Autograf: Beethoven-Haus Bonn (D-BNba), Sign. HCB Br 363
Druck: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, hrsg. v. Cecil Hill (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 27), Bonn 1982, S. 583f.
Beleg: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen aller Art (Fürsten, Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 63

Frankfort a/m 29 Juni 1833
 
Werthester Freund!
 
Ihren lieben Brief vom 17 März erhielt ich in Rom und erfreute meinen Freund Graf Rosen sehr mit der Antwort – in Venedig erhielt ich aber einen Brief, daß es scheint, der Brief nach Tripoli seye noch nicht angekomm oder gar verloren gegangen, und ich wurde ersucht, noch eine Abschrift Ihres Briefes zu schicken; welches ich auch that. Der junge Mann1 soll viel Talent zeigen, ich hab übrigens noch sehr eingeschärft, daß Sie sich gern für einen guten Schüler interessieren, einen schlechten aber eben so leicht fortschicken. Meinen herzlichen Dank für alle deswegen gegebenen Notizen.
Ihren Auftrag in betreff der Saiten von Neapel habe ich nach Ihrem Wunsche besorgt; anbey einen Brief2 – Saiten – und Rechnung von H. Onorio de Vito – der mir sagte, er habe Ihnen kürzlich vorher auch Saiten geschickt – da aber mancher gute Freund sich finden wird, so bat ich ihn doch, und zwar doppelte Portion zu besorgen, indem ich die eine Hälfte3 meinem Bruder geschickt habe – Sie haben also für Ihren Theil Duc(???) 80- oder Flr. 13- 36+ gelegentlich mir zukommen zu lassen. Sie sind bishierher in einer Blechbüchse gereist, die ich aber meinem Bruder zugeschickt habe, indem Sie die Saiten4 doch in 24 Stunden Zeit in Händen haben – und die andern mit einer Gelegenheit geschickt wurden. Ich hoffe nur, daß Ihr Schüler5 der sich sehr freute, etwas von Ihnen zuhören, alles gut besorgt hat. Zeit hat er wenigstens gehabt, denn ich bat ihn bey seiner Ankunft darum; und erhielt sie den letzten Abend vor meiner Abreise.
Sehr gern6 hätte ich Ihnen gewiß als Gesellschaftter in diesem himlischen Neapel gehabt, denn die Menschen dort sind doch, was man wirklich nicht verdauen kann. Die Musik wirklich unter allem Begriffe schlecht, obschon ich mir nichts Außerordentliches vorstellte. Die Charwoche in der so berühmten Päpstlichen Kapelle war am dritten Tage nicht mehr zum Aushalten. Der 1te Tag sagen sie ein Miserere von Baini, dem jetzigen Kapellmeister und gieng besser wie gewöhnlich, und obschon besonders von Anfang sehr falsch, machte es mir viel Freude. den 2tn Tag das von Baj, welches sehr schlecht aufgeführt wurde. Den 3 Tag das von Allegri und Baj gemischt, aber unter aller Kritick, ich gieng endlich weg. Die besten Sänger in Italien sind Ausländer. Instrumental Musik kennen sie gar nicht, wie Sie wissen.
Meine Frau hat sich in Rom besonders erhohlt und war den ganzen Winter über unge[wöhnlich] wohl. In Neapel wurde sie durch die außerordentliche [Umstel]lung der Witterung und Wind gleich unwohl: und [da] wir einige Zeit in Ischia, Casteamare und Sorento waren, so machte Neapel immer wieder einen schlechten Eindruck. Ich reiste über Rom, Ancona, Venedig, Insbruck zurück, die Hitze war kaum zum Ertragen; und als wir den Brenner passierten und in Insbruck viel in der Nacht auf den Bergen frischer Schnee. In Munchen fand ich aus das ehemals so schöne Orchester bedeutend geändert. Je7 näher wir uns Frankfort näherten8, je mehr stieg die Unruhe und der Wunsch, bald dort zu seyn. wir fanden9 außerordentlich zu ihrem Vortheil geändert: stark und munter: allein das Ganze hat dennoch meine Frau sehr bedeutend angegriffen – seit einigen Tagen erhohlt sie sich aber ganz, und ich hoffe nun, doch noch alle guten Folgen dieser Reise zu genißen. Ich hoffe, Sie lieber Freund leben noch wie ehemals, Ihrer Familie und der Kunst – mit recht herzlichem Gruße an Ihre liebe Frau, immer
 
der Ihrige
Ferd. Ries

Autor(en): Ries, Ferdinand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: De Vito, Onorio
Ries, Harriet
Ries, Hubert
Rosen, Axel Pontus von
Erwähnte Kompositionen: Allegri, Gregorio : Miserere
Baini, Giuseppe : Miserere
Baj, Tomaso : Miserere
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Innsbruck
München
Neapel
Rom
Sorento
Tripolis
Venedig
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <München>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1833062943

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief von Spohr an Ries, 17.03.1833. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Ries an Spohr, 24.02.1835.

[1] Noch nicht ermittelt (vgl. Ries an Spohr, 26.02.1833).
 
[2] Noch nicht ermittelt.
 
[3] „Hälfte“ über der Zeile eingefügt.
 
[4] „die Saiten“ über gestrichenem „selbe“ eingefügt.
 
[5] Onorio de Vito hatte bei Spohr während dessen Neapel-Aufenthalt 1817 Unterricht (vgl. „Verzeichniss der Schüler von Louis Spohr”, in: Niederrheinische Musik-Zeitung 7 (1859), S. 150ff., hier S. 150).
 
[6] „gern“ über der Zeile eingefügt.
 
[7] Hier ein Buchstabe gestrichen.
 
[8] „näherten“ über der Zeile eingefügt.
 
[9] Hier in den Zwischenraum zwischen den Wörtern von anderer Hand eingefügt: „?“.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (18.07.2019).