Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. Ms. ep. Spohr-Correspondenz. 2,116
Druck: [Ernst Rychnovsky], Beschreibendes Verzeichnis der Autographen-Sammlung Fritz Donebauer in Prag, 2. Aufl., Prag 1900, S. 182 (teilweise)
Beleg 1: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen aller Art (Fürsten, Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 59
Beleg 2: Sammlung Fritz Donebauer, Prag. Briefe, Musik-Manuscripte, Portraits zur Geschichte der Musik und des Theaters. Versteigerung vom 6. bis 8. April 1908 (= Katalog Stargardt), Berlin 1908, S. 97
Beleg 3: Georg Kinsky, Versteigerung von Musiker-Autographen aus dem Nachlaß des Herrn Kommerzienrates Wilhelm Heyer in Köln im Geschäftslokal der Firma Karl Ernst Henrici. Montag, den 6 und Dienstag, den 7. Dezember, Bd. 1, Berlin 1926, S. 100

Herrn
Capellmeister Dr. L. Spohr
Wohlgebn.
Cassel
 
frco.0
 
 
Braunschweig, am 22. Mai 1833
 
Mein theurer Freund!
 
Schon gingen allerlei trübe Gedanken durch meine Seele, da mir kein Lebenszeichen aus meine gutgemeinten Zeilen an Sie zu Theil wurde, als mich der Anblick Ihrer lieben Handschrift auf einmal in den alten, guten thüring’schen Humor versetzte.
Bevor ich von andern Dingen mit Ihnen plaudere, will ich erst den offiziellen und Geschäftstheil Ihres Briefes beantworten. Zunächst meinen besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit, die Sie der Dem. Weinhold angedeihen ließen. Sie beurtheilen Sie gewiß richtig, und wenn ich auch mit Ihnen annehmen kann, daß sie das Angewandte ihres Spieles verlieren, und wohl auch bei, mehrerem Vertrauen, mehr Stimmengehalt bekommen werde, so kann ich Ihnen doch nicht zumuthen, das Sie das an Ihrem Theater abwarten sollen, wenn gleich es gewiß ein gutes Werk gewesen wäre, die Ausbildung dieses wackren Mädchens unter Ihrer Aegide zu begünstigen. Doch verdienen Sie den vollständigsten Dank für Ihre Protection, und wenn es Ihnen gelingt, sie in Mainz zu placiren, wo sie offenbar mehr und günstiger für ihre Routine beschäftigt werden wird, so muß er sich bedeutend vergrößern.
Was meine neuste Schülerin, Dem. Lehmann1 betrifft, so freut es mich, daß die günstige Sensation, die sie allerdings erregt hat, auch Sie schon erreichte. Sie ist bisher als Agathe im Freischütz, und vor kurzem noch als Zerline im Don Juan [Zwar ist ihre Sphäre mehr das sentimental-tragische, doch hat sie auch für das naive viele Anlagen]2 mit dem entschiedensten Beifall und den Ansprüchen auf die glänzendste Künstercariere aufgetreten, und – demgemäß auf 5 Jahre bei’m hies. Hoftheater engagirt. Wenn es natürlich der Wunsch meiner Schülerin war, sich noch unter meiner eignen Leitung auszubilden, da sie noch nicht füglich selbstständig auftreten konnte, so mußte es doch sie und mich herzlich freuen und freilich gewißermaßen auch schmerzen, daß wir unter unsren Bewerbungen, von außen vermutlich die Ihrige geehrter Freund, auszuschlagen gezwungen waren, und so entrichte ich Ihnen hiermit den gemischten Zoll der Freude, des Bedauerns u. der Dankbarkeit. Denn so günstig für die folgenden, wachsenden Jahre die Bedingungen sind, die ich hier für sie abgeschloßen habe, so bin ich doch überzeugt, daß wenn sie sich bis October sich zu den Rollen, die sie bereits musikalisch inne hat, noch eine Anzahl studirt hätte, sie gewiß bei Ihnen auf ein weit größern Gehalt hätte rechnen dürfen, als bei uns. Sie bekömmt nämlich im ersten Jahre 600, im 2ten 800, u. so steigert sich jedes Jahr um 200 Thaler. Doch wie gesagt, der Umstand, daß ihr Lehrer auch ihr Capellmeister war, hat alles entschieden. – Vielleicht führe ich sie Ihnen doch noch beim Musikfeste in Halberstadt vor, denn ob ich gleich, wegen3 einer längst projectirten Reise nach Hamburg u. Thüringen für mich u. meine Schülerin, der Mitwirkung nach ablehnen mußte, indem mich die Zeit drängt, so hoffe ich doch wenigstens 2 Tage dort seyn zu können, wahrlich zumeist, um Sie und Ihre liebe Frau, die ich freundlichst grüße, wieder zu sehen. Ich will alle mögliche Beredsamkeit anwenden, um auch Holleben zur Mitreise zu bewegen, und dann wollen wir sehen, ob wir den Gott der Heiterkeit u. des Frohsinns noch immer so wirksam beschwören können, als in jener holdenZeit des reinsten Gemüthlebens.
Addio, mein Theurer! Meine Schülerin grüßt Sie mit größter Verehrung; ich will nicht stolz darauf seyn, daß sie gewißermaßen mich Ihnen vorzieht; denn kennten Sie das gute Kind, so würde es wohl ein anderes Facit geben; doch deshalb keine Feindschaft nicht – ich bin und bleibe
 
Ihr getreuster Freund u. Verehrer
AMethfeßel

Autor(en): Methfessel, Albert
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Holleben, Anton von
Methfessel, Emilie
Weinhold, Auguste
Erwähnte Kompositionen: Mozart, Wolfgang Amadeus : Don Giovanni
Weber, Carl Maria von : Der Freischütz
Erwähnte Orte: Braunschweig
Halberstadt
Hamburg
Mainz
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Braunschweig>
Hoftheater <Kassel>
Nationaltheater <Mainz>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1833052243

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Methfessel. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Methfessel an Spohr, 24.01.1834.
 
[0] [Ergänzung 24.01.2022:] Auf dem Adressfeld befinden sich in der Mitte die stark verwischten Poststempel „BR[AUNSCHWEIG] [???] MERZ“ und „23 MÄ[RZ]“, auf der Rückseite des gefalteten Briefumschlags befindet sich der Stempel „25MAY[???]“.

[1] Emilie Lehmann, die 1834 ihren Lehrer Albert Methfessel heiratete.
 
[2] Einfügung am Fuß der Seite.
 
[3] „wegen“ über der Zeile eingefügt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Götz Methfessel (03.04.2017).