Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,149
Druck 1: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 127f. (teilweise)
Druck 2: Horst Heussner, Die Symphonien Ludwig Spohrs, Phil. Diss. Marburg 1956, Anh. S. 34 (teilweise)

Cassel den 14ten Dec.
1832.

Geliebter Freund,

Seit mehreren Wochen hoffe ich von einem Tage zum andern auf einen Brief von Ihnen, aber immer vergebens. Nun darf ich nicht länger zögern, Sie zu bitten, mir mit erster fahrender Post die Sinfonie gefälligst zurück zu schicken, da ich sie den Sonntag über 8 Tagen auf vielfältiges Begehren noch einmal aufführen und dann nach Wien schicken werde, wo man sie auch zu geben wünscht und Haslinger ihr Verleger sein wird. Auch sehe ich einigen Nachrichten von Ihnen über die Aufführung in Frankfurt entgegen.
Unser Familienfest in Gandersheim hat ganz den Erwartungen entsprochen. Die ganze Umgegend nahm daran theil und von der Familie fehlte auch nicht einer. Der Haupttag war wirklich glänzend. Der Saal war durch ein großes Transparent von Wolff’s Erfindung, durch Kränze, Festons1 mit Papierblumen, durch transparente Sterne u.s.w. wirklich festlich aufgeschmückt. Beym Eintritt der Eltern wurde zuerst meine Kantate2 aufgeführt, an diese schloß sich die Rede des Pfarrers, der das Jubelpaar von neuem einsegnete und hierauf folgte ein Concert welches ich mit meiner Frau und meinen 3 Töchtern aufführte. Dann wurde schnell gedeckt und nach dem Essen die ganze Nacht getanzt. Das Jubelpaar eröffnete den Ball. Tags vorher, am Polterabend überbrachten Maskenzüge meinen Eltern Geschenke. Die unsrigen waren in einem Zimmer aufgestellt. Die meiste Freude schien meinen Eltern eine Tischuhr mit Musik, die meine Brüder und ich geschenkt hatten, zu machen. – Leider mußte ich, weil ich nur 6 Tage Urlaub erhalten hatte, Tags nach dem Feste gleich wieder abreisen.3
So eben, während ich schreibe, erhalte ich Ihren Brief nebst der Sinfonie. Ich freue mich zu hören, daß Guhr dieselbe mit Fleiß eingeübt hat und daß die Aufführung gelungen war. Ihre Bemerkungen betreffend, so muß ich nur das eine erinnern, daß das ,Minore’ nach der ,Kriegsmusik’ keineswegs ein Trio, (zu dieser gehörig,) seyn soll, sondern, wie das Programm sagt, die Gefühle der Zurückbleibenden malen soll, im Clarinettsolo und der bewegten Figur in den Geigen die ängstliche Besorgnis des Mädchens um ihren in die Schlacht gezogenen Geliebten, und im Violoncellsolo, den tröstenden und beruhigenden Zuspruch des Vaters. So angehört, würde es Ihnen vielleicht einen andern Eindruck gemacht haben! Gerne gebe ich zu, daß es etwas zu breit ausgesponnen ist; allein dieß war notwendig nach dem einmal angenommenen Plane, weil die Sieger doch nicht sogleich zurückkehren konnten. – Der letzte Satz wirkt nur dann recht beruhigend, wenn er nicht zu schnell und sehr zart executirt wird. Ein großer, kräftiger, breitausgeführter Satz schien mir nach dem lermenden 3ten Satze nicht passend, und es war keine leichte Aufgabe, ihn so gedrängt in eine schöne abgerundete Form zu bringen. –
Meierbeer meine herzlichsten Grüße! Die 3te Sinfonie halte ich für die beste. Wenn er eine Aufführung in Paris veranlassen will, so lasse ich ihn bitten, für tüchtige Proben zu sorgen, da die Sinfonie sehr schwer ist. Sie wird übermorgen hier im Theater gemacht. – So eben habe ich den 1sten Satz meines 3ten Doppelquartetts beendigt. – Herzliche Grüße an die Ihrigen. Stets Ihr L. Spohr.



Dieser Brief schließt sich an Spohr an Speyer, 05.11.1832 an. Dabei überschnitt sich der Postweg mit Speyer an Spohr, 01.12.1832. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Speyer an Spohr, 01.05.1833.

[1] Frucht- und Blumengewinde (vgl. Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter, entstellenden fremden Ausdrücke zu deren Verstehen und Vermeiden, hrsg. v. Friedrich Erdmann Petri, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 194). 

[2] Festgesang WoO 69.

[3] Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 158f., Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 193ff. 

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.03.2016).

Cassel, 14. Dezember 1832.

Soeben erhalte ich Ihren Brief nebst der Sinfonie. Ich freue mich zu hören, daß Guhr dieselbe mit Fleiß eingeübt hat und daß die Aufführung gelungen war. Ihre Bemerkungen betreffend, so muß ich nur das Eine erinnern, daß das ,Minore’ nach der ,Kriegsmusik’ keineswegs ein Trio (zu dieser gehörig) sein soll, sondern, wie das Programm sagt, die Gefühle der Zurückbleibenden malen soll: im Klarinettensolo und der bewegten Figur in den Geigen die ängstliche Besorgnis des Mädchens um ihren in die Schlacht gezogenen Geliebten, und im Violoncellsolo den tröstenden und beruhigenden Zuspruch des Vaters. So angehört, würde es Ihnen vielleicht einen andern Eindruck gemacht haben! Gerne gebe ich zu, daß es etwas zu breit ausgesponnen ist, allein dies war notwendig nach dem einmal angenommenen Plane, weil die Sieger doch nicht sogleich zurückkehren konnten. Der letzte Satz wirkt nur dann recht bruhigend, wenn er nicht zu schnell und sehr zart exekutiert wird. Ein großer, kräftiger, breitausgeführter Satz schien mir nach dem lärmenden dritten Satze nicht passend, und es war keine leichte Aufgabe, ihn so gedrängt in eine schöne abgerundete Form zu bringen ... Ich werde die Sinfonie jetzt nach Wien schicken, wo man sie auch zu geben wünscht und Haslinger ihr Verleger sein wird.
Meyerbeer meine herzlichsten Grüße! Die Dritte Sinfonie halte ich für die beste. Wenn er eine Aufführung in Paris veranlassen will, so lasse ich ihn bitten, für tüchtige Proben zu sorgen, da die Sinfonie sehr schwer ist ...

Kassel, den 14. 12. 32

... Nun darf ich nicht länger zögern, Sie zu bitten, mir mit erster fahrender Post die Sinfonie gefälligst zurück zu schicken, da ich sie den Sonntag über 8 Tagen auf vielfältiges Begehren noch einmal aufführen und dann nach Wien schicken werde, wo man sie auch zu geben wünscht und Haslinger ihr Verleger sein wird ...