Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
 

Hochverehrter Herr Kapellmeister,

Es würde unverzeihlich von mir sein, daß ich Ihnen erst jetzt nähere Nachrichten über verschiedene unser Musikfest betreffende Angelegenheiten gebe, wenn ich nicht von Tage zu Tage auf einen Brief des Kapellmeisters Schneider gewartet hätte, von dem manches abhing. Ich habe ihm ihm nemlich sobald ich wußte, welche Sänger und Virtuosen wir für das Fest gewinnen würden, Vorschläge wegen des Arrangements des zweiten Concertes gemacht, aber bis jetzt keine Antwort erhalten.
Da die Zeit außerordentlich drängt, so sehe ich mich nurn in der unangenehmen Nothwendigkeit, auf die Gefahr hin Fehlgriffe zu thun und Ihre Unzufriedenheit zu erregen, die unaufschieblichen Anordnungen, so gut es geht, zu treffen und ich bitte dabei im Voraus um1 gütige Nachsicht. Ich muß mir selbst erlauben die Motive kurz zu fassen, um den Abgang dieses Briefes nicht noch mehr zu verzögern.
Zuerst kommt die Localität in Anschlag. Außer der Kirche haben wir nur ein geräumiges Local, das Schauspielhaus, welches jedoch nur ungefähr 700 Personen fasste. Damit könnte man sich allenfalls begnügen, wenn nicht an diesem Tage an die an 1sten und 3ten Tage mitwirkenden Fremden zu viele Freibillets ausgegeben werden müßten; jedenfalls würde der Raum hoffentlich zu beengt sein. Dazu kommt, daß es in dem Gebäude nicht besonders klingt. Was in dieser Beziehung zu veranlassen ist glaube ich gethan zu haben, Solosachen für Streichinstrumente werden aber doch keine bedeutende Wirkung hervorbringen, wogegen die Blasinstrumente und Gesangsachen leidlich klingen werden. Nun haben wir noch einige Concertsäle, von denen einer 500 Personen fasst und in welchem sich2 auch die Streich-Instrumente gut ausnehmen werden. Wir bringen ferner ein Orchester zusammen, das sich theilen läßt und wovon doch jede Hälfte zwischen 50-60 Personen stark sein wird. Sodann fehlt es uns nicht an Mitteln sehr viele Sachen vortragen zu lassen, da wir gute Sänger und die meisten Instrumente vortrefflich besetzt haben. Ich bin daher der Ansicht, daß es am Besten ist gleichzeitig zwei Concerte zu veranstalten, in welchen3 24 Ouverturen dieselben sein vorgetragen würden, ferner dieselben Gesangsachen, da ich derweyl rechnen kann, daß die meisten Solosänger es sich gefallen lassen würden, ihre Sachen doppelt vorzubringen z. B. im 1 Theile im Schauspielhause, im 3ten im Concertsaale. In Ansetzung der Instrumentalsachen würde ich aber vorschlagen, jedem Concerte einen besonderen Character zu geben, im Schauspielhause besonders Sachen für Blasinstr. und im Saale Compositionen für Saiteninstrumente vorzutragen.
Für das erstere Local würde ich vorschlagen, daß Heinemeyer ein Concertino für die Flöte und Queißer etwas auf der Posaune [vielleicht auch Hermstedt ein Clarinettenconc.]5 executirte. Da aber bei einem Musikfeste weniger darauf gesehen werden sollte, die Virtuosität einzelner zu produciren, als die selben in dem Grade vereinigter Künste zur Darstellung bedeutender Compositionen zu benutzen, so würde ich noch concertirende Sache wählen, vorzugsweise das Beethovensch. Septett und Ihr Nonett. Da beide Compositionen sehr lang sind, so würden vielleicht einzelne Sätze davon ausgewählt.
In Saale dagegen möchten auch Quartette willige Gönner finden und nach meinem Gefühle dürfte diese Haltung nicht ganz ausgeschlossen sein.
Hier muß ich nun einen Punkt berühren, den ich längst ins Reine gebracht zu sehen gewünscht hätte, der aber mit dieser Anordnung von zwei Concerte genau zusammen hängt.
Sie werden sich gewundert haben, daß Ihnen noch nicht die Bitte aller Ihrer Verehrer vorgelegt ist, daß Sie uns wieder Ihr Meisterspiel hören lassen möchten. Zwar weiß ich und Sie äußerten dies schonvon 5 Jahren, daß Sie sich schwer dazu entschließen, außerhalb Kassel aufzutreten. Aber immer werden Sie die Rücksicht in Erwägung gezogen haben, daß hunderte sehnlichst der Töne harren, die uns Ihre Hand den Saiten zu entlocken vermag und daß hunderte es beklagen würden, Sie bei einem von Ihnen geleiteten Feste nicht gehört zu haben. Bedenklicher würde ich noch sein die Bitte zu wagen, wenn uns nur das Schauspielhaus zu Gebote stünde, weil ich es – offen gestanden – (obgleich Paganini dort spielte6) nur mit Mißbehagen empfehlen könnte, daß ein Meisterspiel vom Urtheile der unkundigen Menge breit gegeben würde, die nicht zu beurtheilen vermag, was für einen Einfluß ein nicht günstiges Local üben kann.
Entschlössen Sie sich nun im Concertsaale die Violine zur Hand zu nehmen, so würde wieder dieses Concert eine solche Auszeichnung vor dem andern bekommen, daß alle dort wirkenden und hörenden sich zu zurückgesetzt glauben könnten.
Deshalb geht mein unmaßgeblicher Vorschlag dahin, daß Sie eins Ihrer Doppelquartette im Concertsaale vortragen – ein Genuß der kundige, verständige Hörer voraussetzt. Das eine Quartett würden ohne Weiteres die Gebrüder Müller bilden und zum andern nähmen Sie vielleicht Hausmann in Hannover zur zweiten Violine (auch Stowitzek von dort wird gerühmt) und Gödecke in Braunschweig oder Mathys (er schreibt sich vielleicht Mathies) in Hannover zum Violoncell. Auch Hermstedt verspricht gute Violoncellisten zu stellen. Die Besetzung der Bratsche wird nicht schwer fallen.
Zögen Sie es aber vor ein Doppelconcert von Ihrer Composition zu spielen (ein Genuß der mich für alle Leiden der Festordnerei entschädigen würde, da ich ihn noch nicht hörte) so würden Sie sich zu entscheiden haben, ob Sie es mit Carl Müller vortragen wollten oder Ihren zweiten Spieler (doch wohl Wiele) mitbringen möchten.
Herr Barnbeck7 ließ sich durch seinen Bruder8 hier anmelden und machte Hoffnung Wiele mitzubringen. Ich durfte aber nicht darauf eingehen Reisekosten9 auszusetzen, um darin Maß und Ziel zu halten. Wollten Sie aber Herrn Wiele zum Mitspieler haben, so verstände es sich von selbst, daß er eingeladen würde und bitte ich Sie in diesem Falle die Einladung gefälligst zu übernehmen. Wenn in Ihrem Wagen (wie zu vermuthen ist) kein Platz für ihn offen wäre, so würde ihm entweder der Betrag der Schnellpost vergütet werden oder er möchte mit Herrn Barnbeck und noch zwei brauchbaren Gefährten zusammen einen Wagen nehmen. Verfügen Sie in dieser Beziehung, wie es Ihnen mit Rücksicht auf die Sache und für unsre Kasse am zweckmäßigsten dünkt.
Nun habe ich nur noch zu melden, daß Mantius die Einladung angenommen hat und daß er von Leipzig aus hieher kommen wird; ob er Eichberger mitbringt, ist noch nicht entschieden.
Ihrer Anordnung gemäß ist das ganze Personal auf den 17ten hieher beschieden und es würde gewiß gut sein, wenn Sie noch vor nemlichen Tage die Veranstalter revidirten.
In den nächsten Tagen und jedenfalls vor Ihrer Abreise von Kassel erhalten Sie noch ein Schreiben von

Ew. Wohlgeboren
ganz gehorsamster
Augustin

Halberstadt den 6ten
Juni 1833.

Wegen der Blasinstrumente und Pauken habe ich schon Rücksicht auf das zweifache Concert genommen.
Personen, welche alles hören wollen mögen die Proben besuchen.10



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Luther Augustin an Spohr, 20.05.1833. Das nächste erhaltene Schriftstück dieser Korrespondenz ist Spohr an Christian Friedrich Augustin, 22.06.1833.

[1] „um“ über gestrichenem „auf“. eingefügt.

[2] „sich“ über der Zeile eingefügt.

[3] Hier gestrichen: „die“.

[4] „2“ über folgendem „Ouverturen“ eingefügt.

[5] Ausdruck in Klammern über der Zeile eingefügt. Direkt danach gestrichen: „vorzu“.

[6] Vgl. „Signore Nicolo Paganini“, in: Blätter für literarische Unterhaltung (1829), S. 1062ff.

[7] Der Kasseler Konzertmeister Heinrich Barnbeck.

[8] Vermutlich der Halberstädter Stadtmusiker Georg Barnbeck.

[9] Hier gestrichen: „zu“.

[10] Vgl. „Die ausgegebenen Billetts waren auch zu den Proben gültig, weshalb jeder das eine Konzert in der Probe, das andere aber am Abend der Aufführung hören konnte, wobei nur ein einziges Musikstück in beiden Konzerten gegeben wurde, nämlich das beliebte Duett aus Jessonda zwischen Amazili und Nadori, gesungen von Madame Schmidt und Herrn Mantius, weil kein Teil sich dieses wollte nehmen lassen“ (Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 161, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 197).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.03.2022).