Autograf: bis mindestens 1943 im Besitz von Werner Wittich, danach Kriegsverlust (vgl. Druck, S. 14)
Druck: Louis Spohr, Briefwechsel mit seiner Frau Dorette, hrsg. v. Folker Göthel, Kassel und Basel 1957, S. 82f.

[Prag] Sonntag früh [Juni 1833]

Herzensweibchen,

Gestern mittag, 11 Uhr, bin ich glücklich hier angekommen. Die Reise war im ganzen genommen angenehm genug, doch haben mir Staub und Langeweile arg zugesetzt. Der Mensch ist ein geselliges Tier und es war mir oft ganz irrmütig zumut, mich ohne Euch so ganz allein in diesem großen Wagen sitzen zu sehen! Um nur eine bekannte Stimme zu hören, bog ich mich bisweilen zum Fenster hinaus und konversierte mit dem Wagner; seine Dummheit verleidete mir aber die Sache bald. So klagte er am 2. Tage, daß das dumme Volk ihn gar nicht verstehe und daß kein Teufel aus Ihrem Gewäsch klug werden könne. Das gute Schaf hatte nicht einmal bemerkt, daß die Leute böhmisch sprechen! Von Pilsen bis hieher wissen die Bauern nämlich gar kein Deutsch und nur die Wirte, seltener noch die Hausknechte, radebrechen ein wenig. Große Augen machte er aber, wie wir in Prag einfuhren. Es ist aber auch eine imposante, großstädtische, reich bevölkerte Stadt!
Mein erster Gang war zu Kleinwächter. Die Freude und der Enthusiasmus, mit dem mich Vater1 und Sohn2 aufnahmen, war mir wahrhaft rührend! Heute vormittag werde ich Quartettmusik bei ihm machen und dann zum Mittagsessen dort bleiben. Nach Tische soll uns der Wagner umherkutschieren. Abends werde ich eine Vorstellung von Hrn. Alexandre3 im Theater sehen.4 Der Direktor hat die Artigkeit gehabt, mir für alle Tage meines Aufenthalts eine Loge zu offerieren. Gestern sah ich ein Schrödersches Stück, in welchem Wilhelmi von Wien mit ungeheurem Beifall debutierte.5 Er wurde 3mal herausgerufen! Morgen abend wird wahrscheinlich Albert von Hamburg in Zampa auftreten.6
Dienstag mittag reise ich ab und kann also Donnerstag abend bei Euch sein. Was ich in Theaterangelegenheiten ausrichten werde, ist noch ungewiß.
Ich freue mich herzlich, bald wieder bei Euch zu sein!
Grüße unsere dicke Nase (besser wie ein dickes A...).
Lebe wohl!

Ewig Dein Louis.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Spohr, Dorette
Erwähnte Personen: Albert (Tenor)
Kleinwächter, Ignaz
Kleinwächter, Louis
Vattemare, Alexandre
Wilhelmi, Friedrich
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Pilsen
Prag
Erwähnte Institutionen: Theater <Prag>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1833072100

Spohr



Der letzte überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Louis Spohr an Dorette Spohr, 15.10.1829. Dies ist derzeit der späteste bekannte Brief dieser Korrespondenz.
Göthel datiert den von Spohr selbst im Autograf anscheinend nur durch „Sonntag früh“ bestimmten Brief auf Juni. Das hier gewählte Datum ergibt sich aus den im Brief erwähnten Theateraufführungen.

[1] Ignaz Kleinwächter.

[2] Louis Kleinwächter.

[3] Alexandre Vattemare.

[4] Zur Aufführung am 21.07.1833 vgl. „Theaterbericht vom 17., 20. und 21. Juli“, in: Bohemia 23.06.1833, nicht paginiert.

[5] Zur Aufführung am 20.07.1833 vgl. „Theaterbericht vom 17., 20. und 21. Juli“, in: Bohemia 23.06.1833, nicht paginiert.

[6] Diese Aufführung fand erst am 05.08.1833 statt (vgl. Theaterbericht vom 3. und 4. August“, in: Bohemia 06.08.1833, nicht paginiert).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (21.03.2017).