Gustav Nauenburg an Louis Spohr in Kassel

Herrn
Kapellmeister Dr. L. Spohr
Wohlgeboren
in
Cassel.

franco.


Ew. Wohlgeboren

mögen entschuldigen, daß ich Ihrer gegebenen Aufforderung erst jetzt nachkomme; vielfache literarische Arbeiten, wie eine kleine Kunstreise etc. sind die Ursache der verspäteten Antwort. Leider haben sich, trotz meiner öffentlichen Aufforderung in hiesigen Zeitungen nicht mehr als 2 Subscribenten zum Clavierauszug Ihres Oratoriums¹ gefunden²; unser geldarmes Publikum scheut dergleichen Ausgaben, obgleich Ihre Compositionen hier viel Eingang gefunden. Die letzten Dinge brachten wir vorigen Winter, ebenso wie Ihre neue Symphonie 2 Mal zur effectlichen Aufführung. Ihre Baritonarien sowie mehre Ihrer Gesänge mit Pianofortebegleitung sind von mir oft und stets mit ungetheiltem Beifalle zu gebracht. Da ich durchschnittlich im Winter in 18 bis 20 Conzerten singe, in welchen ich außer einer Arie und Ensemble etc. 2 Gesänge oder Lieder mit Pianofortebegleitung vorzutragen pflege, so erlaube ich mir Ihnen eine freundliche Bitte vorzutragen; es sollte mich freuen, wenn Sie von Ew. Wohlgeboren nicht ganz unberücksichtigt bleibt. Trotz aller Bemühungen ist's mir bis jetzt nicht gelungen, die Partitur der letzten Scene u. Arie des Pietro von Abano zu erhalten („Sie schläft – Um die geliebte zu gewinnen³ etc. etc.) Sie würden mir einen großen Gefallen erweisen, wenn Sie bei Übersendung des Klavierauszugs v. Oratorium die genannte Partitur gefälligst beilegen wollten; mit Vergnügen bin ich bereit, die [???] Kosten zu erstatten; auch hoffe ich seit Jahren vergebens auf die Erscheinung der versprochenen Baritongesänge, wozu ich Ihnen, Ihrem Wunsche gemäß, mehrere Texte einsandte.⁴ Wir Baritonisten sind im Ganzen so arm an guten Compositionen zum Conzertvortrag, daß ich mit Sehnsucht auf eine freundliche Gabe aus Ihrer Hand harre⁵; die Baritongesänge von Marschner. Reissiger etc. etc. habe ich schon, so weit sie sich zum öffentlichen Vortrag eignen, mehrfach zu Gehör gebracht, und mir bleibt von Novitätten für diesen Winter, außer Reissigers neustem Liederhefte (für meine Wenigkeit eigens componiert) wenig Gutes übrig. – In Halle feiern wir heute den 2^ten Tag des von Naue veranstalteten Musikfestes⁶; im gestrigen Conzert kamen zur Aufführung: Sinfonie Nr. 4. Conzert für 4 Violinen von Maurer (Urnabek, Tomassini v. Berlin, Lindner u. Apel v. Dessau) Concert für Violoncello (Drechsler v. Dessau) Solo für Posaune (Queisser) zwei Arien gesungen von Dem. Vial, und eine Baritonscene von mir vorgetragen. Heute d. 21 Absalon von Schneider den 22. Ouverture v. Mendelssohn, Conzert für Klarinette (Tretbar v. Braunschweig) Violine (Urbaneck) Finale aus D. Juan etc. Den 23. ) Quartett-Soirée. Möge Naue auf seine Kosten kommen!
Mit unwandelbarer Liebe und Ergebenheit

Ew. Wohlgeboren
getreuer
G. Nauenburg

Halle ²¹/₁₀ 35.⁷