Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Kleinwächter,L.:01

Prag.
 
Dem wohlgebornen Herrn
Louis Spohr
kurfürstl. hessischer Hofkapellmeister
Doctor der Tonkunst &&&
Marienbad.
beim goldnen
Anker.
 
 
Prag den 5ten August 1833.
 
Hochgeehrter Herr!
 
Entschuldigen Sie die Freiheit, die ich mir nehme, Sie mit einem Schreiben von mir zu belästigen; allein ich müßte mich selbst als einen als einen undankbaren Menschen verachten, wenn mich nicht mein innerstes Gefühl dazu antworte, dem Schöpfer meines grössten Vergnügens den herzlichsten und innigsten Dank zu zollen – Welche ungemeine Freude mir Ihr gütiger und freundlichster Antrag, mit nach Marienbad1 zu reisen verursachte, kann ich nicht aussprechen, geschweige denn beschreiben, und welche Gefühle die Erinnerung an die während meines Aufenthaltes daselbst mir von Ihnen und Ihrer so werthen Familie vielfach bezeugte Freundlichkeit in mir erweckt, kann den bloß wörtlichen Dank nie in sich faßen. Die Tage in Marienbad, die mir vergönnten, den größten Sänger Deutschlands persönlich kennen zu lernen, und in den interessantesten und belehrensten Umgang zu schwelgen, werden mir stets unvergeßlich, unauslöschlich vor der Seele schweben. - Nehmen Sie meinen herzlichsten, meinen ungeheucheltesten Dank für alle Glückspenden, die mir durch Ihre Freundschaft, die mir durch Ihre väterlichen, und wohlwollenden Mittheilungen im Fache der Kunst in so vollem Maße zu Theil wurden. - Vergeben Sie, ich bitte inständigst, wenn mein vielleicht ein oder das andre Mal unzeitiger Eifer Ihnen zu lästig geworden wäre, und schreiben Sie es dem Feuer des jugendlichen Gemüthes zu, welches im Uibermaße der Freude, einen großen Mann selbst gegenüber zu stehen, und die Belehrung unmittelbar von seinen Lippen zu hören, sich selbst kaum kennt, und eben darum die Gränzen der Form so leicht übersieht. Sein Sie zu versichert, daß Sie Ihre humane Herablaßung und freundliche Offenheit in den mir unvergeßlichen Gesprächen über die Kunst an einen unerkenntlichen oder undankbaren verschwendet haben. Wenn jemals ein Funke wahren Kunstsinnes in mir lag, so haben Sie durch Ihre Worte und Lehren denselben zur hellen reinen Flamme angefacht, und ein, in keinem Wirkungskreise meines Lebens soll und wird das Streben, die einzig wahre Idee der Kunst in mir und andern kräftig zu fördern, von mir weichen! Mein guter Vater, der sich Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin und Fr. Tochter2 vielmals empfiehlt vereinigt seinen Dank mit dem meinen, es war ihm eine unaussprechliche Freude, die vor solanger Zeit geknüpfte Freundschaft3 itzt auf eine so unerwartete Weise wieder fester geknüpft zu sehen. Möchte das Schicksal nun recht bald wieder mir und ihm ähnliche Glücktage des Wiedersehens bereiten!
Ihre Aufträge an Gordigiani und Damms4 sind bereits erfüllt, ersterer ist voll des wärmsten Dankes und der größten Freude. Tomaschek konnte ich bis itzt nicht sprechen, werde es aber heute thun. Die Dichtungen zu vierstimmigen Gesängen, die Sie von Herrn Scherer wünschten5 hoffe ich baldigst zu erhalten; ich werde sie dann unverzüglich absenden.
Indem ich ergebenst bitte, der verehrten Fr. Gemahlin und Fr. Tochter von mir und meiner Schwester6 die besten Empfehlungen zu melden, und sie von meiner Seite des wärmsten Dankes der weiteren Freundschaft zu versichern, zeichne ich
 
in unbegränzter Hochachtung und Ergebenheit
Louis Kleinwächter
 
Sollten Sie vielleicht meine Adresse, unter dem ich die mir gütigst versprochene Compositionen7 erhalten soll, vergessen haben: so füge ich sie itzt bei: Lange Gasse No 735.
Dürfte ich bitten, an Herrn Capellmeister Schneider8 von mir das schönste und beste sagen zu wollen, so würden Sie mich unendlich verbinden.



Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.
 
[1] Spohr hatte von einem Marienbad-Aufenthalt aus einen Abstecher nach Prag gemacht und dort unter anderem die Familie Kleinwächter besucht (vgl. Louis Spohr an Dorette Spohr, 21.07.1833).
 
[2] Therese Spohr.
 
[3] Spohr lernte Ignaz Kleinwächter bei einer Konzertreise 1807 in Prag kennen (Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 1, S. 104f., Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 1, Kassel und Göttingen 1861, S. 111f.). Sie trafen sich ein weiteres Mal, als die Familie Spohr auf 1812 auf ihrem Umzug nach Wien über Prag (Lebenserinnerungen, Bd. 1, S. 166, online; Selbstbiographie, Bd. 1, S. 185).
 
[4] Vermutlich Engagementangebote: Friedrich Dams wirkte 1833-35 in Kassel (Reinhard Lebe, Ein deutsches Hoftheater in Romantik und Biedermeier. Die Kasseler Bühne zur Zeit Feiges und Spohrs (= Kasseler Quellen und Studien 2), Kassel 1964, S. 181f.).
 
[5] Darunter vermutlich Nr. 1 „Rat (Will der Trübsinn deine Stirn umziehen)“ und/oder Nr. 5 „Alte Liebe (Blickt im schönsten Frauenkreise)“ aus op. 90.
 
[6] Caroline, später verh. Škroup.
 
[7] Vermutlich Erinnerung an Marienbad und Hymne an die heilige Cäcilie (vgl. Kleinwächter an Spohr, 30.11.1833).
 
[8] Friedrich Schneider hielt sich zu dieser Zeit ebenfalls in Marienbad auf (vgl. Spohr an Friedrich Bernhard Augustin, 02.08.1833; Spohr an Friedrich Rochlitz, 06.08.1833).
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.03.2019).