Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Mawkes:1

An Seiner Wohlgeborenen
den Herrn Kapellmeister
Dr Louis Spohr
zu
Hesse Cassel
Germany


August 20th
18355

Belper,
Derbyshire –
den zwanzigsten August 1835_

An Seiner Wohlgeboren
den Herrn Kapellmeister
Louis Spohr.

Hochgeschätzter Lehrer

Mit welchen Gefühlen ich die Nachricht vom Tode Ihrer würdig geliebten und zwar von allen Bekannten hochgeehrten Gemahlin2 erhielte3 läßt sich wohl denken, doch nicht beschreiben. Genug sey es denn daß ich sage wie herzlich sehr ich Ihnen unter diese4 unersetzliche Verlust die Betrübniß die Sie fühlen müßen mittheile, und wie gern ich das Instrument in den Händen unseres würdigen Herrn seyn möchte, Ihnen den Trost, den Sie gewiß so sehr bedürfen zu ertheilen. Ach! wie ungewiß und veränderlich ist alles in dieser Welt! Wie viele schöne Plane entwerfen wir, die doch ganz vereitelt werden! Wie viele reizende Hoffnungen werden getäuscht! Und wäre es nicht eine interessante und wichtige Frage „Warum geschieht dieß also? Gewiß um uns zu lehren daß „des Menschen thun steht nicht in seiner Gewalt und steht in Niemandes Macht wie er wandle und seinen Gang richte“5, sondern gänzlich in der Macht und Gewalt Gottes – Auf daß wir unser Theil nicht in dieser, sondern in jener zukünftigen ewigen Welt zu haben6 suchen! Wieder – Welch ein starker Beweiß der Unsterblichkeit der Seele finden wir in dieser sonderbaren Einrichtung der Dinge! Von der offenbar herrschenden Absicht und Richtung der Dinge beschließen wir daß der Herr Gott Rücksicht auf die Glückseligkeit seiner sinnlichen Geschöpfe gewonnen habe! Wie geht es denn zu daß der Mensch, sein edelstes Werk auf dieser Welt so viel Unglück leiden muß? „Durch die Sünde“ antworte ich mit dem Apostel in seiner Epistel an die Römer „Derhalben wie durch einen Menschen die Sünde ist gekommen in die Welt, und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben.“7 Doch hat uns unser barmherziger Herr (gelobet sey sein heiliger Name!) in diesem Zustande nicht ohne Hoffnung gelassen, denn es steht in derselben heiligen Schrift geschrieben „Denn so um des Eingen8 Sünde willen der Tod geherrscht hat durch den Einen, vielmehr werden dir, so da angefangen die Fälle der Gnade und der Gabe zur Gerechtigkeit herrschen im Leben durch Einen, Jesum Christ.“9 „Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“10 „Denn Gott hat nicht gesendet seinen Sohn in die Welt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde“11 – „Solche Sätze (wie der große deutsche Reformer Martin Luther sagt) wären, wenn man sie aus Rom oder Jerusalem her auf den Händen aus Ruinen hohlen müßte, des Hoffens werth!“12 – Mir ist es als hörte ich Sie zu sich sagen „Warum schreitt13 mir der Mensch mich(???) dieser Art?“ Meine Antwort ist schon bereit. Eben weil ich gegen Sie die größte und tiefste Hochachtung und Liebe hege! Weil es mein herzlich-innigster Wunsch ist Sie in dieser Welt durch die sichere und wohlgegründete Hoffnung – und in jener Welt durch den wirklichen Besitz des ewigen Lebens glücklich zu sehen! Weil wir durch eben diese Hoffnung14 die verschiednen und mannigfaltigen Sorgen dieses kurzen Lebens nicht bloß erträglich sondern auch leicht gemacht werden. Und weil mich der rechmässige15 Gebrauch der Gaben Gottes zu Ihm16 als den Ursprung u Geber alles Guten in Lob und Dankbarkeit hierauf zielt! Noch eins! weil ich mich einer solchen gnädigen Herrn17 nicht schämen will, denn Er sagt „Wer sich mein[er] u mein[er] Worte schämt, deß wird sich auch [der] Mensche[ns]ohn schämen, wenn er kommen wird in Herrlichkeit und seines Vaters, mit den heiligen Engelen“18 Im Gegentheil sagt er wieder: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater“! Meinen Glauben habe ich auch nicht blindlings ergriffen, sondern bin bereit zur Verantwortung jedermann, der Grund fordert der Hoffnung die in mir ist. Ganz gleichgültig wird es Ihnen wohl19 auch nicht seyn wie es mit mir in der Kunst geht. Was das betrifft habe ich aufgehört öffentlich zu spielen20; weil mir die Ehre bey den Menschen nicht so lieb sey als die Ehre bey Gott. Doch gebe ich Unterricht beides auf der Violine und Klavire.
Ich bitte, richten Sie viele Empfehlungen von mir an Ihre werthe u. geschätzte Familie aus – an den Herrn u Frau21 von Heathcote u seine Familie, an den H. u F v. Malzburg, an den H. Wiele, Deichert, Hasenmann, Hauptmann, die Mad. St[???], an alle meine Mitschüler u lieben jungen Freunde wenn irgend22 einige davon in Cassel seyn sollten. Mein Vater u Mutter grüßen Sie recht herzlich, und es gäbe Uns allen den wahresten Vergnügen Sie in Belper zu sehen, u da würden Sie recht herzlich willkommen seyn wie auch irgend Einer Ihrer werthen Familie. – Eben fällt mir ein merkwürdiger Spruch von Ihnen ein; zu der Zeit wenn Sie ihn machten wirkte es einen großen Eindruck auf mich. Sie sprachen von dem beschwerenden fleischlichen23 Leibe den wir tragen müßen. – Nun finde ich in der Epistel Pauli an die Philipper daß der Herr Jesu Christus wenn er vom Himmel hernieder kömmt „unsern nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe, nach der Wirkung, damit er kann auch alle Dinge ihm unterthänig machen“.24 Daß Sie theilhaftig werden der Auferstehung des Leibes, und der Herrlichkeit die geoffenbart werden soll zur Offenbarung unseres Herrn Jesu25 Christi bete ich recht ernstlich. Nun aber dieß zu erlangen muß man widerum geboren werden nicht aus vergänglichem26 sondern aus unvergänglichem Saamen, nemlich aus dem lebendigen Wort Gottes das ewiglich bleibet. Denn alles Fleisch ist wie Gras, u alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blumen. Das Gras ist verdorrt, u die Blumen abgefallen; Aber des Herrn Wort bleibt27 in Ewigkeit.28 Diese einzige Bitte also gewähren Sie mir nur. Lesen Sie die heilige Schrift, (eine vortreffliche Uebersetzung ist die von Martin Luther29) die Sie zur Seligkeit unterweisen kann durch den Glauben an Christo Jesu! Wenn Sie Zeit und Lust haben möchte ich gerne einen Brief von Ihnen erhalten. Nochmals versichere ich Sie meiner Hochachtung, und Verlangen Sie wieder zu sehen, und verbleibe

Ihr Sie ehrender Schüler
Thomas Mawkes

Autor(en): Mawkes, Thomas
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Deichert, Wilhelm
Hasemann, Nicolaus
Hauptmann, Moritz
Heathcote, Adolph
Luther, Martin
Malsburg, Caroline von der
Malsburg, Wilhelm von der
Spohr, Dorette
Wiele, Adolph
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Belper
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1835082040

Spohr



[1] Auf der Adresse befindet sich rechts oben der Poststempel „PAID / 22 AU 22 / 1835“; über dem Adressfeld befinden sich die Stempel „BELPER / [???]“, „30 AUG 1835“, „ANGLETERRE / PAR OSTENDE“ und „F 35 / 1 4 2“.

[2] Dorette Spohr starb am 20.11.1834, also deutlich vor Mawkes Brief.

[3] Sic!

[4] Sic!

[5] Jer 10,23.

[6] „zu haben“ über der Zeile eingefügt.

[7] Röm 5,11.

[8] Sic!

[9] Röm 5,17.

[10] Joh 3,16.

[11] Joh 3,17.

[12] Noch nicht ermittelt.

[13] Sic!

[14] „eben diese Hoffnung“ über der Zeile eingefügt.

[15] Sic! – Ende des Worts gestrichen: „r“.

[16] Hier ein Wort gestrichen.

[17] Hier gestrichen: „mich“.

[18] Lk 9,26.

[19] „wohl“ über der Zeile eingefügt.

[20] Möglicherweise ist dieser Brief der Kern der Behauptung: „He [Mawkes] wrote warning letters, treating of this heinous offences (and these rebukes must have greatly astonished and amused the mild and amiable Spohr), remainding him of the awful consequences of ’profane‘ violin playing“ (William Glover, The Memoirs of a Cambridge Chorister, Bd. 2, London 1885, S. 208).

[21] „u Frau“ am linken Seitenrand eingefügt.

[22] „irgend“ über der Zeile eingefügt.

[23] „fleischlichen“ sowie vorhergehendes, gestrichenes „und“ über der Zeile eingefügt.

[24] Phil 3,21.

[25] Hier am Wortende gestrichen: „s“.

[26] Hier gestrichen: „sondern“.

[27] Hier gestrichen: „ewiglich“.

[28] Jes 40,6ff. par 1. Petr 1,24f.

[29] Einige Jahre früher schreibt Mawkes am 05.04.1832 an den Spohr-Schüler Ernst Reiter: „Jetzt habe ich eine deutsche Bibel, die will ich lesen, denn die enthält weit mehr Wissenschaft, Schönheit und Wahrheit, als Schiller oder unser Shakspeare [sic!], oder sonst irgend eine andere“ (in: Universitätsbibliothek Basel (CH-Bu), Sign. NL 57 : A:II:a:5).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.11.2020).