Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Herrn
Kapellmeister Louis Spohr
Wohlgeboren
in
Cassel
 
 
Hochverehrter Herr Kapellmeister!
 
Gestern wurde ich auf‘s Angenehmste überrascht durch das Lied, welches Sie die Gewogenheit hatten mir zu senden, und mit einem freundlichen Schreiben zu begleiten. Meine Frau u. ich wir danken Ihnen dafür recht herzlich. Sie haben uns dadurch eine große Freude gemacht. Das Lied gefällt uns sehr, und es liegt ganz in dem Stimmumfang meiner Frau. Heute Abend wollen wir es einmal mit der begleitenden Stimme probiren, die aber in Ermangelung eines guten u. zarten Hornisten, auf dem Violoncelle gespielt werden muß, was freilich den Effekt nicht machen wird, als wenn ein Horn anschmiegend u. mitfühlend begleitete. Das müßte sich schön ausnehmen. Nochmals sage ich Ihnen meinen herzlichen Dank für Ihre Güte. Wenn doch mehr solcher Lieder und größern Compositionen für die eigentliche Altstimme erschienen! Es ist gewiß großer Mangel daran. Ist es auch wahr, daß Sachen für die tiefe Altstimme keinen großen Absatz finden, und daher die Componisten und Verleger nich dazu aufgemuntert werden, so sollte die schöne Stimme mit ihren rührenden, tief eindringenden Klängen doch zuweilen einmal ein Geschenk erhalten. - Rossini hat in seinen Opern die Altstimme zwar reichlich bedacht, allein das Herz (das deutsche wenigstens) kann sich an dieser Musik nicht ergötzen. Meine Frau singt, weil wir Ihre Musik so sehr lieben, viel von Ihnen, wir müssen aber zu Bass-Arien greifen; da sie den Umfang dazu hat, auch wenn einmal das tiefe Es verkommt [wie in der Arie von Ihnen: „du schöner Stern“1 bei Diabelli in Wien]2, so geht das zwar, und wir erfreuen uns auch recht daran, allein was für Bass-Stimme geschrieben ist, paßt doch selten für die Altstimme, gewöhnlich schon des Textes halber nicht. - Sollten Sie, verehrtester Herr Kapellmeister, sich der kleinen Schaar der eigentlichen Altsängerinnen nicht einmal erbarmen, u. ihr ein Heft Lieder zum Geschenk machen wollen? Ach, geben Sie doch von Ihrem Reichthum den Verwaisten, Verlassenen etwas mit!
Wie freue ich mich auf das neue Oratorium! Die Recension3 darüber in der Leipziger mus. Zeitung hat mir wahrhaft wohlgethan, und der Gesang der daraus mitgetheilt wurde, ist so schön, so rein, so wahrhaft edel u. fromm, daß ich glaube dieses Werk müsse die Krone aller Ihrer Compositionen seyn, und zu dem Würdigsten gehören was jemals erschienen ist. Die Mitwelt u. die späte Nachwelt wird Ihnen danken für eine so herrliche Gabe. Verzeihen sei einem schwachen Dillettanten, der aber nächst der Religions nichts so sehr verehrt u. liebt als die Musik, die wahre nämlich, daß er sich Ihnen gegenüber so ausspricht. Ich freue mich auf den Winter, wo wir dieses Werk vernehmen werden. In den letzten Jahren wurden in unserm Singverein meistens Werke von Ihnen geübt. Die letzten Dinge (woran wir uns immer von Neuem erbauen) wurde, so wie der 2te Act der Jessonda, mehrmals öffentlich aufgeführt, leider aber bloß mit Clavierbegleitung, da unser fast nur aus Dillettanten bestehendes Orchester zu sehr zurück ist. Gegenwärtig wird Faust ausgeschrieben. Können wir auch solche Werke nur äußerst mangelhaft ausführen, so verschaffen sie uns doch großen Genuß, und an Eifer fehlt es uns nicht, wenn wir ein Werk von Ihnen v[or]nehmen.
Ihren Auftrag an Herrn Scheibler werde ich nicht ermangeln nebst den Grüßen auszurichten. H. Dr Löhr hat neulich wieder eine hiesige kleine Orgel nach der neuen Methode4 durch alle Register gestimmt – die Reinheit war ohne Makel.
Meine Frau, mein Schwiegervater und dessen Söhne empfehlen sich Ihrem wohlwollenden Andenken recht angelegentlich, so wie nicht minder ich, der ich mit wahrer Hochachtung mich nenne
 
Ihren ganz ergebenen
WmvBeckerath
 
Crefeld d. 31 Aug 1835.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Beckerath, 22.08.1835. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Beckerath an Spohr, 06.10.1843, der auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Johann Nicolaus Wolff, 27.09.1843 antwortet.
 
[1] Aus Das befreite Deutschland.
 
[2] Am unteren Seitenrand eingefügt.
 
[3] Vgl. F[riedrich] N[e]b[e]lth[au], „Cassel, im Mai“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 37 (1835), Sp. 343-352.
 
[4] Vgl. Heinrich Scheibler, Anleitung, die Orgel unter Beibehaltung ihrer momentanen Höhe, oder nach einem bekannten a, vermittelst des Metronoms nach Stössen erwiesen, gleichschwebend zu stimmen, Krefeld 1836.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (12.06.2017).