroffen hätte, ich mich der Sache nicht unterzogen hätte, so viele Laufereyen, Schreibereyen u. Verdrußlichkeiten hat es mir gemacht.
Die Administration des Kärntnerthor-Theaters hat Ihre Partitur noch nicht übernommen, allein Kreutzer sagte mir, ich soll es nächste Woche schicken. So wie dieser Gegenstand geordnet, werde ich Ihnen die sämmtlichen Beträge unter Einem in Anweisung auf Leipzig übersenden.
Um Ihr neues Quartett in correkter Abschrift zu haben, würde mich die einzelnen Stimmen zum Stiche recht sehr willkommen seyn, und ich bitte Sie darum.
Sie glauben nicht, mein hochverehrter Freund, wie sehr nun die rechtlichen Verleger gegen die schändlichen Nachdrucke zu kämpfen haben, - und wenn hierin von Seite der humanen Regierungen nicht bald etwas geschieht, was diesem Unfug Gränzen setzt, so wird man bald nichts mehr unternemen können. So wie mir meine Lpz. Collegen vor einigen tagen geschrieben, wird in Rußland (wo noch Geschäfte zu machen waren) ein ordentliches Nachdrucker-Etablissement von einem Edelmann begründet, daß mit 20 Pressen eingerichtet werden soll, und wo uns Deutschen alle guten Werke nachgedruckt werden, und womit bereits der Anfang gemacht ist.9 - Meine gangbaren Strauss‘schen Walzer sind mir wenigstens 20 Mal in Deutschland nachgedrukt, und ich dürfte Advokat seyn und den ganzen Tag am Pulte sitzen, um gegen diese Schandmenschen zu kämpfen.
Mit vollster freundschaftlicher Hochachtung und Verehrung empfiehlt sich Ihnen
 
Ganz der Ihrige
Tobias Haslinger.

Autor(en): Haslinger
Haslinger, Tobias
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Kupelwieser, Joseph
Pöck, Carl Josef
Scheiner, Johann Nepomuk
Strauß, Johann (Vater)
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Jessonda
Spohr, Louis : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 93
Erwähnte Orte: Wien
Erwähnte Institutionen: Hoftheater am Kärntnertor <Wien>
Josefstädter Theater <Wien>
Polizeidirektion <Wien>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1836073152

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Haslinger, 18.06.1836 und 23.07.1836. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Haslinger, 03.11.1836.
 
[1] Haslinger an Spohr, 22.06.1836.
 
[2] Haslinger an die Polizei-Oberdirektion in Wien, 02.07.1836.
 
[3] Joseph Kupelwieser (vgl. Haslinger an die Polizei-Oberdirektion in Wien, 02.07.1836).
 
[4] Hier gestrichen: „zu“.
 
[5] „mußte“ über der Zeile eingefügt.
 
[6] Haslinger an Johann Nepomuk Scheiner, 27.07.1836.
 
[7] Vgl. „Wien. Musikalische Chronik des dritten Quartals“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 38 (1836), Sp. 810-814, 829ff. und 848f., hier Sp. 830; „Theatralisches“, in: Wiener Zeitschrift 09.08.1836, Beilage Allgemeines Notizenblatt, nicht paginiert.
 
[8] „glauben“ unter der Zeile eingefügt.
 
[9] Noch nicht ermittelt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (26.07.2017).