Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Axel Beer, Heinrich Joseph Wassermann (1791-1838) (= Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster 2), Hamburg und Eisenach 1991, S. 250f.

Seiner Wohlgeboren
Herrn Louis Spohr
Kurfürstl. Hessischer
Hofkapellmeister
in1
Cassel.

fro.


Basel d 30 Aug. 1835

Mein sehr hochgeschätzter Lehrer
Freund u Br.2

Ihre Zuschrift vom 27 May mit dem Zirkulare in Begleit hat mir eine große Freude gewährt, und ich danke Ihnen sehr, für das gütige Andenken, dessen Sie mich immer würdigen. Aufrichtig hab ich mich stets bemüht, in meiner, mir angewiesenen kleinen Carrière soviel zu leisten, als die schwachen Kräfte gestatten, um meinem hochachtbaren Lehrer, als sein dankbarer Schüler einige Ehre zu machen. In meinem hiesigen Wirken, als Konzert-Director und Musiklehrer, hab ich mir Mühe gegeben, auf den besseren Geschmack nach Kräften hinzuwirken, was mancher Schwierigkeit unterlag, bey dem gesunkenen Zustand des hiesigen Musikwesens und bey dem Mangel an Wärme für die schöne Kunst überhaupt in einer, fastz ausschließlich merkantilistischen Stadt. Die Musikliebhaberey hat durch die 6 jährigen guten Konzerte merklich beym Publikum zugenomen; allein seitdem das neue hübsche Theater erbaut, in welchem vorigen Winter eine wandernde Truppe zum erstenmal spielte, scheint den Konzerten ein Nachtheil zu drohen und schon dieses Jahr sind Mitglieder aus der Konzertgesellschaft, aus Oeconomie, ausgetreten, und es werden einige Konzerte weniger wie früher Statt finden. Es kann kommen, daß in der Folge die schöne, bereits hundertjährige Konzert-Anstalt, nebst dem, schon sinkenden Gesangverein, durch den Theaterkram verschlungen wird, was unsere wahren Musikfreunde zu fürchten scheinen, aber der eigenen Kraft, diesem reißenden Strom entgegenzu schwimmen nicht vertrauen.
Ich habe alsbald nach Empfang Ihres Zirkulars dem Vorstand des hiesigen Gesang-Vereins Ihr Meisterwerk zur Anschaffung vorgeschlagen und empfohlen, desgleichen hab ich nach Genève geschrieben, wo seit ein paar Jahren ein Institut dieser Art, unter Leitung eines deutschen Pastors creirt ist, und woselbst auch schon Ihr Oratorium: die letzten Dinge sind3 aufgeührt worden. Von dort erheilt ich die Antwort: des deutschen Textes wegen könne man das Werk nicht anschaffen. Hier selbst ist d. Ges. Verein nicht im blühenden Zustand und vermag nur leichtere Musik auszuführen; dennoch hätte d. Dir.4 große Lust Ihr Oratorium zu besitzen. Nach Zürich, die beste Stadt für Musik, haben Sie sich selbst adresirt5, dort wird es nicht fehlen. Von andern Städten erwart ich noch Nachrichten über diesen, mir sehr interessanten Gegenstand. Ich bedaure nur, daß ich jetzt noch außer Stand bin, Ihnen bessern Bericht zu senden.
Wie großen Antheil ich an Ihren Familien Angelegenheiten nehme, dies dürfte ich wohl nicht im Stande seyn, in Worte nieder zu legen. Sehr schmerzlich war mir die Trauer-Nachricht in der Mus. Zeitg. von dem Hinschied Ihrer hochverehrten Gattinn6; ich selbst bin nun seit 6 Jahren glücklich verehelicht und fühle nun um so mehr, was es seyn muß, seine treue Lebensgefährtinn wieder zu verlieren. Leider hatten wir nicht das Glück, unsere 3 Kinder zu erhalten!
Ich erlaube mir nun noch schließlich auf meine hiesigen Verhältnisse zurück zu kommen. Die prekäre Lage eines in der Schweiz etablirten Musikers, der gänzliche Mangel an musikal. Kunstgenuß ist für die Länge betrübend und beunruhigend. Meine ehlich Verbindung mit einer Genferinn zog mich wieder in dies schöne Land. Aus obigen Gründen wünscht ich indeß wieder sehr eine feste Anstellung, am Liebsten wohl in Ihrer Umgebung, in meinem Vaterlande, in dem schönen Cassel; meine Vaterstadt ist Fulda. Als Violinspieler, so wie als Orchester-Director unterzieh ich mich jeder Probe, bin ja übrigens nicht unbekannt, liebe Arbeit u. Ordnung. Wie sehr dankbar würd ich Ihnen seyn, wollten Sie mich Ihrer, so gewichtigen Unterstüzung würdigen und von meinem Wunsche Notiz nehmen, sollte sich eine Gelegenheit darbieten.
Mit höflicher Bitte um gütige Entschuldigung mit meinem langen Schrei[ben empfehle]7 ich Ihrem ferneren freundschaftlichen Wohlwollen mich aufs Best[e und ver]harre in steter Hochachtung u. Liebe

Jos. Wasserman[n]

Meine Freunde Hasemann Wiele Blatscheck bitt ich zu grüßen.8

Autor(en): Wassermann, Heinrich Joseph
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Blaschek, Valentin
Hasemann, Nicolaus
Spohr, Dorette
Wassermann, Pauline Antoinette
Wiele, Adolph
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Erwähnte Orte: Basel
Zürich
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1835083040

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohrs Subskriptionsaufruf für den Klavierauszug seines Oratoriums Des Heilands letzte Stunden, dessen an Wassermann gerichtetes Exemplar vom 27.05.1835 derzeit verschollen ist.

[1] Rechts auf dem Adressfeld befindet sich der Poststempel „BASEL / 2 / SEPT. / 1835 / [???]“; rechts neben dem Adressfeld der Stempel „6 SEP 1835“.

[2] Abk. f. „Bruder“. – Sowohl Spohr als auch Wassermann waren Freimaurer.

[3] Sic!

[4] Ferdinand Laur.

[5] Vgl. „Nekrolog. Dorette Spohr”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 37 (1835), Sp. 43f.

[6] Vgl  Spohr an Hans Georg Nägeli, 20.05.1835.

[7] Textverlust durch Siegelaufdruck.

[8] Das Postscriptum ist am linken Seitenrand eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (24.08.2020).