Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Kleinwächter,L.:06

Prag den 11. Merz 1836.

Hochgeehrter Herr!

Es wird Ihnen unerwartet vorkommen, dz1 ein so unfleißiger Correspondent wie ich nun aus der Rolle fällt, und so schnell das zweite Schreiben dem kaum angelangten ersten folgen läszt; allein die heutigen Zeilen sind mehr Anhang der letzten, als selbständiger Brief, und nur eine nothwendige Verzögerung war ursache Ihrer Verspätung. Nun ohne weiteres Vorreden zur Sache. Es soll in einigen Wochen Ihr Faust wieder hier in die Scene kommen, Strakaty - ein recht braver Sänger unserer Bühne – wählte diese Oper zu seinem Benefice (Er gibt den Mephisto, und Poeck den Faust). In der hiesigen Partitur fehlt die so schöne Arie: „Liebe ist die zarte Blüthe“, welche hier – als sie Krow aus Hamburg sang2 – ungemein ansprach. Ich ward sohin ersucht, mich an Sie zu wenden, und um die Arie zu bitten. Das Honorar wird so viel ich weiß die Direction oder Strakaty selbst3 tragen; ich bitte aber, die Berechnung über die sämmtlichen Auslagen nur an mich zu übermitteln, so wie das Pacquet unter meiner Adresse abgehen zu lassen; die weitere Besorgung werde ich dann schon übernehmen. Sie werden auf die Berichtigung dießmal nicht wieder so lange zu warten haben, wie mit dem Subcriptum von letzthin, denn ich habe es itzt mit honetten Leuten zu thun. Hat nicht auch die Kunigunde späterhin eine neue Arie gebekommen? Ich hörte einmal etwas derlei, und würde sehr gerne hierüber Nachricht haben? Gestern hörte ich zum ersten Male Ihr Quatuor brillant in H moll. Alle Leute verwunderten sich sehr dz ein Spohrianer wie ich erst so spät ein Werk von Ihnen kennen lernte, und mir kam es selbst sehr sonderbar vor; allein im Grunde ist die Sache natürlich. Meinen Vater – bei dem ich meist die Quartettmusik kennen lernen, sind derlei Aufgaben zu schoen und ermüdend, und überhaupt sind der Violinspieler nicht viele, die sich an solche Dinge wagen. Gestern spielte es Pixis in seinem gewohnten Quartettcyclus, den er immer in dieser Zeit arrangirt. Er gab sich viele Mühe, und wenn gleich seinem Spiele jene Ruhe und Selbstverläugnung abgeht, die zu derlei Compositionen unerläszlich sind, so gebührt ihm doch immer vieles Lob, welches Sie ihm gewiß selbst nicht gänzlich versagt haben würden. In dem Quartette war es besonders das Adagio was mich sehr anregte, doch erlaube ich mir bei Ihnren Compositionen wie gerne ein verleichendes Urtheil nach einmaligem Hören. Seit der Zeit, als mein letzter Brief abgieng hörte ich auch wieder ein neues vaterländisches Product – Veit – von dem ich letzthin schrieb – hat eine Concertouverture gesetzt, die letzthin im Conservatorium probirt wurde. Sie ist mit ziemlicher Effektkenntniß setzt, und bewährt offenbares Talent, wenn ich gleich etwas weniger Lärm und mehr Musik darin wünschen möchte. Sie werden vielleicht bald mehr darüber in öffentlichen Blättern hören, da sie im 3ten Concert des Conservatoriums nächstens producirt werden soll. Auch Kittl – der Ihnen damal als Sie in Prag waren – seine Idyllen für Pianoforte verehrte – hat im vorigen Jahre ein Septett für Pianoforte und Blasinstrumente, und erst itzt ein Nonett für Pianoforte mit Begleitung von Saiten- und Blas-instrumenten geschrieben. Beide Werke sind sehr brav, genial und edel gehalten, es würde mich freuen, sie bald im Stich zu sehen. Das letztere kenne ich bis itzt nur nach aus der Partitur, es sieht aber auch nächstens seiner ersten Production entgegen. Ich selbst habe die ganze zeit her sehr wenig thun können, da die Themis mich ungemein in Anspruch nahm. Jener letzerwähnte Motetten-Satz und einige kleinere Compositionen sind fast die einzigen Ergebnisse meiner letzten Muse. Itzt hoffe ich aber Zeit zu gewinnen, mich an etwas Breiteres zu wagen, und in der Orchester und Quartett Musik etwas zu versuchen. Unterdessen, wie Gott will, wer weiß, was noch für Berufarbeiten meine Wünsche und Plane vereiteln!
Ich sehe, ich habe wieder mehr geschwätzt, als nöthig war, ich muß daher schließen, und nur noch bemerken, dz mein Vater Ihnen das Beste und Herzlichste melden läßt

Unveränderlich der Ihrige
Louis Kleinwächter



Der letzte Brief dieser Korrespondenz ist Kleinwächter an Spohr, 06.03.1836. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] „dz“ = Abk. f. „dasz“.

[2] Vgl. „Theater und geselliges Leben“, in: Bohemia 28.11.1830, nicht paginiert; die Bohemia bezeichnet ihn allerdings als „Krow aus Amsterdam“ (vgl. ebd., 21.11.1830, nicht paginiert).

[3] „oder Strakaty selbst“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.03.2019).