Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. Mus.ep. Spohr-Correspondenz 2,165
Druck: Ernst Rychnovsky, „Ludwig Spohr und Friedrich Rochlitz. Ihre Beziehungen nach ungedruckten Briefen”, in: Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft 5 (1903/04), S. 253-313, hier S. 300f.
Beleg 1: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen aller Art (Fürsten, Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 63
Beleg 2: Sammlung Fritz Donebauer, Prag. Briefe, Musik-Manuscripte, Portraits zur Geschichte der Musik und des Theaters. Versteigerung vom 6. bis 8. April 1908 (= Katalog Stargardt), Berlin 1908, S. 97
Beleg 3: Autographen, Manuskripte, Partituren, Bücher (= Katalog Boerner 16), Leipzig 1910, S. 70
Beleg 4: Georg Kinsky, Versteigerung von Musiker-Autographen aus dem Nachlaß des Herrn Kommerzienrates Wilhelm Heyer in Köln im Geschäftslokal der Firma Karl Ernst Henrici. Montag, den 6 und Dienstag, den 7. Dezember, Bd. 1, Berlin 1926, S. 100

Leipzig, d. 1. May 1835.
 
Geehrter Herr, mein theurer Freund!
 
Sie werden unzufrieden seyn, daß ich Ihnen auf Ihren trefflichen, wahrhaft freundschaftlichen Brief vom 20sten April noch nicht geantwortet habe, und ich müßte Ihnen Recht geben, wenn irgend etwas Anderes mich abgehalten hätte, als was in der That mich abgehalten hat. Das war aber nicht blos mein jetziger Gesundheitszustand und was dieser herbeyführt; denn alsdann brauchte ich ja nur, wie ich es jetzt thue, mich einer fremden Hand zu bedienen, es war einzig und allein, daß ich Ihnen gern die bestimmteste und zuverläßigste Antwort geben wollte: und das hing nicht früher von mir ab, sondern vom Himmel, der zuvor seine Stürme bändigen mußte und vom Arzte, der gleichfalls ein wichtiges Wort zuvor dreinzusprechen hatte. Jetzt kann ich diese Antwort geben: und jetzt gebe ich sie.
Zuerst empfangen Sie meinen aufrichtigen Dank für Alles und Jedes, was Sie mir, wie würdig und doch auch wie bescheiden – über die Aufführung des Oratoriums1 und die Wirkung desselben gemeldet haben. Die letztere war ja sonach gerade die, welche wir Beyde vereinigt uns nur irgend wünschen konnten. So thue doch nur ein Jeder redlich und treulich das Beste, was irgend in seinen Kräften ist, und die gute Wirkung wird nicht fehlen. Meine Freude als ich davon las war groß und auch daran desto erwünschter, weil ich eben in jenen Tagen viele und heftige Schmerzen zu ertragen hatte.
Jetzt zu Ihrer Freundschaftlichen Einladung! Kurz und gut: ich komme, ich komme ganz gewiß, wenn nicht Umstände eintreffen, die kein Mensch vorauswissen kann; was wir aber nicht fürchten wollen. Ich komme aber nicht allein; denn ich kann besonders unter meinen jetzigen Umständen nicht ohne Jemand reisen, der im Nothfall mir zur Had geht. Darum bringe ich ein höchst achtbares, junges Frauenzimmer mit, das Sie vielleicht schon selbst in meinem Hause gesehen haben, als ehedem die Gesellschafterin meiner seeligen Frau. Jetzt ist sie meine treue Gefährtdtin und Versorgerin meines Hauswesens. Ich melde dieß zuvor um Ihrer gütigen Einladung willen, in Ihrem Hause zu wohnen; denn, wenn ich auch Anderes nicht erwähnen will, so kömmt es darauf an, ob Sie in Ihrer Wohnung Raum genug für uns Zwey besitzen, ohne sich und den Ihren Zwang aufzulegen. Das Letztere darf wahrhaftig nicht geschehen: es würde sogar mich selbst verlegen machen. Darüber erbitte ich mir deshalb ganz aufrichtige Antwort. – Dies also soll auf keinen Fall eine Änderung meiner Zusage veranlassen: nur die Zeit, wann wir kommen, hängt davon ab, ob wirklich die Aufführung des Oratoriums an einem der Pfingsttage noch Statt finden wird. Findet Sie Statt, so komme ich eben den Abend vor derselben in Cassel an; denn ich will den ersten Eindruck ganz rein empfangen und ganz unzerstreut genießen. Sie werden das selber billigen; und da ich einige Tage zu verweilen wünsche, so wird es uns Beyden auch nicht an Zeit mangeln, uns mit andern angenehmen Gegenständen zu beschäftigen. Sie selbst gedenken der Oper. Da würde es mir große Freude seyn, Zemire und Azor oder Jessonda zu sehen: voraus gesetzt, daß sie eben jetzt zu Ihrer Zufriedenheit besetzt werden können. Diese beyden Werke gehören nun einmal zu meinen Lieblingen.
Wenn nun aber diese Aufführung an einem der Pfingsttage nicht Statt hat: dann komme ich mit meiner Freundin nach vollendeter Badekur, hoffentlich desto erfrischter und ausgeheiteter. Dieß würde geschehen an einem der ersten Tage des August. Auch über dieses muß ich mir bestimmte Antwort ausbitten und sobald sie sich geben läßt, denn ein Mann meiner Jahre, meiner jetzigen Gesundheits-Umstände fliegt nicht schnell auf, wie die Lerche, sondern summt und schnirpt erst wie der Käfer auf dem Boden herum, wo er sitzt.
Hochachtungsvoll und in froher Erwartung des Zukünftigen, das mich erwartet,
 
der Ihrige
Rochlitz.

Autor(en): Rochlitz, Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Kübler, Franziska
Rochlitz, Henriette
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Spohr, Louis : Jessonda
Spohr, Louis : Zemire und Azor
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1835050136

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Rochlitz, 20.04.1835. Bevor Spohr diesen Brief am 13.05.1835 beantwortete, sandte Rochlitz einen weiteren Brief am 08.05.1835.
Wie Rochlitz selbst im Brief angibt, diktierte er diesen Brief, vermutlich seiner im Brief ebenfalls erwähnten Haushälterin Franziska Kübler. Die Unterschrift ist offensichtlich autograf.
 
[1] Des Heilands letzte Stunden.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.11.2016).