Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. Mus.ep. Spohr-Correspondenz 2,140
Druck 1: [Ernst Rychnovsky], Beschreibendes Verzeichnis der Autographen-Sammlung Fritz Donebauer in Prag, 2. Aufl., Prag 1900, S. 201 (teilweise)
Druck 2: Des Heilands letzte Stunden. Oratorium von L. Spohr, gedichtet von Friedrich Rochlitz. Briefe von Mendelssohn, Rochlitz und Spohr, hrsg. v. H[ans] M[ichael] Schletterer, Zürich 1885 [Separatdruck aus der Schweizerischen Musikzeitung (1885)], S. 47f. [Permalink] [Direkt zum Digitalisat]
Beleg 1: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen aller Art (Fürsten, Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 79
[Beleg 2: Sammlung Fritz Donebauer, Prag. Briefe, Musik-Manuscripte, Portraits zur Geschichte der Musik und des Theaters. Versteigerung vom 6. bis 8. April 1908 (= Katalog Stargardt), Berlin 1908, S. 97]
[Beleg 3: Georg Kinsky, Versteigerung von Musiker-Autographen aus dem Nachlaß des Herrn Kommerzienrates Wilhelm Heyer in Köln im Geschäftslokal der Firma Karl Ernst Henrici. Montag, den 6 und Dienstag, den 7. Dezember, Bd. 1, Berlin 1926, S. 100f.]

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Wenn mir recht ist, so ist Rochlitz’en erst durch Ihren, dann durch Mendelssohns Antrag die Idee gekommen, daß sein vor längeren Jahren dem Drucke schon übergebenes Oratorium wohl geeignet sei, ein Denkmal seiner dichterischen Leistungen zu werden.
Ihre Absicht, das Oratorium zu componiren, ist ihm nicht ernstlich vorgekommen; um so willkommener war ihm Mendelssohn, dem gegenüber er einen desto größeren Antheil an dem Werke zu gewinnen hoffte.1
Er hat gefeilt, verbessert, geändert, – der Musiker hat sich (hier zur Unzeit) in ihm wieder geregt, und ängstlichere Glaubensrichtung konnte nicht ohne allen Antheil, ohne Einfluß bleiben. Mit Mendelssohn hoffte er ein, auch dem Namen und Titel nach recht gemeinschaftliches Werk in die Welt zu senden, und er wollte seine Vaterschaft als officiell angesehen wissen, daher die Gevattern selbst bitten.
Sie sind dem kränklichen, reizbaren Manne mit Ihrer selbstständigen Composition, bei der Sie ihn nicht förmlich genug zu Rath gezogen haben, ganz und gar in die Quere gekommen; er sah sich hauptsächlich dadurch gekränkt, daß Sie sein Werk so ganz und gar wie einen gewöhnlichen Text behandelt haben, daß Sie bei’m Arbeiten, vor der Arbeit nicht mit ihm berathen haben; und: Ihre freundliche Bitte, ihm das Werk dediciren zu dürfen, konnte nichts gut machen, da er als Autor auf dem Titelblatt stehen und das Werk als sein Werk betrachtet wissen will.
Die Hinweisung auf Ramler und Graun ist handgreiflich2 genug.3 Der Glaubensstreit ist pour cacher4 zur Hauptsache gemacht – und das Beste bei der ganzen Angelegenheit ist, daß die Sache abgebrochen ist. Rochlitz will den Streit nicht ausgekämpft haben, und hat die Correspondenz(, die Unterhaltung) kurz und bestimmt auf etwas Anderes gelenkt. Es darf nun auch Ihrer Seits vom Streite keine Rede mehr sein, da das den alten Mann nur in Verlegenheit bringen würde.
Bei der Dedication5 wäre ja wohl nichts zu bedenken, aber der Kaiser Nikolaus gehört nicht dazu, was Rochlitz als evangelischer Christ nicht verkennen darf. Dagegen könnten Sie den Prinzen (den unseren) doch nicht umgehen, und da er dem Rang nach unter den Gevattern den letzten Platz einnehmen muß, so liegt darin gerade das Unangenehmste. Wirklich würde dies nicht verbessert werden, wenn die Großherzogin v. Weimar als Dame hintenan käme. –
Doch ließe sich Alles wohl noch allenfalls machen, wenn Sie, um Rochlitzen eine zusagende Antwort geben zu können, diesem vorschlügen, dem König von Preußen, dem Prinzen Johann, unserem Prinzen und dem Herzoge von Braunschweig das Werk zu widmen, wobei Sie und er halb Part machten, und die Dedication ein natürliches, hergebrachtes Ansehen erhielte. Geburt6 und dankbare Erinnerung7 an den gebliebenen Herzog von Braunschweig8 würde in der Dedication sich gewiß recht gut ausnehmen.
FNebelthau.

Autor(en): Nebelthau, Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Carl Wilhelm Ferdinand Braunschweig-Lüneburg, Herzog
Mendelssohn Bartholdy, Felix
Rochlitz, Friedrich
Erwähnte Kompositionen: Graun, Carl Heinrich : Der Tod Jesu
Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1835020946

Spohr



Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Nebelthau an Spohr, 06.03.1835.
Da Nebelthau sich hier offensichtlich auf Friedrich Rochlitz an Spohr, 29.01.1835 (vgl. Anm. 3) und Felix Mendelssohn Bartholdy an Spohr, 05.02.1835 (vgl. Anm. 5) bezieht, entstand dieser Brief – einen Postweg von wenigstens zwei Tagen vorausgesetzt – frühestens am 07.02.1835. Offensichtlich hatte Spohr Nebelthau um Rat gebeten, wie er im Streit mit Rochlitz antworten solle. Demnach dürfte der Zeitpunkt von Spohr an Rochlitz, 11.02.1835 auch das spätest mögliche Datum dieses Briefs sein.

[1] Vgl. Felix Mendelssohn Bartholdy an Spohr, 03.01.1835 und Spohr an Friedrich Rochlitz, 10.01.1835.

[2] Hier gestrichen: „ist“.

[3] Vgl. Rochlitz an Spohr, 29.01.1835.

[4] „pour cacher“ (frz.) = „zum Verbergen“.

[5] Diesen Vorschlag unterbreitete Rochlitz nicht Spohr, sondern Mendelssohn, dem er das Libretto ebenfalls angeboten hatte (vgl. Mendelssohn an Spohr, 05.02.1835).

[6] Schletterer versieht dieses Wort in seinem Druck mit einem editorischen Fragezeichen; es bezieht sich vielleicht auf Spohrs Geburtsort Braunschweig.

[7] „Erinnerung“ über der Zeile eingefügt.

[8] Spohrs früherer Dienstherr und Förderer Carl Wilhelm Ferdinand starb 1806 an den Folgen einer Verwundung in der Schlacht von Auerstedt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (30.11.2020).