Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Wohlgeboren
dem Herrn Hofkapellmeister
Dr L. Spohr
in
Cassel.

fr.


Hochzuverehrender Herr Hofkapellmeister!

Nachdem ich nun mit der Verbesserung und Umarbeitung der Partitur, so wie auch zugleich mit dem Arrangement des Klavierauszuges meiner Oper: Claudine von Villa Bella, ganz fertig geworden bin, und dabei Ihre gütigen Zurechtweisungen und Winke auf das Sorgfältigste und Genaueste nach allen mir nur möglichen Kräften benutzt und angewandt habe, auch die 100 Bogen starke Partitur derselben bereits copiren lasse: bitte ich Sie, hochverehrter Herr Gönner, ganz gehorsamst um Ihren freundlichen Rath, was in jetziger Zeit wohl das Beste und Vortheilhafteste sey; entweder selbige noch liegen oder zu einer Aufführung baldigst bringen zu lassen?1
Mein einzigster, größter Wunsch ist der, diese Oper unter Ihrer Leitung zuerst ans Tageslicht befördert zu sehen, da ich einmal das beste Vertrauen zu Ihnen, dem liebevollsten wie uneigennützigsten und sorgsamsten Direktor, habe. Daß jetzt nun unter den Verhältnissen2 keine Aufführung in Cassel möglich sey, sehe ich wohl ein, daher wollte ich lieber so lange warten, als ich von Ihnen die schöne Aussicht hätte, daß durch eine baldige neue Einrichtung des Theaterpersonals dasselbe möglich sey. Und ist diese Hoffnung wohl vorhanden? –
Leider habe ich, zufolge einer starken Erkältung auf letzter Reise nach Cassel, die ich mir wahrscheinlich nach einem russisch. Dampfbade in Hannover und nach einem Bade in Pyrmont gleich Tags3 darauf im offenen Postcabriolet bei regnigtem Wetter weiter reisend, zugezogen hatte, seit dem 1sten November v. J. einen heftigen Gichtanfall bekommen, der mich, Gott sey Dank, nach ärztlicher bester Hülfe zwar jetzt wieder verlassen, obgleich ich noch nicht ausgehen darf, aber zugleich auch mich einsehen gelehrt hat, daß ein jährliches Fixum, wie das meinige, als wohlbestalllter Stadt- und Schloß Organist, wie auch als Gesanglehrer hiesiger Gymnasii und der höhren Töchterschule, von 220 Rth., wie jetzt unter diesen Umständen ohne besondern Nebenverdienst durch Privatstunden, zu gering ist. Und daher erlaube ich mir wiederholt noch die zweite Bitte zu thun, daß Sie mich bei vorkommenden Fällen doch bestens empfehlen möchten, um demnächst besser gestellt werden zu können.
Ihres fernern Wohlwollens und Ihrer4 gütigen Empfehlung für mich und meines obigen Werkes mir ergebenst erbittend, sehe ich diesmal Ihres besten und freundlichsten Rathes mit großer Freude entgegen. Indem ich mit dem herzlichsten Wunsche für Ihr und der Ihrigen stetes Wohlergehen schließe, habe ich die Ehre
mit der größten Hochachtung zu verharren als

Ihr
treuester Verehrer und Anhänger,
wie Ihr ganz ergebenster Diener
HW Stolze.

Celle, d. 21sten Februar 1833.

P.S.
Sehr freue ich mich Ihre so wohlgetroffene Gypsbüste von Hrn Lewisohn aus Cassel bald nach meiner Rückkehr glücklich erhalten zu haben.5 In meinem Zimmer stehend, hat mich dieselbe bei meiner Arbeit doppelt Ihrer freundlichen Belehrungen und Winke vergegenwärtigt. Auch soll sie mich bei künftigen Arbeiten ermuthigen und erinnern, nur stets Gutes zu liefern.
Ihre größte Verehrerin, Frau Medizinalräthin Koeler, hat diese Büste mit einem Lorbeerkranze zu schmücken, sich ausgebeten.

Autor(en): Stolze, Heinrich Wilhelm
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Koeler (Frau Medizinalrat in Celle)
Koeler, Ludwig
Levinsohn, Aron
Erwähnte Kompositionen: Stolze, Heinrich Wilhelm : Claudine von Villa Bella
Erwähnte Orte: Celle
Hannover
Kassel
Pyrmont
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1833022144

Spohr



Der nächste erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Stolze, 18.05.1835.

[1] Stolzes Oper wurde nie aufgeführt (vgl. A[ugust] Reinbrecht, „Heinrich Wilhelm Stolze. Biographische Skizze“, in: Urania 40 (1883), S. 35-38, hier S. 37). 1864 erschien ein Marsch aus dieser Oper („[Goethe’s Oper]“, in: Allgemeine musikalische Zeitung NF 2 (1864), Sp. 671f.). [Ergänzung Wolfgang Haaß, 22.04.2020: Eine einzelne Aufführung in Celle blieb 1949 erfolglos (vgl. „Wie mich das langweilt“, in: Spiegel 4/1949, S. 21).]

[2] Der regierende Kurprinz Friedrich Wilhelm I. hatte im April 1832 das Hoftheater schließen lassen, nachdem sein Vater in Folge der revolutionären Ereignisse von 1830/31 die Regierungsgeschäfte niedergelegt und sich nach Hanau zurückgezogen hatte. Nachdem Spohr die Wintersaison 1832/33 ausschließlich mit Konzerten bestritten hatte, bekam er erst im Frühjahr 1833 den Auftrag, eine Schauspieltruppe für den Weiterbetrieb des Theaters zu engagieren.

[3] „Tags“ über der Zeile eingefügt.

[4] „Ihrer“ über der Zeile eingefügt.

[5] Die einzige bislang bekannte Gips-Büste Spohrs, die zum Zeitpunkt dieses Briefes bereits existierte, stammt von dem Kasseler Künstler Carl Hettler. Sie entstand vor 1830. (Vgl. Herfried Homburg, Bildnisse Louis Spohrs. Eine vorläufige Bestandsaufnahme, in: Louis Spohr. Festschrift und Ausstellungskatalog zum 200. Geburtstag, hrsg. v. Hartmut Becker und Rainer Krempien (= Ausstellungskataloge / Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz 22) , Kassel 1984, S. 209-230, hier S. 223; Abb., ebd., S. 184). Offenbar hatte Stolze von dem Kasseler Kaufmann Aron Levinsohn einen Abguss erworben.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (22.04.2020).