Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

St. Petersburg den 9/21ten Mai
1836

Hochgeehrter Herr
Werthgeschätzter Herr CapellMeister.

Sechs Jahre sind bereits vergangen, seit ich Sie verließ. Eine lange Zeit ist es, und kaum werden Sie sich meiner noch erinnern, da mein Aufenthalt in Cassel zu kurze Zeit dauerte, und mein Talent zu unbedeutend, als daß ich mich mit der Hoffnung schmeicheln könnte, von Ihnen noch gekannt zu sein. Doch die Erinnerung an Sie, lebt in mir, mit gleich starkem Feuer, sie wird in mir bleiben, und nur mit meinem Tode aufhören.
Ja, mein verehrungswürdiger Lehrer, ich bin stoltz darauf, mich zu der großen Zahl Ihrer Schüler rechnen zu dürfen, Sie freilich konnten nicht stolz auf Ihren Schüler sein, denn Sie sahen nicht das Reifen und Gedeihen Ihrer guten Saat, die Sie aussäeten, denn der Boden war hart und steinigt doch jetzt hat die Zeit, und Erfahrungen ihn durchgearbeitet und gereinigt, so daß zu hoffen stände, Ihre Saat würde jetzt besser gedeihen.
In der Hoffnung, durch die Mitteilen meiner Schicksale, mit meiner Abreise von Cassel Ihre Geduld beym Lesen dieses Briefes, nicht zu sehr zu ermüden, erlaube ich mir, dieselben in Kürze hier niederzuschreiben.
Von dem Tage meiner Ankunft in Rostock 1830 bis zur Abreise nach St. Petersburg 1832, ist ein Zeitraum von zwey Jahren, die ich in Rostock verleben mußte. Mit meinem Onkel1 nie in Einigkeit, welche dadurch entstand, daß ich ein Streben nach dem Höheren zeigte, und den Wunsch laut werden ließ, das Große zu suchen und dem höhrem. Daß dies nicht in einer kleinen Stadt, wie Rostock, geschehen konnte, war natürlich, ich wollte also Rostock verlassen, da wollte aber mein Onkel nichts von wissen, er hatte mich dazu bestimmt, mein Leben, bei ihm einem StadtMusiker zuzubringen, daß war mir aber lebenslängliches Gefängniß, da ich meinem Onkel meinen Wiederwillen gegen solch ein Leben verrieth, schalt er mich einen Undankbaren, und wollte nichts von mir wissen, ich ergriff die Gelegenheit, und faßte den Entschluß nach St. Peterburg zu gehen, und ging auch, doch vor der Abreise suchte ich die Spannung, die zwischen uns entstanden, wieder auszugleichen, allein, vergebens, und so reiste ich, begleitet von den Glückwünschen so vieler Menschen, ab. Ich kam nach einer mertägigen Fahrzeit und gesund in Petersburg an, wo ich auch nach kurzer Zeit, eine Anstellung in dem kaiserlichen Orchester, als Violinist erhielt. Nach einem Jahre wurde mir das Dirigiren der Sinfonien, auch in vorkommenden Falle muß ich die Vaudewill dirigiren. Mein Dienst ist zwar sehr groß, anstrengend und natürlich viel Zeitumfassend, doch dies hält mich nicht ab, meiner Lieblingsneigung, dem Quartettspiel hinzugeben. Ich habe hier einige Musiker, an denen ich mich gewöhnt habe, und welche doch gute Menschen sind, mit diesenhaben wir im Winter besonders unsere Quartett Abende, da werden Mozart, Haydn, Beethoven, auch Onslow gemacht, aber meinen, so wie meiner Freunde größter Genuß sind Ihre Quartette und nie können wir uns mit Eins begnügen, es werden immer ein Paar gemacht. Für mich haben diese Quartette einen besonderen Reiz, erstlich, weil es gelichsam eine Schule ist, an der ich mit Leidenschaft hänge, zweitens, der Geist der Ihre Musikdurchglüht, spricht meinem Herzen und meinem Gefühl so sehr an, und endlich drittens, sollten Sie es glauben, daß, als ich hier ankam, man nur wenige Ihrer Quartetten kannte, doch ich habe den Leuten schon mit dem größten Theil der Quartette bekannt gemacht, und mein Stoltz und Freude setze ich darin, daß ich sehe, wie so viele mit Liebe und Lust, Ihren Komposition anhören und exekutiren. Ihr diesjähriger Geburtstag wurde von mir und meinen Freunden, wie immer, so auch diesmal gefeiert,
Wir machten zuerst Quartett G # 6/8 op. 58 No 32 vom Ihnen, Quintett von Mozart G b, von Ihnen Quartett E # 6/4, Quintett v. Beethoven C #, Quartett von Ihnen G b op. 4 und zum Schluß Ihr G # Quintett. Sie werden gewiß sagen, zu viel Musik auf einmal so erwidre ich aus, daß allen, gleiche Lust und Liebe beseelte, und daß also der Werke nicht zuviel sind.
Das musikalische Petersburg, werden Sie wohl schon kennen, so wie über den Zustand der Musik ebenfallst von Reisenden genug gehört haben, es würde zuviel Platz wegnehmen wollte ich Ihnen meine Meinung hierüber mittheilen, das Publikum ist erbärmlich, diejenigen, die sich hier Künstler nennen sind eingebildete Narren., die Zuschauer taugen garnichts, wie oft wünschte ich mir Sie hier an der Spitze,damit Sie das Orchester von dem Unkraut reinigen könnten, wovon das wenige Gute überdrückt wird, hier hat der Chef des Orchester keine Kraft es zu thun. Wer die guten Eigenschaften eines Orchester, umso wie dasjenige wass ein gutes Orchester auszeichnet, anbetrifft, vermißt man hier alles.
Daß würde so was für Ihnen sein, wie würden Sie die Ohren zuhalten. Sie würden gleich nach der Ouverture schon davon laufen.
Diesen Sommer habe ich auf 3 Monate Urlaub3 bekommen, um in meine Heimath reisen zu können, wo ich meine Gesundheit, durch Seebäder wiederherstellen, das Peterburger Clima ist eines4 der schlechtesten. Auch gedenke ich mich zu verheiraten und meine Zukünftige5 als Frau mit hierherzubringen. Die Mutter6 meiner Braut eine geborne Markwort, so wie ihr Bruder, beide aus Braunschweig, haben mir oft erzählt, daß sie beide in früher Zeit öfters das vergnügen gehabt haben, Sie bey sich zu sehen, zu der Zeit als Sie Ihren Aufenthalt in Braunschweig hatten.
Gern möchte ich einen Theil meines Urlaubs dazu verwenden, eine Reise nach Cassel zu machen, um Sie mein theurer Lehrer nocheinmal zu sehen, doch ist die Zeit zu kurz, und so muß ich es dem lieben Gott überlassen, der Sie noch lange gesund und wohl erhalten möge, wann mein Wunsch erfüllt werden soll. Gott wird mir bald diese Freude bereiten, und wenn es auch nach Jahren geschehen sollte, ich habe eine gewisse Ueberzeugung, daß mir die Freude, Sie wiederzusehen noch zu Theil wird.
Den Tod Ihrer Gattin so wie Ihres Bruders habe ich aus den Zeitungen erfahren, und Sie mit inniger Theilnahme betrauert, jetzt wird wohl schon Ihr Schmerz gelindert sein, Gott gebe es. –
Im Jahre 1834 erschien Ihre Violinschule hier zuerst, ich war einer der Ersten, die sie sich anschafften. Auch für einige meiner Schüler habe ich sie besorgen müssen. Aber wie soll ich Ihnen meine Freude beschreiben als ich Ihr Werk nach einmaligen durchsehen, kennen gelernt hatte, meine Art zu unterrichten, in keinem Punkt mehr war, als wie Sie es in der Schule angegeben hatten, ich habe früher immer nach Ihrer Manier unterrichtet, und die Schüler die ich habe, wollen auch in keiner andern Manier unterrichtet werden, die Spohrsche Methode gefällt ihnen; Ihre Schule ist mir jetzt ein treuer Begleiter und Wegzeiger.
Der Ueberbringer dieses Briefes, der junge Hauck7, ist nicht mein Schüler, sondern8 Schüler eines Nicht Violinisten, der zwar schlechte und sonderbare Begriffe vom Violinspiel hat, wie Sie sich selbst überzeugen werden. Zu spät würde ich in dem Haukeschen Hause bekannt, und Zeit kurzer Zeit erfuhr ich den Plan des Alten9, seinen Sohn der Musik zu widmen und ihm Ihrer Leitung anzuvertrauen, hätte ich es früher erfahren, so würde ich aus eigenem Antriebe den jungen Mann unterrichtet haben, und ihm einen Begriff von Ihrer Schule zu machen, versucht haben; doch jetzt kann ich Sie nur herzlich bitten, dem Jungen eben die Nachsicht zu schenken, die Sie mir in so großem Maaße zukommen ließen.
Wenn ich nicht Ihren Wiederwillen gegen lange Briefe, besonders Briefe dieser Art, kennte, so würde ich hoffen von Ihnen einige Zeilen wieder zu erhalten. Doch sollten Sie meiner noch gedenken, und einige halbe Stündchen mir schenken wollen, so sein Sie fest versichert, daß einige Zeilen, wenn auch noch so wenig, überschwenglich glücklich machen werden

Ihren
Sie stets liebenden und verehrenden
Adolph Schmiedekampf.

Sollte mein letzter Wunsch von Ihnen in Erfüllung gebracht werden, so erlaube ich mir Ihnen meinen Aufenthalt zu bezeichnen, und der ist bey meinem Schwiegervater H v. Böckmann zu Werselstorff bey Tessin in Mecklenburg Schwerin. Bis zum 1ten Septbr d. J. bleibe ich dort, dann kehre ich wieder nach Petersburg zurück. Zum Schlusse bitte ich recht sehr, die Gefälligkeit zu haben, den Mitgliedern Ihrer Kapelle, allen denen die sich meiner freundlichst erinnern, herzlich zu grüßen!



[1] Der Rostocker Stadtmusiker Johann Friedrich Weber.

[2] „No 3” unter der Zeile eingefügt.

[3] „Urlaub” über der Zeile eingefügt.

[4] „eines” über der Zeile eingefügt.

[5] Alwine Schmiedekampf.

[6] Caroline von Böckmann.

[7] F. Hauck.

[8] Hier ein Wort gestrichen.

[9] J. Hauck.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (09.02.2022).