Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,156

Sr. Wohlgeb
Herrn Wilhelm Speyer
in
Frankfurt a/m


Cassel den 6ten Juli
1834.

Geliebter Freund,

da in unserm, übrigens sehr guten Chor, jetzt beym Tenor auch nicht ein einziger ist, der zu kleinen Rollen zu gebrauchen wäre, so wünsche ich sehr einen solchen zu gewinnen. Wenn daher Herr Otto, Mitte August, wo unser Theater nach den Ferien wieder eröffnet wird, hieher kommen will, so zweifle ich nicht, daß ein Engagement mit ihm zu Stande kommen werde, wenn er anders(?) den, von Ihnen erregten Erwartungen entspricht und seine Ansprüche mit unsern beschränkten Mitteln in Einklang zu bringen sind.1 Haben Sie doch die Güte, ihm dieß zu sagen, so wie auch, daß ich den 11ten oder 12ten August von der Ferienreise hieher zurückkehren würde.
In 8 Tage gedenken wir nämlich eine Besuchsreise bei meinen Eltern und Geschwistern in Gandersheim und Braunschweig zu machen, da wir, Gottlob, dieses Jahr kein Bad zu besuchen brauchen.2 Die homöopathische Kur hat meiner Frau so gut gethan, daß sie seit langen Jahren zum ersten mal das Bedürfnis nach einem solchen nicht empfindet. Ich werde aber meine Arbeit auf die Reise mitnehmen und denke den 1sten Theil des Oratoriums vollständig instrumentirt, zurückzubringen.
Um Sie nicht schon wieder mit Empfehlungen zu incommodiren, habe ich meinen Schüler, Hrn Blagrove keinen Brief mitgegeben. Er wird Sie aber demohngeachtet gewiß aufgesucht haben! Sein Talent ist sehr ausgezeichnet, er wird nach seiner Rückkehr nach London gewiß Aufsehen erregen. Sollte [er noch in] Frankfurt seyn, so bitte ich [ihn] herzlichst zu grüßen.
An Ihrem herben Verlust haben wir alle den innigsten Antheil genommen3; besonders erinnerte sich Ida mit vieler Rührung des Wohlwollens der Verblichenen.
Mit herzlicher Freundschaft stets ganz

der Ihrige
Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Speyer an Spohr, 01.07.1834. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Speyer an Spohr, 23.01.1835.

[1] Tatsächlich spielte ein „Herr Otto” 1834-35 am Kasseler Hoftheater Chargenrollen (Reinhard Lebe, Ein deutsches Hoftheater in Romantik und Biedermeier. Die Kasseler Bühne zur Zeit Feiges und Spohrs (= Kasseler Quellen und Studien 2), Kassel 1964, S. 284).

[2] Später berichtete Spohr jedoch von einer Badekur in Marienbad (Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 182, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 199). 

[3] Der Tod von Speyers Mutter.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.03.2016).