Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Von Wien
Sr. Wohlgeboren
Herrn L. Spohr.
Doctor der Tonkunst
Cassel1


Wien, d 20. Januar 836

E. Wohlgeboren!

Mit lebhafter Dankbarkeit haben wir Ihr schönes Oratorium und die uns ertheilte gütige Erlaubniß erhalten, es ganz der theilweise abschreiben zu lassen. Dieß Jahr können wir nur den Schluß der zweiten Abtheilung aufführen weil es und den noch ängstlichen Theatervorschriften wegen unmöglich ist, die Solostimmen so zu besetzen, wie es ein so erhabenes Werk fordert. Wir hoffen, im Künftigen glücklicher zu seyn. Wir geben uns die Ehre, Ihnen das Programm unserer diesjährigen vier Concerte zu senden. Auf Proben und Production soll alle Sorgfalt verwendet werden. Ihre herrliche Symphonie, die Weihe der Töne, ist ein Tonstück, auf welches sich wieder alle Freunde der Musik freuen. Bey dieser Gelegenheit wagen wir es, die von Freund Haslinger an Sie schon gestellte Frage2 zu wiederholen, ob und unter welchen Bedingungen Sie geneigt wären, ein Schiller‘sches Trauerspiel: Wallenstein oder die Jungfrau von Orleans so zu componiren, wie Beethoven Göthes Egmont behandelt hat? wir ließen dann von Baron Zedlitz oder einem anderen vorzüglichen Dichter eine poetische Erklärung verfassen, die, hoffen wir, beser als Mosengeils Arbeit zu Egmont alle musikalischen Momente herausheben und indem sie, was Schiller zur Composition schon bestimmte, unberührt ließe, Ihnen volle Gelegenheit geben würde, ein der Dichtung entsprechendes Ganzes zu schaffen. Diese Dichtung, von einem Anschütz oder Löwe declamirt und von gut einstudirten Gesangstücken, Ouverture und Zwischenspielen begleitet, müßte eine vortreffliche Wirkung hervorbringen. Wenigstens war dieß mit Egmont der Fall.
Belieben Sie uns darüber bald zu antworten, denn es bedarf der Vorbereitung und adressiren Sie gefälligst die Antwort in die Haslinger‘sche Musikhandlung. Sie kommt uns sicher zu.

Mit wahrer Verehrung
E. Wohlgeboren
ergebenste Diener
Eduard Freiherr v. Lannoy
Ludwig Titze
Karl Holz

Programm
der Concerts Spirituels.
I.
1. Ouvertüre in C (6/8) von Beethoven
2. Fuge für Chor und Orchester, von Worzischek (Letzteres, noch nie aufgeführtes Werk.)
3 Preis-Symphonie von Franz Lachner. (Sinfonia passionata C moll)
4. Krönungs-Hymne von Händel. (Hier zum ersten Male aufgeführt.)3
II.
1. Symphonie in D dur4 von Beethoven.
2. Trauerchor von Händel (Funeral Anthem, hier noch nicht gehört)
3. Clavierconcert in C moll von Mozart, gespielt von Herrn v. Bocklet.
4. Schlußfuge aus einer hier unbekannten Litanei von M. Haydn.5
III.
1. Ouverture von P. Lindpaitner, componirt zur Eröffnung des großen Musikfestes zu Halle im J. 1835.
2. Finale der zweiten Abtheilung des neuesten Oratoriums von L. Spohr: Des Heilands letzte Stunden.
3. Choral und Fuge aus einer hier noch unbekannten Litanei von Mozart.
4. Die Weihe der Töne.6
IV.
1. Symphonie in A7 von Beethoven.
2. Offertorium von M. Haydn.
3. Clavierconcert in C moll von Beethoven, gespielt von Herrn Henselt.
4. Anthem von Händel, componirt im Jahre 1727 zur Krönung Königs Georg II (hier noch nicht gehört.)8




Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lannoy an Spohr, 12.12.1837.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich oben in der Mitte der Briefstempel „WIEN / FRANCO“, recht über dem Adressfeld befindet sich der STempel „26 Jan 18[3]6“

[2] Noch nicht ermittelt.

[3] Zum Konzert am 18.02.1836 vgl. „Die beyden ersten Concerts spirituels am 18. und 25. Februar“, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 8 (1836), S. 37-40; „Lachner’s Preissymphonie“, in: Telegraph (1836), S. 85ff.; „Noch ein Urtheil über Franz Lachner’s Preissymphonie im ersten Concert spirituel (den 18. Februar)“, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Musik, Mode und geselliges Leben 29 (1836), S. 159.

[4] Op. 36.

[5] Zum Konzert am 25.02.1836 vgl. „Die beyden ersten Concerts spirituels am 18. und 25. Februar“, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 8 (1836), S. 37-40;

[6] Zum Konzert am 03.03.1836 vgl. „Das dritte und vierte Concert spirituel am 3. und 10. März“, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 8 (1836), S. 41ff., hier S. 41f.; Heinrich Adami, „Drittes Concert spirituel“, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Musik, Mode und geselliges Leben 29 (1836), S. 136.

[7] Op. 92.

[8] Zum Konzert am 10.03.1836 vgl. „Das dritte und vierte Concert spirituel am 3. und 10. März“, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 8 (1836), S. 41ff., hier S. 42f.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit nicht in den Anmerkungen anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (12.11.2021).