Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,161
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 149f. (teilweise)

Sr. Wohlgeb
Herrn Wilhelm Speyer
in
Frankfurt a/m

franco


Cassel den 2ten
November 35.

Geliebter Freund,

Entschuldigen Sie, wenn ich Sie mit einer Bitte belästige. Wir lesen in Frankfurter Blättern1, daß dort ein junger Tenorist aus Carlsruhe (Adler wenn ich nicht irre) mit großem Beyfall gesungen hat. Ist er wirklich gut? und würde er vielleicht für hier zu gewinnen seyn; oder ist er schon dort an Schmezer’s Stelle engagirt? Sollte dieß nicht der Fall seyn, so würden Sie mich sehr verbinden, wenn Sie uns näheres über ihn und seine Verhältnisse melden wollten. Wir suchen noch einen jugendlichen Tenoristen und können leider keinen finden, der uns zusagt.
Für Ihren freundlichen Glückwunsch meinen herzlichen Dank! Ich komponire jetzt wieder fleißig und habe gestern vor 8 Tagen ein neues Soloquartett zum erstenmal gespielt und gestern wiederholt, was meinen musikalischen Freunden besonders gefällt. Jetzt schreibe ich Lieder für Mezzosopranstimme. Die Veranlassung ist Therese, bey der sich ein ausgezeichnetes Gesangstalent zu entwickeln beginnt. Mit meiner Verlobten spiele ich hier häufig zusammen, besonders 3 neue Sonaten für Piano und Violine von Hauptmann, die zu dem Schönsten gehören, was in dieser Gattung existirt.
Ist Curschmann noch dort?
Unter herzlichen Grüßen an die lieben Ihrigen mit inniger Freundschaft stets ganz

der Ih[rige]
Louis [Spohr]



Dieser Brief ist die Antwort auf Speyer an Spohr, 12.10.1835. Speyers Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] Noch nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.03.2016).

Cassel, 2. November 1835.

... Für Ihren freundlichen Glückwunsch meinen herzlichen Dank! Ich komponiere jetzt wieder fleißig und habe gestern vor acht Tagen ein neues Soloquartett zum erstenmal gespielt, was meinenmusikalischen Freunden besonders gefallen hat. Jetzt schreibe ich Lieder für Mezzosopranstimme ... Mit meiner Verlobten spiele ich hier häufig zusammen, besonders drei neue Sonaten für Piano und Violine von Hauptmann, die zu dem Schönsten gehören, was in dieser Gattung existiert ... Haben Sie doch die Güte Herrn Strauß zu sagen, daß man seine Hierherkunft wünscht und daß er hier brillante Geschäfte machen würde ... In meiner neuen Verbindung fühle ich mich sehr glücklich. Nicht bloß die Eltern und Geschwister meiner Verlobten sind höchst geistreich und unterrichtet, auch die andern Familienmitglieder sind es größtentheils, so daß ich in dem Zirkel dieser Leute meine Freistunden höchst angenehm verlebe.