Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.1 <18340304>
Beleg: Autographen. Historische Autographen, literarische Autographen, Musiker, Schauspieler und bildende Künstler, Stammbücher. Versteigerung am 20., 21. und 22. Oktober 1926 (= Katalog Liepmannssohn 48), Berlin 1926, S. 174f.

Sr. Wohlgeb.
Herrn Adolph Hesse
Oberorganist
zu
Breslau
 
franco.0
 
 
Cassel den 4ten
März 1834.
 
Geehrter Herr und Freund,
 
Alle meine Briefe müssen stets mit Entschuldigungen meines langen Schweigens beginnen; ich thäte daher wohl mir lieber gleich einen solchen Anfanfang lithographiren zu lassen! Doch dieses mal will ich Ihnen statt aller Entschuldigung nur den Umstand anführen, daß ich in 5 Monathen eine einzige Komposition zu Stande gebracht habe und Sie werden an dieser Unfruchtbarkeit, von der mein ganzes Künstlerleben keine ähnliche Periode aufzuweisen hat, ersehen können, wie ich geplagt worden bin. Mit der Erweiterung meines Wirkungskreises1 haben sich die Theatergeschäfte wenigstens verdoppelt; dazu kommt nun noch, daß der Prinz, seit der Ordensverleihung2 , mich oft in seine Hofcirkel zieht, wodurch wieder viel kostbare Zeit verloren geht. Wäre ich nicht in dem Alter, wo die Productionskraft ohnehin im Abnehmen ist, ich würde über die Hindernisse, die sich meiner Arbeitslust in den Weg stellen, untröstlich seyn! - Nach dem Vorstehenden hoffe ich Ihre Verzeihung zu erhalten.
Ihre Sinfonie habe ich erhalten und danke herzlichst für die Zueignung. - Gern würde ich, Ihrem Wunsche gemäß, für die Aufführung Ihres Psalms beym nächsten Elbmusikfeste thätig seyn, wenn ich dazu eine Einladung erhalten sollte. Dies wird aber nicht der Fall seyn, indem ich nach Magdeburg, wo es stattfinden wird, noch nie eingeladen worden bin. Auch würde ich nicht einmal hingehen können, da dieses Jahr unsere Ferien erst den 1sten Juli beginnen werden. – Über das viele Neue, was Sie diesen Winter geschaffen haben, beneide ich Sie ordentlich. Ich habe, wie schon gesagt, seit vorigen Sommer, wo wir uns sahen, nichts zu Stande gebracht, als einen Walzer, 6 vierstimmige Männergesänge und ein Quintett für Streichinstrumente. Dies letzte habe ich vor 8 Tagen bey mir zum 1sten mal producirt und dies war auch die erste Musikparthie, die in diesem Jahr zu Stande kam! - Dafür habe ich aber in unseren 6 Abonnementsconcerten 3 mal gespielt. zweimal die neue Concertante mit Herrn Wiele (das 2te mal natürlich auf ausdrückliches Verlangen) und mein 3tes Doppelquartett. – Haslinger hat mir noch kein Exemplar der 4ten Sinfonie geschickt, obgleich ich schon vor wenigstens 4 Monathen die Correktur von der Partitur und [den Stimmen] besorgt habe. Ebenso lange war[te ich] auch auf einen Brief von ihm. - [Am] Charfreitage werden wir eine starkbesetzte Aufführung der Letzten Dinge und des Vaterunsers in der Hofkirche haben. Meine Oper Der Alchymist, die früher nicht so gut gefiel, wie meine andern Opern, ist jezt, bey guter Besetzung, die Lieblingsoper des Publikums geworden. Dettmer (der nicht krank war, vielweniger todt ist) giebt den Alchymist sehr gut. Er ist fleißig und macht Fortschritte. Daß der arme Naß so leidend ist, thut uns unendlich leid. Grüßen Sie ihn und seine Frau auf das herzlichste von uns. -
Mit herzlicher Freundschaft stets ganz
 
der Ihrige
Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Hesse an Spohr. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Hesse, 02.10.1834, aus dem sich ein derzeit verschollener Brief von Hesse an Spohr erschließen lässt.
 
[0] [Ergänzung 15.09.2021:] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „CASSEL / 4 MERZ [183]4“.

[1] Spohr war im Herbst 1833 gemeinsam mit Karl Feige und Wilhelm Vogel zum Mitglied des Direktionskollegiums des Theaters berufen worden, womit seine Verwaltungs-Aufgaben anwuchsen (vgl. Reinhard Lebe, Ein deutsches Hoftheater in Romantik und Biedermeier. Die Kasseler Bühne zur Zeit Feiges und Spohrs (= Kasseler Quellen und Studien 2), Kassel 1964, S. 165).
 
[2] Spohr wurde am 05.09.1833 das Ritterkreuz des kurhessischen Hausordens vom goldnen Löwen verliehen (Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung 11.09.1833, nicht paginiert; Datum der Verleihung nach: Kurfürstlich Hessisches Hof- und Staatshandbuch auf das Jahr 1854, Cassel 1854, S. 26).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach 29.12.2014).