Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Greifswalde den 28ten Februar
1835

Wohlgeborner Herr Kapellmeister
Hochzuverehrender Meister und Lehrer!

Erst jetzt, nach dem Ablauf von fast 8 Monaten, ergreife ich die Feder, um Ihnen, meinen theuersten Lehrer, noch meinen innigsten, herzlichsten Dank zuzuschicken, für Ihre Liebe und den Eifer, den Sie mir bewiesen haben, um mich der edlen Kunst der Musica immer höher auszubilden und mich dem Parnaß näher zu führen. Verzeihen Sie mir mit Ihrer Herzensgüte dieses lange Stillschweigen, denn ich wollte Ihnen von meinen Lebenverhältnissen nicht gern eher etwas schreiben, als bis ich die Aussicht hatte, vielleicht ein gutes Engagement zu finden; dieses ist mir denn nun auch in so fern gelungen, daß ich mich zu einer offerirten Stelle gemeldet habe, wo ich mir die Erlaubniß nehmen werde, Ihnen über diese etwas Näheres mitzutheilen.1
Sie werden sich vielleicht aus dem Intelligenzblatte Nro 1, 1835 der allgemeinen Leipziger Musikalischen Zeitung erinnern, daß dort für einen jungen höher gebildeten Musiker das Anerbieten gemacht wurde, sich in eine der bedeuternden Städte der preussischen Rheinprovinz als Musiklehrer auf der Violine und dem Pianoforte niederzulassen, wo er sich jährlich das Dirigiren eines bedeutenden Gesangvereins und der Concerte miteingerechnet, 1000-1200 Rth stehen würde; vorzüglich wurde gewünscht, daß er protestantischer Religion sei, (was ich auch bin,) um dort mit der Zeit eine Organisten-Stelle mit 150 Rth Fixum bekleiden zu können; und wenn der junge Mann, der sich zu dieser Stelle meldete, sich noch keinen bedeutenden Namen in der musikalischen Welt gemacht hätte, er sich auf einen anerkannten Meister von Ruf zu beziehen hätte2; ich habe im festen Gottvertrauen auf mich nun gewagt, mich zu dieser offerirten Stelle zu melden, und bin dabei so frei gewesen, mich auf Ihnen Herr Kapellmeister heirein zu berufen, welches ich bitte, mir zu entschuldigen. –
Seit meiner Zurückkunft von Cassel leite ich den hiesigen Gesangverein, und da ich das Glück hatte, früher unter Ihrer Leitung eine bedeutend lange Zeit im Cäcilien-Verein zu accompagniren, so denke ich, daß ich mich mit Gottes Hülfe bald in die schwere Kunst des Dirigiren hineinarbeiten werde; – was ich auf den obenbenannten Instrumenten zu leisten vermag, hierüber können Sie, mein theuerster Lehrer ja zum Besten ertheilen; sollte es nun der Fall sein, daß die bewußten unbekannten Herrn mich beachteten, und deßhalb sich Ihr gütiges Urtheil über mich ausbäten, so wage ich es, Sie recht herzlich zu bitten, mich diesen Herrn so zu empfehlen, so wie Sie würdig genug von mir denken. – Wäre es nicht zu viel verlangt, wenn einer Ihrer Ihnen treu ergebenen Schüler es wagte, Sie zu bitten, sobald vielleicht kleine Anfrage bei Ihnen geschehen mögte, mich so diesen pp. in einem Berichte zu empfehlen? Die Adresse lautet M.H. franco, und das Schreiben ist in der Expedition der allg. Musikalischen Zeitung zu Leipzig zu deponiren. –
Mit vielem Schmerz habe ich auch von dem unersetzlichen Verlust gehört, der Sie in dem Tode Ihrer Frau Gemahlin erlitten haben3, sein Sie von mir überzeugt, nur mit der tiefsten Wehmuth denke ich an Ihne seelige würdige Frau, und betrauere in Ihr auch eine gegen mich gewesene mütterlich gesinnte hochachtungswerthe Dame. –
Ich componire jetzt fleißig, habe eine Ouverture für ganzes Orchester vollendet4, mehrere Gesangstücke sowohl für vier Stimmen allein, als wie für 1 Stimme mit Pianoforte-Begleitung, auch Variationen für Pianoforte, und eine Fantasie für Violine über Thema’s aus der Oper Montechi e Capuleti von Bellini; ich werde diese Sachen nach einer nochmaligen Revision von mir dem Drucke übergeben, einen Verleger hiefür habe ich schon in Breitkopf und Härtel gefunden. Darf ich mir die Erlaubniß nehmen, Ihnen die Fantasie widmen zu dürfen? eine bejahende Antwort hierauf würde mich unendlich glücklich machen. –
Meine lieben Eltern lassen sich Ihnen hochachtungsvoll empfehlen; mit der Bitte mich Ihrer lieben Familie bestens zu empfehlen, verbleibe ich mit vollkommenster Hochachtung und Ehrererbietung

Ihr treuer Sie liebender Schüler
Amadeus Abel



Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Abel an Spohr, 27.03.1836.

[1] Nach „mit“ ein zweites „t“ gestrichen.

[2] Vgl. „[In einer der bedeutendsten und wohlhabensten Städte]“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 37 (1835), Intelligenzblatt Sp. 1f.

[3] Spohrs erste Ehefrau Dorette verstarb am 20.11.1834.

[4] Die Ouvertüre c-Moll kann wohl nicht gemeint sein, da sie bereits am 21.02.1834 aufgeführt wurde („Greifswald, den 22. Februar 1834. Concert-Bericht“, in: ebd. 8 (1834), S. 72).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.01.2022).