Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Halberstadt den 25sten Juli 1835.
Allerdings, verehrlichster Herr Kapellmeister, liegt eine lange und höchst verhängnißvolle Zeit zwischen heute und meiner letzten Mittheilung. Der unersetzliche Verlust, der Sie betroffen, hat auch uns höchst schmerzlich berührt, die wir das Glück hatten, das tiefe Gemüth und die Herzlichkeit der Verewigten kennen zu lernen und zu ahnden, was sie Ihnen sein mußte. Auch unser Haus hat in derselben Zeit große Verwüstungen erlitten. Meine ältere Schwester, die in des Vaters Hause lebte, wurde wiederholt vom Nervenfieber befallen und die Krankheit hinterließ eine unglückliche Aufgeregtheit, die uns um den Umstand der Armen besorgt machte; im Herbste wurde der Gatte meiner jüngeren Schwester nach Eutin versetzt1 und die Trennung von ihr und deren deren Kindern, die uns allen sehr traurig war, wirkte so sehr auf das Gemüth der älteren Schwester, daß sie in einen schlafartigen Zustand versinkt, der ohne wesentliche Unterbrechung (oft mit völliger Erstarrung) sieben Monathe hindurch dauerte, während welcher der Vater an das Krankenbette festgebannt(???) war. Seit etwa 6 Wochen ist ein wacherer Zustand eingetreten, aber die Kranke ist noch fast ganz in sich zurückgezogen, hat kaum vier Worte während dieser ganzen Zeit geredet und nimmt wenig Notiz von der Außenwelt. Wir wagen es gar nicht hoffen, daß eine baldige Genesung diesen Leiden ein Ziel setzen werde, sondern erwarten alles von einer langsamen Entwickelung. Unter diesen Umständen muß ich es für ein besonderes Glück nehmen, daß es mir vergönnt war hier zu bleiben und daß mich meine amtlichen Verhältniße sobald nicht von hier rufen werden.
Mit unsrem Musikinstitute bewegt es sich gar langsam zum Bessern. Herr Maier ist noch hier, aber er hat seinen Hang zu einem lockern Leben so wenig besiegt, daß ich nicht mehr auf eine Heilung seines gränzenlosen Leichtsinns rechne. Es ist sehr schade um die großen Fähigkeiten mit denen er unleugbar ausgerüstet ist und ich habe alle mir mögliche Nachsicht geübt und viel zu leiden gehabt, um ihn nicht sinken(???) zu lassen. Darunter hat auch alles gelitten, was regemäßige, unausgesetzte Aufmerksamkeit und Thätigkeit fordert, besonders die Schule. Um nicht die ganze Sache aufgeben zu müssen, habe ich lange Zeit hindurch die Nebensachen zur Hauptsache machen und mehr für Vergnügungen als für Belehrungen sorgen müssen und fange erst jetzt von ersterem Fuß zu fassen. Besonders unglücklich ist es bisher der Elementar-Violinschule ergangen. Den jungen Dilettanten ist eine strenge Schule leicht zu langweilig und die Meisten waren daher nicht lange zu halten; die Wenigen talentvollen Schüler aber wurden uns recht viel, bisher immer noch vergebliche Arbeit hat mir unser Musikfestwesen gemacht. Es sind zwar wieder zwei Musikfeste in Magdeburg2 und Dessau3 zu Stande gebracht, aber immer fehlt es noch an den Grundlagen einer dauerhaften Einrichtung. In Dessau waren die Leistungen recht befriedigend, aber4 Schneider selbst ist dem Entstehen eines bleibenden Vereins mehr hinderlich als förderlich, da er in Jedem seinen Feind sieht, der den Verein nicht als Mittel behandelt seine Oratorien zur Aufführung zu bringen. – Es sind jetzt wieder Unterhandlungen über eine neue Gestaltung des Vereins im Gange, nach deren Beendigung ich mir die Freiheit nehmen werde, Ihnen Alles mitzutheilen, was ich über diesen Gegenstand ausgearbeitet habe.
Ihr neues Oratorium wird bei uns eine sehr warme Aufnahme finden, das die Freunde Ihrer herrlichen Muse unter uns sehr zahlreich sind. Aus dem Resultate der Subscription werden Sie eine freilich nicht ersehen: die Singvereinsmitglieder sind sämtlich nicht in der Lage sich solche Werke verschaffen zu können. Nach Magdeburg habe ich geschrieben und durch Buchhändler Heinrichshofen, der sich dort der Sache angenommen, die Nachricht bekommen, daß Mühling und Wachsmann subscribirt haben. Ich stelle anheim, ob Sie diese beiden Exemplare unmittelbar an Heinrichshofen, oder mit zwei Exemplaren an mich senden wollen, welche hier verlangt werden. Recht sehr würde es mich freuen, wenn ich bei dieser Gelegenheit wieder einige Nachrichten von Ihnen erhielte. u der Vater läßt sich angelegentlichst empfehlen durch
Ihren
warmen Verehrer
Augustin
Autor(en): | Augustin, Luther |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Augustin, Christian Friedrich Bernhard Heinrichshofen, Friedrich Meyer, Emma Friedeline Meyer, Johann Friedrich Ernst Mühling, August Wachsmann, Johann Joachim |
Erwähnte Kompositionen: | Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden |
Erwähnte Orte: | |
Erwähnte Institutionen: | |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1835072547 |
Dieser Brief ist die Antwort auf Spohrs Subskriptionsaufruf für den Klavierauszug seines Oratoriums Des Heilands letzte Stunden, dessen an Augustin gerichtetes Exemplar derzeit verschollen ist. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Bischoff an Spohr, 17.06.1836.
[1] Vgl. „Dr. ph. Johann Friedrich Ernst Meyer“, in: Neuer Nekrolog der Deutschen 29 (1851), S. 1005-1018, hier S. 1011.
[2] Vgl. „Musikfest in Magdeburg am 28sten, 29sten und 30sten May d. J.“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 36 (1834), Sp. 336ff.; „[Am Musikfeste in Magdeburg], in: ebd., Sp. 651; „Ankündigung des am 28., 29. und 30. Mai dies. Jahres in Magdeburg zu feiernden großen Musik-Fests“, in: Neue Zeitschrift für Musik 1 (1834), S. 40; „Magdeburg, am 5. Juli. (Musikfest.)“, in: ebd., S. 111f.
[3] Vgl. „Musikfeste in Dessau und Potsdam“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 37 (1835), Sp. 315ff., hier Sp. 315f.;
[4] Hier gestrichen: „mit“.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.04.2022).