Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Verehrtester Freund!

Erlauben Sie mir gütig, die erwünschte Gelegenheit benützen u durch Ueberbringer dieß, den bei hiesigem HofOrchester als Acceßist angestellten H. Pfeiffer, – der das Glück hat, sich Ihren Schüler nennen zu können – nach langer Pause wieder mal schriftlich mich mit Ihnen besprechen zu dürfen. Dieser brave Jüngling, der durch sein schönes Talent, Fleiß u Fortschreiten der Schules seines großen Meisters Ehre macht, hat sich die Zeit seiner Hierseyns hundurch durch sein gutes sittliches Bewtragen die Achtung aller Gutgesinnten, u die volle Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erworben; da er nun die zweimonatlichen Theaterferien zu seinem weiteren Studium in Kassel zu verwenden gedenkt, so bitte ich Sie abgelegenst sich mit Ihrem gewohnten Edelsinn als väterlichen Freund seiner annehmen u ihn in seinem eifrigen Streben gütigst unterstüzten zu wollen.
Nicht nur mich, sondern auch alle Ihre hiesigen Verehrer und Freunde hat die Aufhebung des Kassler Hoftheaters geschmerzt, weil wir sehen mußten, daß dadurch die Sphäre Ihres thätigen u ausgezeichneten Wirkens in dieser Beziehung einigermaßen beschränkt durch u wir freuen uns, daß nunmehr die schöne Kunstanstalt – wenn schon vielleicht nicht mehr unter den ehemaligen günstigen Verhältnißen hinsichtlich der pekuniären Zuflüße – wieder auflebt, u Ihr reicher Geist durch seine superiöre Virtuosität sein dramatisches Wirken fortzusetzen Gelegenheit findet.
Wie freute ich mich aber, als ich vernahm, daß Sie bald eine Violinschule herausgeben werden! was läßt sich da von einem Manne der wie Sie auf der höchsten Stude der KunstAusbildung steht, der alle Tiefen u Geheimniße eines Instruments aufgeschlossen sind, ohne welches – wenn es Jean Paul gekannt hätte, die Muse des Gesangs auf Jupiters Wink gewiß nicht zu uns hernieder gekommen wäre1, um die Töne zu lehren, u das Menschenherz seitdem sprechen zu machen2 – Vollkommenes, Erschöpfendes erwarten! Ohne zu schmeicheln, lebe ich der reinen Ueberzeugung, daß wir aus Ihrer Hand einem klassischen Werke entgegesehen dürfen!
Ich hoffe, H. Pfeiffer wird mir auch angenehme Nachrichten von Ihrer lieben Familie bringen, denn alles interessirt mich herzlich, was Sie angeht, u ich wünschte nur, daß Sie bald wieder uns mit einem Besuche erfreuen würden! Wie oft erinnere ich mich noch der schönen Tage, die ich i. J. 1807. an Ihrer Seite in Gotha verlebte! nie werde ich ihrer vergessen, nie der edeln Freundschaft, mit der Sie mich behandelten, nie der herrlichen Kunstgenüße, die Sie mir gewährten, u selbst des freundlichen Abends im Siebeleber Garten3 nicht4, den nur der lebenslustige KMr Himmel durch seine faunischen Deklamationen störte.5
Da es eine so schwehre Aufgabe ist,6 dramatische Sängerinnen zu finden, welche dieß Fach als Erste ganz ausfüllen, u man bald in den Fall kommen wird, sie am hellen Tage mit der Laterne suchen zu müßen, denn entweder haben sie gute Schule u keine Stimme, oder umgekehrt – so bin ich begierig, was Sie für ein Subjekt in dieser Beziehung, wie auch, wen Sie für den ersten Tenor u Baßparthien gewonnen haben. Unser Haizinger ist wirklich in London, wo er auf die 2. Ferien-Woche mit Uetz bei der deutschen Oper engagirt ist.
Mit den freundschaftlichsten Empfehlungen an Ihre hochgeschätzte Gattin beharre mit vollkommenster Verehrung unwandelbar

Ihr
aufrichtig ergebenster
Freund u Dr7 XKeller

Carlsruhe den 28ten April
1833.

Der große Dominichino malte die heilige Cecilia nicht an der Orgel sitzend, sondern singend mit einer Violine in der Hand, Wie schön u treffend deutete dieser Seelen-Maler auf die nahe Verwandtschaft der Violine mit der Singstimme? Zweifelsohne besitzen Sie die Abbildung des herrlichen Gemäldes in dem bekannten Kupferstiche von Lignon?8
In meiner Sammlung besitze ich noch ferners ein gutes radirtes Blatt aus der italienischen Schule, wo Apoll mit der Violine u Bogen dargestellt ist9; nach meiner Ansicht ein Beweis, welcher Werth schon die Alten auf dieß Instrument der Seelensprache legten! –
Die Instrumenten-Königin verdient von einem Spohr geistig anatomirt zu werden!!! –

Autor(en): Keller, Xaver
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Domenichino
Haitzinger, Anton
Himmel, Friedrich Heinrich
Jean Paul
Pfeiffer, Friedrich
Uetz, Franz
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Violinschule
Erwähnte Orte: Kassel
London
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1833042847

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Keller an Spohr, 29.05.1824. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Keller an Spohr, 26.09.1840.

[1] „wäre“ über der Zeile eingefügt.

[2] Vgl. Jean Paul, „Abgerissene Gedanken vor dem Frühstücke und dem Nachtstücke in Löbichau“, in: ders., Sämmtliche Werke, Bd. 59, Berlin 1828, S. 125-129, S. 129f.

[3] Vgl. August Schumann, Vollständiges Staats- Post- und Zeitungs-Lexikon von Sachsen […], Bd. 3, Zwickau 1816, S. 354.

[4] „nicht“ über der Zeile eingefügt.

[5] Zu Himmels Aufenthalt 1807 in Gotha vgl. Spohr an Ambrosius Kühnel, 24.01.1807; C[arl] Demuth, Geschichte der St. Johannis-Freimaurerloge Ernst zum Compass im Orient zu Gotha von 1806-1881, Gotha 1882, S. 6; Philippe A. Autexier, Lyra Latomorum. Das erste Freimaurerliederbuch. Masonica über Haydn Mozart Spohr Liszt, pdf-Version nach dem Typoskript im Deutschen Freimaurermuseum Bayreuth, S. 269.

[6] Hier gestrichen: „eine“.

[7] Abk. f. „Diener“.

[8] Vgl. Digitalisat des Philadelphia Museum of Art.

[9] Noch nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.02.2023).