Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,151
Druck: Horst Heussner, Die Symphonien Ludwig Spohrs, Phil. Diss. Marburg 1956, Anh. S. 34 (teilweise)

Cassel den 23sten August
1833.

Geliebter Freund,

Seit 8 Tagen sind wir aus Marienbad zurück und sehr zufrieden mit dem Erfolg der Kur. Meine Frau besonders fühlt sich sehr gestärkt und hat schon die Probe abgelegt, indem sie vor ein paar Tagen mit mir in einem Nachmittag nach Wilhelmshöhe hin- und zurück-gegangen ist, ohne Brustschmerzen oder Ermüdung gefühlt zu haben; was sie bereits seit mehreren Jahren nicht mehr konnte.
Unsere Theaterangelegenheit fand ich bey meiner Rückkehr noch immer auf dem alten Fleck und es liegt nun erst ein Antrag des Ministeriums den Landständen vor, dessen Discussion nächsten Montag stattfinden und von dessen Entscheidung es abhängen wird, ob wir Hoftheater haben werden oder nicht. Ich bin sehr gespannt auf den Erfolg und werde Ihnen das Resultat mittheilen.
Von Marienbad aus machte ich auf 8 Tage eine Excursion nach Prag und verlebte dort vergnügte Tage. Die dortigen Musikfreunde, das Conservatorium, die Theaterdirection und der Verein für Kirchenmusik erschöpften sich in Artigkeiten und Aufmerksamkeiten. Außer Breslau kenne ich keine Stadt, wo man meine sämtlichen Kompositionen so genau kennt und so oft aufführt wie in Prag. Die beyden neuesten Opern1 sind von den dortigen Dilettanten am Clavier mehrere mal vollständig gegeben worden und man hegt eine besondere Vorliebe für sie. Dies ist mir ein neuer Beweis gewesen, daß ich sie im Vergleich mit den frühern Opern nicht überschätze und hat mir wieder Lust gegeben, für deren Verbreitung, besonders der letzteren thätig zu seyn. Ich hatte dieß ausgesezt, weil ich hoffte, die Aufführung in Berlin werde jede Bemühung von meiner Seite unnöthig machen und man werde sie dann schon von selbst verlangen. Bey der Lethargie dort, kann es meiner Oper aber leicht gehen wie der Hummelschen die erst nach 24 Jahren vor kurzem zur Aufführung gekommen ist.2 – Da man in Frankfurt meine alten Opern immer wieder von neuem einübt und in Scene sezt und da sie so dauernd gefallen, daß man sie vorzugsweise zu Benefizvorstellungen wählt, so, glaube ich, würde die Direction nicht übel fahren, wenn sie nach so langer Zeit einmal wieder ein neu[es] Werk von mir gäbe. Dazu kommt, daß der Alchymist jezt sehr gut dort besezt werden kann, und daß es an Pariser Neuigkeiten, die Glück gemacht haben, für den Augenblick fehlt. Dieß alles veranlaßt mich zu der Bitte, daß Sie die Güte haben mögten, bey Guhr oder der Oberdirection einmal hinzuhorchen, ob man nicht den Alchymist im Herbst oder Winter geben wolle. Macht die Oper kein Glück, so verzichte ich auf jedes Honorar. Da Sie vieleicht das Buch noch nicht kennen, so lege ich es Ihnen bey. – Sollte die Aufführung zu Stande kommen, so würde ich wohl auf 8 Tage abkommen können um die 1ste Aufführung zu leiten. Ist dies aber Guhr fatal, so ist es für das Gelingen der Oper auch hinlänglich, wenn ich die lezten Proben beaufsichtige.
Bey einer Nachtmusik, die mir die Prager Musikfreunde brachten, hörte ich auch 3 meiner Männergesänge ganz vortrefflich ausführen.3 Dies gab Veranlassung, daß ich der dortigen Liedertafel versprechen mußte, „meine erste Komposition solle in solchen Gesängen bestehen”. Dies trifft mit Ihrem Wunsch zusammen und ich werde, sobald ich etwas vollendet habe4, es Ihnen in Abschrift einsenden.
Übrigens werde ich jezt mit recht frischen Kräften zu componiren anfangen, denn ich habe seit 3 - 4 Monathen (einen Walzer, à la Straus für das Marienbader Musikchor, abgerechnet,) gar nichts geschrieben und nur immer gegeigt, so daß ich seit vielen Jahren nicht so gut im Zuge war, als jezt. Zuerst bereitete ich mich für das Halberstädter Musikfest vor, wo ich mit Müller aus Braunschweig meine neue Concertante (h moll) spielte5; dann traf ich in Marienbad die Bohrer, mit denen ich nicht allein in jeder Woche 3 - 4 mal Quartett spielte, sondern die ich auch in ihren beyden dort gegebenen Concerten , einmal mit einem Quartett, das 2te mal mit dem G-dur Quintett auf ihren Wunsch unterstützte.6 Dann spielte ich in Prag wohl ein Dutzend meiner Quartette7 und habe sogar hier schon gestern Abend bey der Rückkehr des Prinzen in einem kl., von mir in Wilhelmshöhe heimlich veranstalteten Concerte, mein neues Doppelquartett gerspielt. Für morgen habe ich bey mir eine Musikparthie für Hausmann aus Hannover veranstaltet, wo das Doppelquartett gleichfalls gemacht werden wird.
André hat mir noch keine Exemplare meiner neuen Quartetten zugeschickt. Am schnellsten würde ich sie erhalten, wenn Sie die Güte hätten, sie sich geben zu lassen und mir durch die Post übersendeten.
Freund Ries bitte ich herzlichst zu grüßen und ihm zu sagen, daß ich mich ihm für die Besorgung der Saiten sehr verpflichtet fühle. Auch bitte ich Ries zu fragen, ob er die 13 Fl. 36 x für die Saiten richtig ausgezahlt erhalten habe?
Die herzlichsten Grüße Ihrer lieben Frau und Ihren Kindern. Meinen Walzer arrangire ich 4händig; so wie er fertig ist, schicke ich ihn Ihrer Tochter.
Leben Sie wohl. Mit inniger Freundschaft Ihr L. Spohr.



Dieser Brief folgt auf Speyer an Spohr, 01.08.1833, wobei nicht klar ist, ob Spohr jenes Empfehlungsschreiben für Hermann Ballin bereits kannte. Speyer beantwortete diesen Brief am 03.10.1833. Inhaltlich überschneidet sich dieser Brief stark mit Spohr an Adolph Hesse, 13.10.1833.

[1] Pietro von Abano und Der Alchymist.

[2] Vgl. „Auszug aus einem Schreiben vom 7ten August”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 35 (1833), Sp. 572; Ludwig Rellstab, „Aus Berlin, im August”, in: Zeitung für die elegante Welt (1833), S. 688, 696, 699f. und 703f., hier S. 700; „Berlin”. in: Iris im Gebiete der Tonkunst 4 (1833), S. 128; „Notizen”, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 5 (1833), S. 139; „Berlin, August 1833”, in: Blätter für literarische Unterhaltung 2 (1833), S. 1055f., hier S. 1055; Berliner musikalische Zeitung 1 (1833), S. 257f.; „Miscellen”, in: Unterhaltungen für das Theaterpublikum 2 (1833), S. 128

[3] Op. 44.

[4] Op. 90.

[5] Vgl. „Das sechste Elb-Musikfest, gefeyert zu Halberstadt am 19ten, 20sten und 21sten Juny”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 35 (1833), Sp. 496ff, hier Sp. 497; E.R.,„Von der Elbe, im Junius. Die Feier des sechsten Elbmusikfestes”, in: Zeitung für die elegante Welt (1833), S. 527f., hier S. 528; Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 160f., Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 196f.

[6] Vgl. „Marienbad. Franzensbad”, in: Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung <Augsburg> 18.11.1833; Spohr, Lebenserinnerungen, Bd. 2, S. 161f.; ders., Selbstbiographie, Bd. 2, S. 198f. Die Begegnung mit den Brüdern Bohrer datiert Spohr in Lebenserinnerungen / Selbstbiographie allerdings erst auf den Marienbad-Aufenthalt 1835 (dazu auch Folker Göthel in: Spohr, Lebenserinnerungen, Bd. 2, S. 261, Anm. 16).

[7] Vgl. „Musikalisches”, in: Bohemia 08.12.1833, nicht paginiert; „Ueber das dritte Quartett des Herrn Professors Pixis”, in: ebd. 22.12.1833 und 24.12.1833, hier 24.12.1833, nicht paginiert

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.03.2016).

Kassel, 23. 8. 33

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