Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,243
Druck 1: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 140f. (teilweise)
Druck 2: Till Gerrit Waidelich, „Die Beziehungen zwischen Carl Maria von Weber und Louis Spohr im Spiegel ihrer Korrespondenz“, in: Weberiana 24 (2014), S. 117-144, hier S. 143f. (teilweise)

Herrn Kapellmeister L. Spohr
Wohlgeb
Cassel
in Hessen
 
 
Ffurt a/m 1 August 1833.
 
Theurer Freund!
 
Ich benütze die Abreise des jungen Ballin, um Ihnen einige Nachrichten von mir zukommen zu lassen. Meine ganze Familie ist gottlob wohl und gesund. Meine Frau ist in Soden, um das Bad zu gebrauchen, und ich muß nun Hauß und Kinder hüten. Ich bin nun sehr begierig zu erfahren, wie Ihnen und Ihrer Frau das Marienbad bekommen ist. Auch möchte ich wissen, ob Ihre Absicht Subjekte in Prag oder Wien zu gewinnen, in Erfüllung gegangen ist. Darüber geben Sie mir wohl bald einige Nachrichten, überhaupt ob es mit dem dortigen Theaterinstitut etwas wird.
In artistischer Hinsicht gibt es hier wenig neues. Jetzt wird Zemire und Azor neu in Scene gesetzt, und die Besetzung läßt nichts zu wünschen übrig. Zemire ist durch Mad. Fischer, die beiden Schwestern durch die Gned u. Lampma[nn] besetzt; auch Scenerie u.s.w. wird glänzend und anständig sein. – Robert der Teufel füllt noch immer das Hauß und hat bis jetzt der Theaterkasse schöne Einnahmen erbracht. Indessen schadet die übermäßige Länge und ich würde Ihnen raten, bei einer dereinstigen Aufführung, namentlich den 2ten Akt, zu kürzen. Auch werde ich Ihnen seiner Zeit die Pagenos1 der Partitur angegeben, wo hier Kürzungen oder Veränderungen eintreten.
Ich habe dieser Tage Ihre 4stimmigen Männergesänge2 im Liederkranz ganz vortrefflich aufführen hören. Es befindet sich hier ein junger Tenorist, namens Otto Thomasschüler aus Leipzig, der eine wunderschöne Stimme hat, und den ersten Tenor dieser Gesänge unvergleichlich schön sang. Man hat ihn vor der Hand im Chor angestellt, allein er wird in einzelnen Rollen bald auftreten. Auch dieses Subject mache ich Sie aufmerksam.
Der Enthusiasmus den Ihre Gesänge verursachten, gab Veranlassung zu dem Wunsche einige Chorgesänge von Ihnenzu besitzen. Ich übernahm es die Bitte der Gesellschaft Ihnen vorzutragen. Ich hoffe es von Ihrer Freundschaft, daß Sie mir dieselbe nicht abschlagen werden. Wollen Sie einen ernsten, getragenenen, und einen bewegten oder humoristischen Gesang einsenden, dann um desto besser. Einige eingestreute Soli – 4stimmige – können auch nicht schaden.3 – Ich würde die baldige Gewährung meiner Bitte als einen neuen Beweiß Ihrer freundschaftlichen Gewährung gegen mich ersehen.
Meyerbeer beendigt eine von Weber als Fragment hinterlassene komische Oper: Die drei Pintos und zwar im Interesse der Wittwe Webers. Außerdem schreibt er eine große fünfaktige Oper für Paris, welche nächstes Frühjahr zur Aufführung kommt.4 Gelingt ihm dieses Werk, so hat er seinen Ruf als französischer Komponist gegründet und die Summe, welche er an die früheren Aufführungen seiner Opern gewendet hat, werden ihm reichlich ersetzt. Ist dieses in Deutschland auch möglich?
Gottfried Weber hat im letzten Heft seiner Cäcilie einige Briefe C.M. Webers an ihn vom Jahre 1810 abdrucken lassen. In einem dieser Briefe wird André in Offenbach ein Kerl genannt und zwar um deswillen, weil André einige –4a schlechte – Sonatinen von W. nicht verlegen will.5 Ich aß zu jener Zeit mit W. bei A. und erinnere mich recht gut, daß W. seine Sonatinen mit mir A. vorspielte, der ihm aber sehr praktische deducirte, daß die S. für den Ernst zu spaßig und für den Spaß zu trocken wären. W. aber schien die Ermahnungen Andrés und die Bemerkungen die er ihm damals über Vieles machte recht zu Herzen zu nehmen, und äußerte gegen mich später in Heidelberg, daß er großen Respekt vor André hätte. Wie soll ich das mit dem Kerl zusammenreimen? Jedenfalls macht der Abdruck jenes Epithetons Gottfried Weber keine Ehre.
 
Lassen Sie nun bald etwas von sich hören, und meine Bitte lege ich Ihnen nochmals recht zu Herzen. Auf ewig Ihr treuer WmSpy.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Speyer, 09.06.1833. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 23.08.1833. Ob Spohr zu diesem Zeitpunkt bereits diesen Empfehlungsbrief für Hermann Ballin kannte, ist fraglich.
 
[1] Seitennummern.
 
[2] Op. 44.
 
[3] Wie aus den Folgebriefen ersichtlich komponierte Spohr tatsächlich op. 90.
 
[4] Les Huguenots.
 
[4a] [Ergänzung 02.05.2022:] Hier ein Wort gestrichen.
 
[5] „Briefe von C. Mar. v. Weber an Gfr. Weber. Mitgetheilt von Letzterem”, in: Cäcilia 15 (1833), S. 30-58, hier S. 55.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.03.2016).

Frankfurt, 1. August 1833
 
... In künstlerischer Hinsicht gibt es hier wenig Neues ... ,Robert der Teufel’ füllt noch immer das Haus und hat bis jetzt der Theaterkasse schöne Einnahmen gebracht. Indessen schadet die übermäßige Länge und ich würde Ihnen raten, bei einer dereinstigen Aufführung, nameltlich den zweiten Akt, zu kürzen ... Meyerbeer beendigt eine von Weber als Fragment hinterlassene komische Oper, ,Die drei Pintos’ und zwar im Interesse der Witwe Webers. Außerdem schreibt er eine große fünfaktige Oper für Paris, welche nächstes Frühjahr zur Aufführung kommt. Gelingt ihm dieses Werk, so hat er seinen Ruf als französischer Komponist begründet und die Summe, welche er an die früheren Aufführungen seiner Opern gewendet hat, werden ihm reichlich ersetzt. Ist dieses in Deutschland auch möglich?
Gottfried Weber hat im letzten Heft seiner ,Cäcilie’ einige Briefe Carl Maria von Webers an ihn, vom Jahre 1810 abdrucken lassen. In einem derselben wird André in Offenbach ein ,Kerl’ genannt und zwar um deswillen, weil André einige schlechte Violin-Sonatinen von Weber nicht verlegen wollte. Ich aß zu jener Zeit mit Weber bei André und erinnere mich recht gut, daß Weber seine Sonatinen mit mir André vorspielte, der ihm aber sehr praktische deduzierte, daß dieselben für den Ernst zu spaßig und für den Spaß zu trocken wären. Weber aber schien die Ermahnungen Andrés und die Bemerkungen die er ihm damals über Vieles machte recht zu Herzen zu nehmen und äußerte gegen mich später in Heidelberg, daß er großen Respekt vor André hätte. Wie soll ich das mit dem ,Kerl’ zusammenreimen? Jedenfalls macht der Abdruck jenes Epithetons Gottfried Weber keine Ehre.
Ich habe dieser Tage Ihre vierstimmigen Männergesänge im ,Liederkranz’ ganz vortrefflich aufführen hören; der Enthusiasmus den deiselben verursachten, gab Veranlassung zu dem Wunsche einige Chorgesänge von Ihnenzu besitzen. Ich übernahm es die Bitte der Gesellschaft Ihnen vorzutragen und erwarte von Ihrer Freundschaft, daß Sie mir dieselbe nicht abschlagen werden. Wollen Sie neben einem ernsten, getragenenen auch einen bewegten oder humoristischen Gesang einsenden, dann umso besser! ...