Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76, 164
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 157 (teilweise)

Cassel den 19ten
April 36.

Geliebter Freund,

Hr. Edward Duller hat mich um ein Lied für sein deutsches Stammbuch gebeten.1 Da er sich dabey auf Sie bezieht, auch vergessen hat, mir seine Wohnung zu bezeichnen, so übersende ich es Ihnen und Bitte Sie, es ihm als ein kl. Geschenk für den angegebenen Zweck zu übergeben. Seinem Wunsche gemäß habe ich es selbst auf das von ihm bezeichnete Format abgeschrieben, damit es als facsimile lithographirt werden kann.
Für meine Frau und mich habe ich eine große concertirende Sonate für Pianoforte und Violine geschrieben, die wir unsren musikalischen Freunden in der letzten Zeit mehrere male vorgespielt haben. Diese Kompositionsgattung hat mir während der Arbeit viel Freude gewährt und so werde ich davon wohl mehrere machen. Außerdem spielen wir fast alles, was es in dieser Gattung von Beethoven, Onslow p.p. giebt, da meine Frau eine, wirklich bey einer Dilettantin ganz ungewöhnliche Fertigkeit im vom Blattspielen besitzt.
Vor und während der Messe war ich sehr geplagt, da ich zugleich die Bachische Passion mit Doppelorchester für den Charfreitag2 und Die Jüdin von Halevy für den 2ten Ostertag3 einüben mußte. Diese Oper hat bey uns Glück gemacht. Sie gehört auch wirklich zu dem besten, was wir seit 10-12 Jahren aus Paris bekommen haben. Die Musik hat Charakter und größtentheils einen natürlichen Fluß und ist nicht aus so vielen erborgten Lappen zusammengeflickt wie Robert der Teufel. Wäre sie nur in der Harmonie correkter und besonders die Kirchenmusik des ersten Aktes würdiger! – Bey alle dem erreicht sie die Stumme von Portici [nicht], die doch das beste von den Pariser Erzeugnissen bleibt.
Recht lange habe ich kine Nachrichten von Ihnen! Erfreuen Sie mich bald damit. Wie geht es Schelble? Hat der Zollanschluß auf Ihre Geschäfte wohlthätig eingewirkt? Herzliche Grüße [an die lieben Ihrigen. Mit wahrer] Freundschaft

stets Ihr
Louis Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 04.02.1836. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Speyer an Spohr, 27.07.1836.

[1] Deutsches Stammbuch, hrsg. v. Eduard Duller, Carlsruhe [1837]; die Veröffentlichung des genannten Liedes erfolgte jedoch in einem separat gedruckten Heft: Drei Lieder von Meyerbeer, Spohr und Lachner : Autographa. Zum deutschen Stammbuche aufs Jahr 1838, Kandern [1838]. 

[2] Vgl. „Cassel, im Juni”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 38 (1836), Sp. 394-397 und 422ff., hier Sp. 395.

[3] Vgl. ebd., Sp. 423

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.03.2016).

Cassel, 19. April 1836.

... Für meine Frau und mich habe ich eine große Sonate für Pianoforte und Violine geschrieben die wir unsern musikalischen Freunden in der letzten Zeit mehrmals vorgespielt haben. Diese Kompositionsgattung hat mir während der Arbeit viel Freude gewährt. Außerdem spielen wir fast Alles, was es in dieser Gattung von Beethoven, Onslow usw. gibt. –
Letzthin war ich sehr geplagt, da ich zugleich die Bachische Passion mit Doppelorchester für den Karfreitag und ,Die Jüdin’ von Halévy für den zweiten Ostertag einüben mußte. Diese Oper hat bei uns Glück gemacht. Sie gehört auch wirklich zu dem Besten, was wir seit zehn bis zwölf Jahren aus Paris bekommen haben. Die Musik hat Charakter und größtentheils einen natürlichen Fluß und ist nicht aus so vielen erborgten Lappen zusammengeflickt wie ,Robert der Teufel’. Wäre sie nur in der Harmonie korrekter und besonders die Kirchenmusik des ersten Aktes würdiger! Bei alledem erreicht sie die ,Stumme von Portici’ nicht, die doch das beste von den Pariser Erzeugnissen bleibt.