Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Edmund Spohr, „Louis Spohr und Amalie von Sybel. Ein Beitrag zur Musikgeschichte Düsseldorfs und zur Geschichte der Niederrheinischen Musikfeste”, in: Louis Spohr. Festschrift und Ausstellungskatalog, hrsg. v. Harmut Becker und Rainer Krempien (= Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Ausstellungskatalog 22), Kassel 1984, S. 91-104, hier S. 99 (teilweise)

Verehrter Herr Kapellmeister.

Indem ich hoffe, dasß Sie mich nicht ganz aus Ihrem gütigen Andenken verwischt haben, übernehme ich mit Vergnügen einen Auftrag von Sybel, in1 einer Bitte an Sie bestehend, weil er mir zu gleich Gelegenheit giebt, Sie unserer fortdauernden Ergebenheit zu versichern. Mit vieler Freude hören wir von Zeit zu Zeit, daß es Ihnen immer noch wohl geht und wünschten nur herzlich, Sie einmal wieder hier zu sehen, um mancherlei mit Ihnen zu besprechen und in vielen Beziehungen uns durch Ihre Erfahrungen zu belehren. Auch hier würden Sie manchen neu und erfreulich gestaltet finden und Blüthen entdecken, wo sich bei Ihrem letzten Besuch nicht einmal Knospen zeigten. Könnte Sie doch das nächste Pfingstfest etwa (von Mendelssohn dirigiert) nach Kölln ziehen und Sie dann mit uns hier einige Tage stille Nachlese halten mögen; das würde sehr hübsch sein. Da ich aber vielleicht kaum dies angenehmer hoffen kann, so erlauben Sie mir hier noch den freundlichsten Dank für die gütige Aufnahme meines Danziger Schutzempfohlenen2 zu sagen und mich dann zu jenem Auftrag zu wenden, bei dem wir wieder, wie Sie sehen werden vertrauensvoll uns an Ihre Einsicht und Güte wenden.
Der Wunsch, einmal wieder eigentliche Kunstzwecke bei einer deutschen, wenn auch kleinen Bühne verfolgt zu sehen, das Hiersein Immermanns und Mendelssohns (der Eine für das recitirende Schauspiel, der Andere für die Oper seine Thätigkeit verheißend) welches mir eine seltene Constellation in dieser Hinsicht für Düsseldorf erschiene, veranlaßte einen Aktienverein zur Bildung eines Stadttheaters und nach Besiegung aller einleintenden Schwierigkeiten, begann die neue Bühne Ende Oktober ihre Darstellungen. Das recitierende Drama hat seitdem sehr bedeutende Vorstellungen gegeben und bei längerem Bestand der Sache, bei erst gebildetem Repertoir kann man mit Recht große Wirkungen davon erwarten; auch ist man allgemein in dieser Beziehung zufrieden gestellt. Mit der Oper hat es nicht so glücklich gehen wollen; Mendelssohn hat sich sehr bald von der Sache zurückgezogen, weil sie ihn am eigenen Arbeiten zu sehr hindere und hat alles dem unter ihm angestellten Musikdirector, Hrn. Rietz, überlassen, der aber bis jetzt auch nichts Bedeutendes hingestellt hat; sey es durch Mangel an den nöthigen Mitteln, als Sänger und Orchester, wenigstens theilweise, oder durch andere Dinge, die mir nicht genau bekannt sind. Da man aber sehr wünscht, auch die Ausführung der Opern, denen des recitirenden Dramas nach und nach gleich zu stellen und deswegen sich nach allen Seiten um Verbesserung bemüht, so ist zunächst der Chor auch eine Hauptparthie, die man zu haben wünscht. Sybel, als Mitglied des Verwaltungsraths des Stadttheaters, ist deswegen von H. Immermann gebeten worden, bei Ihnen, verehrter Freund, ergebenst anzufragen, ob Sie nicht unserer Bühne einige Choristen, die aber vollkommen routinirt sein müßten, zuweisen könnten und hat diesen Auftrag, Geschäfte wegen, mir übertragen. Er läßt Sie nun durch mich auf das freundlichste bitten uns, sobald es Ihnen möglich sein wird, gefälligst zu sagen, ob Ihnen etwa für jede Stimme ein Chorist oder eine Choristin3 bekannt wäre, der oder die4 nöthige musikalische Bildung, glückliches Gedächtniß und überhaupt Bühnenroutine hätte, um allenfalls die Andern auch leiten oder mitreißen zu können. – Es würde dies nöthiger sein, wie ausgezeichnent schöne Stimmen und ein solcher oder eine Solche würde von 16 bis 20 Th. pr. c. monatlich besoldet werden. Sybel wünscht nun zugleich diese Gelegenheit zu benutzen Sie im Vertrauen zu fragen, ob, im Falle einer möglichen Veränderung, Sie einen gestandenen Musikdirector für unser Theater wüßten, der zugleich neben den musikalischen Erfordernissen sich in den mancherlei Fällen der Berührung mit Anderen sich passend zu nehmen weiß und der immer so fördernd wie ihm möglich, auf die Richtigkeit und Schönheit der Darstellungen einwirkt, doch nicht einen zu hohen Maaßstab anzulegen gewohnt ist und weil er vorläufig hier nicht mit diesem meßen kann, entmuthigt auch das Erreichbare liegen läßt: kurz einen Mann, der mit eigenen Mitteln versehen, auch in kleinen Verhältnißen aus wahrem Interesse für die Sache, treu das Beste herzustellen sucht; was5 innerhalb der gegebenen Gränzen sich erstreben läßt und Routine hat. Es dürfte wünschenswerth sein, daß er nicht verehirathet wäre, da der gegenwärtige Msuikdirektor nur 600 Rh. Gehalt bezieht und in besten Falle die Erhöhung deßelben nicht sehr bedeutend sein kann.
Uebrigens ist diese Frage eine ganz Vorläufige, die Sybel für sich, nicht vom Verwaltungsrath ausgesandt, macht, um nicht ganz unberathen zu sein, wenn eine Veränderung der jetzigen Verhältniße eintreten sollte; die Choristen hingegen wünscht man in bezeichneter Weise je eher, desto lieber zu haben. Verzeihen Sie mit Ihrer gewohnten Güte alle Mühe, die wir Ihnen machen; wer aber Vertrauen erweckt, entzieht sich nicht leicht solchen Belästigungen; entschuldigen Sie erwartlich auch Sybel, daß er nicht selbst geschrieben; die Sache litt aber keinen Aufschub und er konnte in dem Augenblick unmöglich. Gestattete es Ihre Muß uns, wenn Sie so gütig sind, auf unsere Fragen zu antworten, einige nähere Nachrichten über Sie und Ihre liebe Familie zu geben, so würden Sie uns recht verbinden. Die freundlichsten Grüße bitte ich Letzteren zu sagen und empfehle mich dann Ihnen mit Sybel hochachtungsvoll.

A. v. Sybel.

Düßeldorf d 4ten März 35.

Autor(en): Sybel, Amalie von
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Immermann, Karl Lebrecht
Mendelssohn Bartholdy, Felix
Rietz, Julius
Sybel, Heinrich Philipp Ferdinand von
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Düsseldorf
Erwähnte Institutionen: Stadttheater <Düsseldorf>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1835032447

Spohr



Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] „in“ aus gestrichenem „an Sie“ korrigiert.

[2] Noch nicht ermitteln.

[3] „oder eine Choristin“ über der Zeile eingefügt.

[4] „oder dem“ über der Zeile eingefügt.

[5] Hier ein Wort gestrichen.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.12.2022).