Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

London August 18ten 1835

Sr Wohlgb Herrn Cappelmeister Spohr.

Der Brief vom 21ten Merz womit Sie mich beehrt haben, und worinnen Sie mir das Hinscheiden Ihrer so würdig Geliebten Gattin vermelden, hat mich tief durchdrungen. Wolte Gott daß der Antheil eines Freundes an den so tief ergreifenden Verlust mit dem ein unergründliches Schiksal, Sie, Edler Freund, heimgesucht, die Bitterkeit desselben vermindern könnte! Also soll ich die würdige,1 mir so hochverehrte Freundin die mich vor kurzen in Cassel, so liebreich empfing2, dieseit des Grabes, nicht wieder sehn! Nein, einer solchen Nachricht hätte ich mich nicht versehn. –
Dem blinden Flötenspieler3 und Überbringer Ihres Briefs habe ich auf Ihr Ersuchen mit Rath und That beigestanden, und erlaube mir hier zu bemerken, daß alle die4 eine Unterstützung vom hiesigen Königlichen Hause zu erhalten glauben, sich sehr betrogen finden; und daß die Personen, die ihm nach London zu reisen anriethen, weder die gegenwärtigen Umstände der Engländer noch dieselben kennen konnte, hier, wo eine so unselige Menge Musicanten herrum laufen, und täglich mehr ausgesezt(???) werden, und wo das gegenwärtige(???) Losungswort ist: „Englische Künstler und Musik“, und wo der Neid gegen die Auswärtigen Künstler immer auffaldener sich zeigt.
Nun erlaube ich mir noch, nur ein paar Worte beizufügen, Ihre große Symphonie „die Weihe der Tönebetreffend, und die mir, solche nach London zu befördernd, so manchen Gram(?) und Brief gekostet hat, ob ich gleich nichts unterlassen, bei meiner Anwesenheit in Frankfurt was die baldige Ankunft in London bezwecken konnte, und die doch erst in zwei im Februar anlangte. Die herrliche Schöpfung wurde dann augenblicklich eingeübt und wurde dann, im ersten Philharmonischen Concert, am 23sten Februar, aufgeführt.5
Was die Execution der Noten anlangte, so wurden solche alle richtig abgelesen, und Taktmaß so wie Piano und Forte, so ziemlich beobachtet, allein der Geist im Werk, sprach nur sehr wenige an, und wie ich glaube, so findet nur der Geist eines solchen Werks, durch deutsche Ohren den Weg zum Geist und Herzen, bei denen die gute Mutter Natur ihre geistigen Früchte nicht mir kargen Händen spendete.
In der Hoffnung, daß Sie Sich noch einer guten Gesundheit erfreuen, und daß Ihr Genius aus Ihrer willigen Feder, uns zu ergötzen, noch lange strömen möge,
Habe ich die Ehre, mit der größten Hochachtung zu verharren

Sr Wohlgeb. den H. Cappellmeister bereitwilligster Freund und Diener
J.A. Stumpff
44 Great Portland Street
Portland Place

Noch erbitte ich mit meiner freundliche Empfelung an Ihre liebswürdige Tochter,
Möge diesselbe für Sie, nun ein Ersatz sein für die6 so nicht mehr ist, sein und bleiben. –

Für den freundschaftlichen Gruße7 durch den Taylor danke ich Ihnen recht herzlich, und würden Sie mich durch den Überbringer dieses Briefs mit einigen Zeilen beehren, so würde ich mich recht kindlich freuen –
Der Überbringer dieses ist Hr Fraas, SchneiderMeister in London

Autor(en): Stumpff, Johann Andreas
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Fraas, M.G.
Grünberg, Gottlieb
Spohr, Dorette
Taylor, Edward
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die Weihe der Töne
Erwähnte Orte: London
Erwähnte Institutionen: Philharmonic Society <London>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1835041844

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Stumpff, 21.03.1835. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Stumpff an Spohr, 29.09.1841.

[1] Hier ein oder zwei Buchstaben gestrichen.

[2] Spohrs handschriftliche Widmung auf einer Reinschrift seines Streichquartetts op. 29.1 legt einen Besuch Stumpffs um den 09.10.1834 in Kassel nahe, also etwa einen Monat vor Dorette Spohrs Tod am 20.11.1834: „Herrn Stumpff in London zur freundlichen Erinnerung vom Komponisten. / Cassel den 9ten October 1834.“

[3] Gottlieb Grünberg.

[4] Hier gestrichen: „ich“.

[5] Vgl. [Henry Chorley], „Philharmonic Concerts“, in: Athenaeum 9 (1835), S. 171; „The English Orchestra. The Philharmonic Society“, in: New Monthly Magazine and Literary Journal 44 (1835), S. 289-295, hier S. 292f.

[6] „die“ über der Zeile eingefügt.

[7] Noch nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.07.2022).