Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochgeehrtester, vielgeliebter Herr Kapellmeister!
 
Ganze Tage und Wochen vergisset der Mensch doch Augenblicke daraus ausgenommen, so bleibt mir ewig die Zeit remercabel, wo mir das Glücke wurde als Schüler Stunden von Ihnen zu erhalten. Um den Nachklang einer solchen schönen Stunde meines Lebens wieder zu genießen, erlaube ich mir Ihnen diese Seiten aus meinem Lebenstagebuche zuzusenden, die Hoffnung unterstützt mich, daß trotz meines langen Nichtschreibens dieselben ganz ungünstig nicht aufgenommen werden.
Ich des hohen Glücks, als Vorgeiger nach Magdeburg zur Zeit von Ihnen ausersehen, wurde durch das Schicksal, oder vielmehr durch Herrn Gerkens Eigennutz vereitelt, so unternehme ich denn eine kleine Reise an den Rhein wo mir‘s eigentlich nicht unangenehm erging, in Münster, Elberfeld & Barmen, Düsseldorf, Crefeld und Bonn spielte ich mit Beifall, nur mußte ich den ganzen Winter zusetzen und ist das eine üble Lage, wenn man nichts zuzusetzen hat. Dann ging ich bald auf‘s Geradwol nach Mühlheim, hier wurde ich sogleich engagirt, indeß die schönen Versprechen, die Ihnen ein gewisser Herr Troost gemacht, konnte man mir um so schwieriger halten, da ein zu geringer Fonds und das Zerfallen der dortigen Casino-Gesellschaft, mit welcher der Musikverein eng verbunden, totale Auflösung nach drei Jahren verursachte. Nach Verlaufe eines halben Jahres suchte mich doch das Glück und wurde als Vorsteher des Vereins in Paderborn angestellt. Ferner an gedrückte geringe Verhältnisse nur gewöhnt wußte ich kaum die Fülle meines Glücks zu fassen. Eine aller meiner Tage übertriebnen Unterstützung der armen Eltern und früher nöthig zu contrahirende Schulden, verleideten mir bald den so schönen Aufenthalt; hierzu kam persönliche Überwerfung mit einem der fünf Deputirten, dem Herrn Justiz-Commisair Holzapfel, der zu schnell unter der Larve der Freundschaft gegen mich feindlich auftrat. Er förderte mit zwein derselben eine zwar nicht legitime Kontrakts-Kündigung, eine Generalversammlung fiel indeß so günstig für mich aus, daß jener abtreten, und ich von der ganzen Gesellschaft beibehalten, und wurde jenem öffentlich in derselben von den nötigen Mitgliedern leidenschaftliche Cabale gegen mich nachgewiesen. Nichts desto weniger forderte mein Ehrgefühl Morgens darauf die gesetzliche Auflösung meines Contrakts, meine waren1 Freunde billigten den Schritt, und versicherten, daß das neu zu erwählende Directorium mir ehrenvoll den Contrakt wieder anbieten solle. Indeß Herr Gerke erschien noch vor der Wahl und wurde nachdem man meine Kündigung produzirt im Stillen angestellt. Hier machte man die Vernachlässigung des allgemeinen Unterrichts zum Vorwurf, Herr Gerke executirt vom Morgenfrüh bis zum Abendspät den musikalischen Holzhacker, und wäre mir derselbe als ein Gemütlicher, der das savoir vivre ein wenig besser studirt, bekannt, so würde man ihn dort vergöttern, denn nur Wenige können mit seiner vielseitigen Beteiligung in musicalischer Beziehung rivalisiren. Das von Ihnen so wunderbar trefflich erscheinene Vater-Unser schloß auf Tag und fast Stunde wiederum nach drei Jahren mein dortiges Thun und Treiben. Gleich darauf ging ich nach Detmold und wurde interimistisch als Violinspieler angestellt, da aber beim Schluße der Oper ich mich noch nicht entscheiden konnte den Militair-Rock anzuziehen, so bin ich denn in die Lage versetzt, momentan weder für mich geschweige denn für meine Eltern etwas thun zu können. Hier möchte ich bester Herr Capellmeister noch einmal Ihren gütigen Rath, Reisen ist ein trauriges Unternehmen, deshalb werde ich mich genöthigt sehen an einem größeren Orte zu präsentiren, aber welchen wähle ich? Aber mein höchster Wunsch hienieden, falls sich in Cassel wieder Hof-Theater organisiren sollte, Mitglied des Orchesters zu werden, das Geständniß darf ich nicht unterdrücken, und möchte ich so gern nur wenige Zeilen von Ihnen entgegensehen dürfen und wissen ob dieser Wunsch jemals realisirt werden könne.
Tausend Dank sei Ihnen für Ihre, mir frühere schöne Briefe, tausend Dank für die Theilnahme und Liebe, die Sie im [Herzen]2 gegen mich äußern. Für das, was ich Ihnen in Rücksicht meiner musikcali[schen Vollen]dung3 schuldig bin, für das, war nie ein Schüler seinem Lehrer bezahlen kann? - Hier kann ich nur eine Thräne der Dankbarkeit weinen, und zum Allgütigen schicken – nur einen Wunsch.
Alles Gute, alles Schöne, alles was den Menschen beglückt und erhebt, sei mit meinem großen Lehrer und dessen hochgeschätzten Frau und Töchtern.
 
Der Sie innig liebende
Schmidt
 
Rinteln d 24ten August 1833

Autor(en): Schmidt, Friedrich (Spohr-Schüler aus Rinteln)
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Gerke, Otto
Holzapfel, Georg Christian Wilhelm
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Barmen
Bonn
Düsseldorf
Elberfeld
Krefeld
Magdeburg
Mülheim an der Ruhr
Paderborn
Rinteln
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Detmold>
Musikverein <Mülheim an der Ruhr>
Musikverein <Paderborn>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1833080440

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmidt an Spohr, 05.03.1828. Spohrs Antwort ist derzeit verschollen.

[1] Sic!
 
[2] Durch Siegelausriss teilweise Textverlust.
 
[3] Textverlust durch Siegelausriss.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (24.09.2019).