Autograf: Archiv der Akademie der Künste Berlin (D-Bda), Sign. PrAdK Pers. MU 111

Kurzer Lebens-Abriß von Louis Spohr

Kurfürstl. Hessischer Hofkapellmeister, Ritter des Hess. Löwenordens, Doctor der Tonkunst und Ehrenmitglied der Gesellschaften Felix meritis und Eruditio Musica zu Amsterdam, des Vereins zur Beförderung der Tonkunst in den Niederlanden, der Gesellschaft der Musikfreunde des Österreichischen Kaiserstaates, der Kunstfreunde für Kirchenmusik in Böhmen, des Künstlervereins in Breslau und ordentliches Mitglied der Königl. Preißischen Academie der Künste zu Berlin.

Ich wurde in Braunschweig den 5ten April 1784. geboren und in Seesen, wohin mein Vater, als Physikus bald nach meiner Geburt versetzt wurde, erzogen. Meine Eltern1, beyde musikalisch, sahen meine vorherrschende Neigung zur Tonkunst nicht ungern und ließen mir daher schon im 6ten Jahr von einem französischen Emigranten, Dufour, Unterricht im Violinspiel ertheilen.2 Wie dieser nicht mehr genügte, wurde ich nach Braunschweig geschickt und zuerst vom Kammermusikus Kunisch, später vom Concertmeister Maucourt unterrichtet. Im 14ten Jahr hatte ich das Glück durch mein Spiel und meine ersten Kompositionsversuche die Aufmerksamkeit des Herzogs Carl Wilhelm Ferdinand zu erregen. Dieser Beschützer so vieler aufkeimender Talente nahm sich auch meiner weitern Ausbildung väterlich an, ließ mich sogleich als Violinist in’s Herzogl. Hoforchester eintreten und stellte mir die Wahl eines Lehrers, zu dem ich geschickt werden sollte, völlig frei. Nachdem Viotti und Ferdinand Eck, die berühmtesten Violinisten der damaligen Zeit, die, ihnen deshalb gemachten Anträge abgelehnt hatten, wurde ich dem jungen Bruder des letzteren, Franz Eck, der eine Kunstreise durch Deutschland nach Petersburg machte, als Schüler mitgegeben. Den Unterricht dieses ausgezeichneten Geigers genoß ich 1½ Jahre. Bei meiner Rückkehr nach Braunschweig hörte ich zum ersten Mal den dort eben anwesenden Geiger Rode und wurde von seinem Spiel so ergriffen, daß ich meine bisherige Spielart umänderte und dem seinigen nachbildete. Ein Jahr später (1804) machte ich dann meine erste Kunstreise über Leipzig, Dresden nach Berlin. Die güntigen Beurtheilungen über meine Leistungen auf dieser Reise wurden Veranlassung, daß ich im Sommer darauf als Concertmeister nach Gotha berufen wurde, welche stelle ich auch mit Genehmigung meines Herzoglichen Gönners annahm und 7 Jahre bekleidete. Im Jahr 1806 verheirathete ich mich mit Dorette Scheidler und machte mir ihr, die sich bald zu einer ausgezeichneten Virtuosin auf der Pedalharfe ausbildete, mehre Kunstreisen durch Deutschland. Auf einer derselben nach Wien im Jahr 1812 nahm ich die mir angetragene Stelle eines Kapellmeister und Sologeigers des Theaters an der Wien an und verlebte eine für Kunst höchst glänzende Periode in der damals durch den Congreß der Monarchen ungewöhnlich belebten Kaiserstadt. Nach Beendigung des Befreiungskriegs begannen unsere Kunstreisen von neuem. Wir besuchten die Schweitz, Italien und Holland und hatten die Absicht uns nun dem Norden von Europa zuzuwenden, als ich von Frankfurt a/m den Antrag erhielt, die Stelle des Operndirectors am dortigen Nationaltheater zu übernehmen. Diese Stelle verwaltete ich 1½ Jahr. Da aber der dortige Wirkungskreis meinen Wünschen nicht ganz entsprach, so verließ ich Frankfurt und begann meine Reisen von neuem. Zuerst besuchten wir Belgien, das nördliche Frankreich und London, ein Jahr später das Elsas und Paris. Dann fixirte ich mich in Dresden, um meinen Töchtern, die während der letzten Reisen bey meinen Eltern gewohnt hatten, einen besseren Musik- und besonders Gesang-Unterricht ertheilen zu lassen. Doch schon nach einigen Monathen erhielt ich zwei neue Anträge zu dauernder Anstellung, den einen von Gotha, wo man mir meine frühere Stelle, die durch Andreas Romberg’s Tod von neuem erledigt war, unter viel vortheilhaftern Bedingungen wie früher antrug, den zweiten von hier, zu meiner jetzigen Stelle. Da der Wirkungskreis hier ausgedehnter war wie dort, so entschied ich mich für diese. Hier lebe ich nun seit 15 Jahren und habe seitdem keine Kunstreise als Geiger mehr gemacht, doch einige Male die Direction meiner Opern bey ersten Aufführungen in fremden Städten, so wie die meiner Oratorien bey Musikfesten übernommen.
Meine, der Öffentlichkeit übergebenen Kompositionen, mit Ausschluß vieler Jugendarbeiten und einer bedeutenden Anzahl Harfenkompositionen, sind folgende:

Opern.
1.) Der Zweikamft mit der Geliebten, 1810 für Hamburg.
2.) Faust, 1813 in Wien.
3.) Zemire und Azor, 1818 in Frankfurt a/m.
4.) Jessonda 1822 in Cassel.
5.) Der Berggeist 1824.
6.) Pietro von Abano 1827.
7.) Der Alchymist 1830.

Oratorien und andere Kirchenmusik
1.) Das jüngste Gericht, Oratorium, 1812 zum Musikfest in Erfurt.
2.) Das befreite Deutschland, Cantate, 1814 zur Feier des Einzugs der Verbündeten in Paris.
3.) Offertorium, 1815 für den in Breslau.
4.) Vokal-Messe für 2 fünfstimmige Chöre. 1821.)
5.) Die letzten Dinge, Oratorium, 1826.
6.) Vater-Unser 1829.
7.) 3 Psalmen für 2 vierstimmige Chöre, 1832.
8.) Des Heilands letzte Stunden, Oratorium, 1834.

Lieder.
Fünf Sammlungen, jede 6 Lieder enthaltend.
Zwei – für 4 Männerstimmen.

Instrumental-Musik.
4 Sinfonien.
9 Ouverturen.
13 Violinconcerte.
2 Concertanten für 2 Violinen
3 Concerte für Clarinette.
6 Potpourris für Violine.
2 – für Clarinette.
1 – für Violine und Violoncell.
6 Soloquartetten für Violin.
3 Doppelquartetten.
22 Quartetten
4 Quintetten.
1 Quintett für Pianoforte und Blasinstrumente.
Variationen für Violine, für Clarinette, für Pianoforte und Viooine, Sonaten für diese Instrumente u.s.w.

Theoretische Werke.
Große Violinschule. 1832.

Cassel den 17ten Mai
1836.

Louis Spohr



Dieser Lebenslauf lag Spohrs derzeit verschollenem Brief an die Preußische Akademie der Wissenschaften vom Folgetag bei.

[1] Ernestine und Carl Heinrich Spohr.

[2] Spohrs Datierung des Unterrichts bei du Four auf etwa 1790 scheint im Vergleich zu den Quellen zu früh (vgl. Karl Traugott Goldbach, „Spohrs Geigenlehrer Dufour. Emigrant in Seesen und Musikmeister in Holzminden“, in: Die Lehr- und frühen Meisterjahre des Komponisten, Geigers, Dirigenten und Musikpädagogen Louis Spohr in Braunschweig, hrsg. v. Anja Hesse und Annette Boldt-Stülzenbach, Braunschweig 2014, S. 59-79, hier S. 64).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.07.2021).