Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Kleinwächter,L.:05

Prag am 6. Merz 1836.
 
Innigst verehrter Freund!
 
Wenn ich nicht glauben könnte, Ihnen bis itzt keinen Anlaß zu einer schlechten Meinung von mir gegeben zu haben, so hätte ich wirklich schon um meine Ehre bangen müssen, da ich so lange in Ungewißheit über die mir vertraute Angelegenheiten liesz. Seien Sie indesz versichert, dasz mir Ihr Interesse nicht minder warm, als immer, am Herzen lag, und dz1 auch ich ohne mein Verschulden Sie so lange mit der Ausgleichung hingehalten habe. Bis zum gegenwärtigen Augenblicke konnte ich mit einem der beiden Subcollectanten2 der eingeleiteten Subscription nicht ins Reine kommen, auf der andern Seite wollte ich aber doch wieder nicht eher an Sie schreiben, als ich nicht im Stande war, das Ende-Resultat vorzulegen. Endlich bin ich nun mit der Sache in Ordnung, und säume auch nicht länger mit der Berichtigung.
Sie senden mir 34 Exemplare, wovon 3 Exemplare als Freiexemplare abfallen; nach Ihrer Subscriptionsannonce ist der Preis für ein Exemplar 4 Thlr Preußisch Courant, somit erhalten Sie:
 
für 31 Exempl a 4 Thlr. 124 Thlr.
Copie der Paritur 10 Thlr. 16 gr.
1347 Thlr. 16 gr Pr. C.
 
zur Ausgleichung erhalten Sie inliegend einen auf Kammer & Schmidt in Leipzig gezogenen, von Ballabene & Com an Ihr Ordre girirten Wechsel im obenerwähnten Betrage. Ich hoffe in der Art der Berichtigung Ihrem ausgesprochenen Wunsche entsprochen zu haben, und erbitte nur mir baldigst die Bestätigung des richtigen Eingangs. Bezüglich der 10 Exemplare die an Marco Berra in Commission abgingen, wird dieser mit Ihren unmittelbar berechnen. Ich erkundigte mich erst heute, wie viele Exemplare denn davon schon abgesetzt seien, erhielt aber keine entsprechende Antwort. Berra versicherte mich nämlich, er wisse gewiß, dz in Wien und Leipzig das Exemplar viel billiger verkauft werde, seßhalb es Niemand bei ihm abnehmen, sondern sich lieber kommen lassen will. So weit mir das Sachverhältniß bekannt ist, sehe ich die Möglichkeit eines so bedeutenden Nachlaßes (er sagt mir 2 Thaler per Exemplar!!!) durchaus nicht ein; erkundigen Sie sich selbst, vielleicht werden Sie der Sache genauer auf den Grund kommen. Offen gesprochen ich halte das Ganze für erlogen. Berra ist ein sehr groszer Fuchs, der gewiß noch bei jedem Exemplar, das er verkauft, einen bedeutenden Zuschlag über den man Ihren fixirten Preis machen will, was freilich den Verkauf sehr hindert. Vielleicht speculirt er auch mit Absicht dahin, durch einen derlei Zuschlag die Sache länger am Lager zu behalten, in der Hoffnung von Ihnen dann einen bedeutendern Nachlaß zu erhalten, der ihn besonders dann – wenn er inzwischen seinen Vorrath insgeheim ausverkauft hätte, - doppelten Profit bringen müszte. Sollten Sie noch lange derartig herumziehen(???) wollen, so dürfte es wohl am besten sein, Sie trügen ihm auf den ganzen Vorrath an mich auszufolgen(???), ich würde dann schon trachten, denselben andern Händen anzuvertrauen, die weniger eigennützig zu Werke gehen. Nun ist der richtige Umstand zu bemerken, dz Berra den bedeutendrn Musicalienverkauf am hiesigen Platze beinahe monopolisirend in den Händen hat. Ich habe das Meisterwerk in der Partitur – die längere Zeit bei mir lag – genau durchgegangen, und darin geschwelgt. Dasz der hiesige Verein für Kirchenmusik dasselbe vor einem ziemlich großen Auditorium in einem unentgeldlichen Concerte, jedoch nur mit Clavierbegleitung gegeben habe, wird Ihnen wohl aus der Leipziger musikalischen Zeitung bekannt geworden sein.3 Die Production war recht brav, jedoch waren im Publicum die Stimmen darüber sehr getheilt, ob der Verein Ihnen damit einen Dienst geleistet habe, oder nicht, dz er eine so großartiges Werk dem Publicum zum erstenmale im bloßen Umris vorführte. Meines Erachtens nach glaube ich nicht, dz Ihnen dadurch ein Nachttheil zugegangen sei. Spohr‘sche Werke werden selbst dem Kenner besser, wenn er sich vor der Production bereits mit der Sache einigermassen vertraut gemacht hat, für das große Publicum kann es nur vortheilhaft sein, wenn es für den großenEindruck durch eine derlei Vorbereitung empfänglich gemacht worden ist. Die Tonkünstler-Societät, deren Vorsteher sich bei Ihnen selbst noch bedanken werden, ist gesonnen das Oratorium in seiner Urform zu productiren, die Partitur ließ Pixis schon von mir abholen um die Stimmen copiren zu lassen. Hoffentlich werden sie es mit den Proben fleißig nehmen, ich werde selbst gewiß nicht ermangeln, so viel hinzuzuthun, als meine Kraft und Stellung erlaubt. Uiber den Erfolg werde ich Ihnen dann unverzöglich berichten.
Im heurigen Advente hörten wir endlich einmal wieder eines Ihrer Violinconcerte. Herr Bezdek, ehemaliger Zögling des hiesigen Conservatoriums gab ein Concert, und wählte Ihr wunderherrliches E moll Concert zur Aufgabe seiner Production.4 Er studirte und spielte es mit sehr viel Liebe und großem Eifer für das wahrhaft Schöne; allein meiner Ansicht nach verlangt dieß Concert einen vollendeten Spieler, was er doch noch lange nicht ist. Sehr freute es sich, dz diese Wahl beim Publicum großen Anklang fand, ein Beweis, dz alle Wasserfluthen der oberflächlichen Modemusik doch noch nicht im Stande waren Sinn für wirkliche Schönheit im Walde(???) zu ersticken.
Ich bin ungemein begierig, zu vernehmen, was Sie wieder Groszes und Herrliches geschaffen oder unter der Feder haben, ich hätte gerne schon lange nachgefragt, allein die mir so unangenehme Verzögerung Ihrer Angelegenheiten ließ mich bis itzt schweigen. Ein hiesiger junger Dichter – Namens Korn(?) – hat mir bereits vor längerer Zeit einen Operntext überreicht, mit der Bitte, Ihnen denselben zur Ansicht vorzulegen. Der Stoff ist: Wlasta, eine Mythe der böhmischen Vorzeit, die Sprache und der Plan scheint mir gar nicht übel. Sollten Sie denselben zu sehen wünschen, so bittte ich, mir es gefälligst anzuzeigen, ich werde Ihnen sodann unverzüglich zusenden. Meine Lebensart hat seit einigen Monaten ziemliche Unordnung erlitten Die Lehrkanzel, welche ich längere Zeit supplicirte, ward wie mit Gewißheit voraus zusehen war - durch die Versetzung eines bereits an einer kleinen Universität angestellt gewesenen Professors nach hieher – besetzt, und ich bin somit seit dieser Zeit vom supplirenden Profeßor wieder zum Doctor schlechtweg zurück gekehrt. Indessen war es mir doch sehr lieb, Gelegenheit gehabt zu haben mich in diesem Wirkungskreise zu üben, und zugleich Beweise meiner Bemühungen geben zu können. Ich hoffe dasz bei einer künftigen Apertur5 dieses Verdienst ein nicht unbedeutendes Gewicht in die Wagschale legen dürfte. Meine Zeit ist demnach itzt wieder dem reinen juristischen Studium als Vorbereitung für eine etwa offen werdende Professur – welcher Wirkungskreis mich am meisten anzieht – gewidmet. Dasz die Kunst dabei leider sehr schlechte Progressen machen kann, muß ich mit Schmerz beknnen, indesz thue ich darin wenigstens meiner so viel, als wir zu thun möglich. Weber gab bei dem Geistamte des Conservatoriums zur Eröffnung des heurigen Schulcurses wieder eine fünstimmige Motette von mir als Graduale.6 Sie ist für 5 Solostimmen und einen 5stimmigen Chor nebst einer unterstützenden Begleitung (a capella) von Streichinstrumenten, 3 Posaunen7, Trompeten und Pauken gesetzt, und schließt mit einer ziemlich breit geführten fünfstimmigen Fuge: ich hatte das Vergnügen, den Beifall des kunstliebenden Publicums zu finden, und erst gestern las ich eine recht günstige Beurtheilung, die mich sehr freute, umsomehr als ich mir von einer öffentlichen Besprechung der ganzen Sache gar nichts träumen ließ. Sobald ich nur mit einigen andern Berichtigungen im Reinen sein werde, werde ich nicht säumen, Ihnen das Werk nebst einigen andern Kleinigkeiten zur Beurtheilung vorzulegen. Unser vaterländischer Quartettcomponist Veit, von dem ich Ihnen in meinem letzten Briefe schrieb, hat uns wieder mit einem Quintett und einem Quartett beschenkt, welche beiden Werke die vergnügliche Meinung die man von ihm sagt, würdig bekräftigen: Leben Sie sehr wohl, Zeit und Raum erinnern mich an den nöthigen Schluß meines Schreibens, und erfreuen Sie bald mit einigen Zeilen
 
Ihren Ihnen ganz geweihten Freund
Louis Kleinwächter
 
Mein Vater grüßt innigst.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Kleinwächter an Spohr, 09.09.1835. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Kleinwächter an Spohr, 11.03.1836.
 
[1] „dz“ = Abk. f. „dasz“.
 
[2] Robert Führer und Wenzel Horak (vgl. Vorbrief).
 
[3] Vgl. „Prag“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 38 (1836), Sp. 594-597, hier Sp. 595f.
 
[4] Vgl. „Musikalisches“, in: Bohemia 15.12.1835, nicht paginiert.
 
[5] „Apertur“ = Öffnung, Eröffnung (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 36).
 
[6] Vgl. „Notizen“, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 7 (1835), S. 210f., hier S. 211.
 
[7] „Posaunen“ über gestrichenem Wort eingefügt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.03.2019).