Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochverehrter Herr,

Es gereicht mir eben so sehr zur Beruhigung, als es dem ruhigen Fortgange der Sache förderlich ist, daß Ew. Wohlgeboren sich in Ihrem gütigen Schreiben vom 11ten d.M. mit der vorgeschlagenen Anordnung der am 3ten Tage des Musikfestes auszuführenden Werke einverstandern erklärt haben. Möchte nur die Ausführung selbst nicht zu sehr hinter Ihren Erwartungen zurückbleiben; unsre Choristen sind eine zeitlang gewaltig von der Grippe heim gesucht und die jetzige unertrgäliche Hitze erschwert ihnen die ohnehin in einem sehr langen Zeitraum zusammengedrängten Übungen gar sehr.
In meinem vorigen Schreiben habe ich eine sehr wesentliche Bitte unberührt gelassen, nemlich die, daß Ew. Wohlgeboren die Güte haben möchten mir zu schreiben, wie Sie die Tempi der Chöre im Samson (nach Mälzel) nehmen würden. Es herrscht in dieser Beziehung Streit unter den Instructoren, die sich zum Theil nach Spontini richten, der die tempi bei seiner Direction in Halle (1829) viel zu rasch nahm.1
Mit der Besetzung der Solostimmen steht es jetzt so. Von Mantius habe ich sonderbarer weise noch keine Antwort. Er mag übrigens zusagen oder nicht, so muß jedenfalls für einen Stellvertreter gesorg werden werden. Ich hatte mich deshalb an Rauscher in Hannover gewandt, der jedoch in Berlin Gastrollen zu geben hat. Hierauf schrieb ich Ihrem Winke gemäß an Eichberger und gab meinen Leipziger Correspondenten zugleich den Auftrag für den Verneinungsfall sich unter den dortigen Dilettanten unzusehen, unter denen mir zwei gute Tenoristen genannt sind. Von dort habe ich noch keine Antwort. Vor einigen Tagen schrieb mir Bischoff, daß er einen Lüneburger Dilettanten2 empfehlen könne, welcher wahrscheinlich bereitwillig sein werde. Auch hat Schneider den Kammersänger Diedicke empfohlen, der diese Parthie gut singen soll und von dem er wünscht, daß er sich hier besser empfehlen möchte, als im Jahre 1828, wo er aus der Noth half.3 Ich werde Schneider bitten ihn auf jeden Fall zur Reserve mitzubringen; können wir einen andern mit kräftigerer Stimme begabten finden, so würde mir dies lieb sein.
Die Sopranparthie wird die Frau des Ihnen bekannten Mus.Dir. Georg Schmidt aus Münster singen, deren Aufenthalt ich zum Glück ausgehandelt hatte, da die Lehmann4 in Braunschweig so gut als abgesagt hat. Die Schmidt eignet sich vorzüglich für diese Parthie, die sie beim vorjährigen Rheinischen Musikfeste und erst kürzlich wieder in Leipzig gesungen hat. – In Ansehung des Altes bleibt es bei der Müller in Braunschweig und daß den Baß ein tüchtiger Dilettant aus Berlin, Namens Krause, übernommen hat, glaube ich schon berichtet zu haben; vielleicht bekommen wir auch einen vorzüglichen Stellvertreter aus Leipzig.
Unser improvisirtes Musikfest wird nun als sechstes an der Elbe auftreten und ich hoffe gewiß, daß sich der Verein hier auf solideren Grundlagen neu restituiren wird. Der Oberbürgermeister Franke hat die Güte gehabt mir die sehr vollständigen Acten über die bisherigen Musikfeste und die Versuche das Elbevereins sich zu consolidiren, mitzutheilen5 und ich habe die Überzeugung gewonnen, daß sich der Verein halten läßt, wenn er sich auf wenige Stände beschränkt, die eine bestimmte Reihenfolge unter sich einführen und die nöthigen Anstalten beachten, um in jeder Beziehung eine beständige locale Verbesserung der musikalischen Hülfsanstalten zu bewirken. So viel ich bis jetzt übersehen kann werden jedoch Schneider und Franke mehrere von den Ideen ganz aufgeben müßen, an deren Realisirung sie bisher Zeit verwendeten und ich rechne sehr darauf, daß Sie bei den Verhandlungen hierüber eine vermittelnde und entscheidende Stimme führen werden, schon deshalb weil Sie wahrscheinlich die unbe[???]sten Ansichten mitbringen.
Die anliegende Anzeige wird (vielleicht etwas verändert) in den nächsten Tagen in der berliner Monatszeitung oder einem andern dortigen Blatte erscheinen. Vielleicht wäre es von Nutzen wenn sie in die Kasseler Zeitung überginge. Ich habe deshalb ein Schreiben an deren Redaktion beigefügt und stelle anheim, ob Sie dasselbe an die Adresse befördern wollen.
Endlich wünschte ich schon jetzt Ihre Bestimmung zu erhalten, wie Sie es mit den Proben gehalten wissen wollen. Als Finanzier muß ich wünschen die große Masse der Instrumentisten so spät als möglich eintreffen zu sehen; diese Rücksicht bleibt aber eine untergeordnete und es läßt sich jetzt noch alles nach Ihren Anweisungen einrichten, welche mit gewohnter Verehrung zu befolgen suchen wird

Ew. Wohlgeboren
ganz gehorsamster
Augustin

Halberstadt den 20sten Mai 1833.



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Augustin, 11.05.1833. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Augustin an Spohr, 06.06.1833.

[1] Vgl. „Grosses Musikfest thüringisch-sächsischen Musik-Vereins in Halle an der Saale, vom 10ten-12ten September“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 31 (1829), Sp. 624-628, hier Sp. 627f.

[2] Noch nicht ermittelt.

[3] Vgl. „Die Soli waren besetzt […] im Tenore durch den wackern Herrn Diedicke, herz. Dessauischen Kammersänger, dessen Leistungen um so mehr Anerkennng verdienen, als er seine Partie beinahe a vista singen musste“ („Ueber das dritte Musikfest an der Elbe, gefeyert zu Halbersstadt am 3ten, 4ten u. 5ten Juny 1828“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 30 (1828), Sp. 423-426, hier Sp. 424).

[4] Emilie Lehmann, kurz darauf verh. Methfessel (vgl. Augustin an Spohr, 01.05.1833).

[5] Der Magdeburger Oberbürgermeister August Wilhelm Franke war der Gründer der Elbe-Musikfeste (vgl. Samuel Weibel, Die deutschen Musikfeste des 19. Jahrhunderts im Spiegel der zeitgenössischen musikalischen Fachpresse (= Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte 168), Kassel 2006, S. 175).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (11.03.2022).