Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Inhaltsangabe: Edmund Spohr, „Louis Spohr und Amalie von Sybel. Ein Beitrag zur Musikgeschichte Düsseldorfs und zur Geschichte der Niederrheinischen Musikfeste”, in: Louis Spohr. Festschrift und Ausstellungskatalog, hrsg. v. Harmut Becker und Rainer Krempien (= Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Ausstellungskatalog 22), Kassel 1984, S. 91-104, hier S. 99f.

Düßeldorf d 20ten Mai 1835.

Ihr freundliches Schreiben mußte mir trotz dieser seiner Natur, einen tief wehmüthigen Eindruck machen, da ich erst dadurch von dem großen Verluste Kunde erhielt, der Sie betroffen1. Es einnert so recht an die Unsicherheit alles menschlichen Glückes, an unser Leben auf einer ewig schwankenden Wege, wenn da, wo wir alles wohlbehalten im Genuße ruhiger Heiterkeit glaubten, sich plötzlich eine Lücke öffnet, die zu bedeutend ist, um sich wieder füllen zu können. Da ich die Verewigte zwar nur wenige Tage, aber so klar und offen sah, daß ich recht gut mitempfinden kann, wie viel Sie verloren haben, so will mir auch jedes tröstende Wort zu unbedeutend scheinen.
Bleibt uns, zwischen Freud und Leid besttändig gewiegten, Menschen doch in solchen Farben füllen, um den Trost, in der Größe des Schmerzes, noch einmal die Fülle der genoßenen Liebe zu empfinden und darin zu erwärmen und zugleich immer zu werden, daß uns etwas so mit uns Verwachsenes nicht geraubt werden kann, sondern daß es uns im Innersten eigen bleiben muß; werden sich dann die freuig glaubende Hoffnung eines persönlichen Wiederfindens so gern knüpft.
Mit herzlicher Rühung mußte ich der so freundlichen letzten Worte die Ihre liebe Frau zu mir sprach, gedenken, womit sie mir Hoffnung machte, daß Sie mich durch ein Lied erfreuen würden, worin sich ihre liebevolle feine Seele ganz aussprach; freilich hoffte ich damals, sie noch wieder zu sehen. – Von ganzer Seele wünsche ich, daß Ihre herrliche Kunst (so geeignet uns aus uns selbst hinauszuführen zu einem ungetrübten klaren Reiche) Ihre Schmerzen auf poetische Weise aufnehmen in sich, Sie Ihnen lindern und Andere verklärt und allgemeiner mitempfinden laßen möge. –
Indem ich auf das Herzlichste für Ihre gütigen Mittheilungen wegen unseres Chores danke, will ich gleich zu der Freude übergehen, die Sie Sybel und mir durch die Nachricht gemacht haben, daß wir Sie hier sehen sollen. So sehr es Schade ist, daß Sie durch Ihre Anwesenheit nicht auch unser Musikfest, von dem wir uns mit allem Rechte Schönes versprechen dürfen, verherrlichen können, so wird uns dadurch vielleicht die Möglichkeit Sie etwas ruhiger zu genießen, Wir wollten Sie nun auf das freundlichste bitten, für Düßeldorf die Zeit nicht zu kurz abzumeßen und bei uns zu wohnen. Ihre liebe Tochter2, die als junges Mädchen eine Gespielinn an meiner Luise fand, wird jetzt in dieser eine Gesellschafterinn von ungefähr gleichem Alter finden und könnte mit der freundlichen Tante3 denselben Raum beziehen wo sie damals wohnte.
Beiden Frauenzimmern bitte ich mich zu empfehlen und ihnen diesen meinen Wunsch vorzutragen. Für Sie hätte ich dann freilich nur das kleine Zimmer, wo damals Fr. Schmitz4 wohnte, aber Sie haben ja schon einmal mit einem Aehnlichen so liebenswürdig bei uns vorlieb genommen. Es versteht sich von selbst, daß ich in und außer dem Hause thun werde, was ich irgend vermag, Ihnen den Aufenthalt so angenehm, wie möglich, zu machen.
Erfreuen Sie mich recht bald mit zwey Worten bejahender Antwort und können Sie uns den Tag Ihrer Ankunft wenigstens ungefähr bestimmen, so wäre uns dies aus dem Grunde, angenehm weil5 wir dann Alle sicher hier sind.
Ich hätte schon früher diese meine Bitte Ihnen vorgetragen, war aber leider unwohl und konnte es daher erst jetzt. Seit ich aber Ihren lieben Brief erhalten, denke ich Sie mir mit den Ihrigen, fortwährend als meine höchst erwünschten Gäste und da ich Ihnen durchaus keine Grausamkeit zutrauen kann, rechne ich darauf, daß Sie mir solche anmuthige Hoffnung nicht zerstören werden. – Mendelssohn, den wir leider verlieren, ist um die Zeit auch noch hier, überhaupt aber hoffe ich, daß Manches Ihnen hier ansprechend entgegen treten soll.
Sybel empfiehlt sich Ihnen auf das Herzlichste und bittet, wie schon gesagt, mit mir; erfreuen Sie bald, unsern Wünschen zustimmend

Ihre
ergebene
A. v. Sybel.

Autor(en): Sybel, Amalie von
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Scheidler, Wilhelmine
Schmitz (Sopranistin beim Musikfest in Düsseldorf 1826)
Spohr, Dorette
Spohr, Therese
Sybel, Luise von
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Düsseldorf
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1835052047

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Sybel. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Sybel an Spohr, 16.08.1839, aus dem sich noch ein derzeit verschollener Brief von Spohr an Sybel erschließen lässt.

[1] Spohrs erste Frau Dorette starb am 20.11.1834.

[2] Therese Spohr.

[3] Dorette Spohrs Schwester Wilhelmine Scheidler lebte mit im Spohrschen Haushalt und begleitete Spohr auf der angekündigten Reise.

[4] Fräulein Schmitz, Sopran-Solistin in der Uraufführung von Spohrs Die letzten Dinge beim Niederrheinischen Musikfest in Düsseldorf 1826 (vgl. Blätter der Erinnerung an die fünfzigjährige Dauer der Niederrheinischen Musikfeste, Köln 1868, Anhang S. 3).

[5] „weil“ über gestrichenem „damit“ eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.12.2022).