Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,248
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 144 (teilweise)

Sr. Wohlgeb
Herrn Kapellmeister Louis Spohr
Cassel
in Hessen


Frankfurt 1 Juli 1834.

Theurer Freund!

Ihrem kleinen Schützling1 habe ich so viel genützt als es in meinen Kräften stand; ich verschaffte ihm eine Empfehlung von Rothschild und brachte Grüner dahin, daß er in den Zwischenakten spielen konnte, wobei er vielen Beifall erhielt. Auch gab ich ihm einen Brief an Meyerbeer, Hiller, welche ihm am Conservatoire nützen können.
Seit einem Jahr ist ein junger Mann, namens Otto ein Leipziger Thomasschüler am Chor hier angestelt. Er hat eine sehr schöne hohe Tenorstimme, ist fest musikalisch und wird von Schelble als Solosänger beim Cäcilien bemüht. Auch singt er alle Solosachen bei der hiesigen Liedertafel. – Da er indessen seinem Wunsche entgegen zuwenig hier beschäftigt ist, so verläßt er am 1 August die Bühne. Er würde eine vortreffliche Aquisition für Sie abgeben, indem er in kleinen Rollen so wie im Chor sehr zu gebrauchen, u. nach Schelbles Äußerung ein bedeutender Sänger aus ihm werden kann. Er macht wenig Ansprüche und sollten Sie auf ihn reflectiren, so bitte ich mir recht bald etwas darüber zu sagen, da er wie gesagt, in kurzer Zeit abgeht.
Meine Mutter ist am 27. Mai nach einem mehrwöchentlichen Krankenlager gestorben. Ihr Tod war sanft, und ihr Alter 65 Jahre.
Daß Sie einem wieder ein größeres Werk2 schreiben und, wie es scheint, mit der alten Begeisterung, macht mir viele Freude. Soeben lese ich in einem Artikel aus Wien, daß in einem Concert spirituel Ihre 4te Sinfonie so sehr gefallen hat, daß sie wiederholt werden mußte.3 Wahrlich bei einer Sinfonie eine Seltenheit! In einem englischen Blatte las ich jüngt einen Bericht über die Aufführung Ihrer Es-Dur Sinfonie, über alle Maßen günstig und gründlich.4 Überhaupt sind die Engländer mit Ihrer Musik jetzt ganz des Teufels. Eine Reise nach England würde sich jetzt besser für Sie rendiren wie früher. Ihre Opern, auch die letztgeschriebene werden in allen musik. Soireen aufgeführt.
Mad. Pirscher geb. Traut hat von einigen Tagen die Jessonda gesungen mit sichtbarem Bestreben es gut zu machen; allein sie war zu offensiv u. das war nicht gut.
Ich bin recht begierig, welche Ansicht Sie über Robert den Teufel haben; ich bin nach oftmaligem Anhören der Meinung, daß das Gute bei weitem vorherrschend ist.
Nun gute Nacht! Wenn Sie mir über Otto etwas baldigst sagen könnten, würde es mir lieb sein.

Ewig Ihr treuster
WSpy.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Speyer, 20.06.1834. Spohr beantwortete diesen Brief am 06.07.1834.

[1] Hermann Cohen.

[2] Des Heilands letzte Stunden.

[3] Dieser Artikel noch nicht ermittelt; vgl. dagegen Heinrich Adami, „Concert spirituel (Schluß)”, in: Wiener Theater-Zeitung (1834), S. 268f. 

[4] Noch nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.03.2016).

Frankfurt, 1. Juli 1834.

Meine Mutter ist am 27 Mai nach einem mehrwöchentlichen Krankenlager gestorben. Ihr Tod war sanft, ihr Alter fünfundsechzig Jahre ...
Daß Sie einem wieder ein größeres Werk schreiben und, wie es scheint, mit der alten Begeisterung, macht mir viele Freude. Soeben lese ich in einem Artikel aus Wien, daß in einem ,Concert spirituel’ Ihre vierte Sinfonie, ,Die Weihe der Töne’, so sehr gefallen hat, daß sie wiederholt werden mußte. Wahrlich eine Seltenheit bei einer Sinfonie. In einem englischen Blatte las ich jüngt einen Bericht über die Aufführung Ihrer Es Dur Sinfonie über alle Maßen günstig u. gründlich. Ueberhaupt sind die Engländer mit Ihrer Musik jetzt ganz des Teufels.