Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.1 <18351213>
Beleg: Autographen. Historische Autographen, literarische Autographen, Musiker, Schauspieler und bildende Künstler, Stammbücher. Versteigerung am 20., 21. und 22. Oktober 1926 (= Katalog Liepmannssohn 48), Berlin 1926, S. 174f.

Sr. Wohlgeb.
dem Herrn Oberorganist
Adolph Hesse
in
Breslau.

Nebst einem
Paquet Musi-
kalien in blauen
Papier, gez.
H.A.H.0


Cassel den 13ten
December 1835.
 
Lieber Freund,
 
Ihren lieben Brief mit den 52 Rth. für 13 Clavierauszüge des Oratoriums habe ich richtig erhalten und danke herzlichst für Ihre Bemühung. Beykommend erhalten Sie nun, Ihrem Wunsche gemäß, eine Abschrift der Partitur. Die Copialgebühren betragen 10 Rth. 16 gl. Es hat etwas lange damit gedauert, weil ich sehr um Abschriften der Partitur gedrängt wurde, indem in 11 Städten große Aufführungen, größtentheils für den Charfreitag, vorbereitet werden.1
Nun eine Neuigkeit, die Sie überraschen wird: Nach Neujahr werde ich mich wieder verheirathen und zwar mit der ältesten Tochter des Oberappellationsrath Pfeiffer, derselben mit der Sie bey der Probe1a des Oratoriums, der Rochlitz beywohnte, die beyden 4händigen Nummern spielten. Nach dem Tode meiner Schwägerin2 war mein Haus nun vollends ganz verödet und wie die Jahreszeit wiederkehrte, in der ich den ersten, unersetzlichen Verlust erlitten hatte, überfiel mich eine solche Melancholie und eine solche Arbeitsscheu, daß ich fühlte, es müsse etwas geschehen, wenn ich nicht ganz zu Grunde gehen wollte. Meine nunmehr Verlobte hatte mir, dem Künstler, seit Jahren schon viel Theilnahme bewiesen; dies ermuthigte mich zu der Anfrage bey ihr und ihren Eltern, ob sie die meinige werden wolle. Sie willigte ein und so sehe ich nochmals für den Rest meines Lebens einer lichten Zukunft entgegen.
Ich habe wieder einiges neue geschrieben nämlich ein Soloquartett und Lieder für Alt und Bariton mit Clavierbegleitung.
Das neue Concertino, welches Sie mir accompagnirten, habe ich vor 14 Tagen in unserm 1sten Abonnementsconcerte gespielt. Es wurde gut accompagnirt und schien nach dem Geschmack des Publikums zu seyn.
Im nächsten Abonnementsconcerte werde ich auf vieles Verlangen einnmal wieder Die Weihe der Töne aufführen. Auch die Jahreszeiten haben wir gegeben und es scheint fast als wolle unser Publikum mehr antheil an den Concerten nehmen wie bisher.
Herrn Naß und meinen andern dortigen Bekannten herzliche Grüße.
Mit wahrer Freundschaft stets ganz
 
der Ihrige
Louis Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Hesse an Spohr, 31.10.1835. Hesse beantwortete diesen Brief am 20.01.1836.
 
[0] [Ergänzung 24.09.2021:] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „CASSEL / 13 DEC1835“, drüber befinden sich der Stempel „BRESLAU / 22 DEC“ und ein weiterer stark verwischter Stempe.
 
[1] Spohr bot mit der Subskriptions-Einladung zum Klavierauszug auch die Abschrift der Partitur an (Louis Spohr, „Subscriptions-Einladung”, in: Intelligenzblatt zur Allgemeinen musikalischen Zeitung 37 (1835), Sp. 23f.). Aufführungsbelege liegen vor für Prag (dort löste die Aufführung eine Kontroverse aus; vgl. „Prag (Beschluss)”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 38 (1836), Sp. 40f.), Erfurt („Erfurt”, in: ebd., Sp. 294) und Paderborn („Paderborn”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 38 (1836), Sp. 551f.). [Ergänzung 17.01.2020: Im Dezember erfolgte eine Aufführung in Stettin (vgl. Carl Loewe an Spohr, 23.12.1835)].
 
[1a] [Ergänzung 24.09.2021:] „Probe“ über gestrichenem „Aufführung“ eingefügt.
 
[2] Wilhelmine Scheidler.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach 10.03.2015).